Die Wahrheit: Missbrauchsopfer Führerschein

Es ist soweit: Alte Jahrgänge, die noch den „Lappen“ haben, müssen auf Digital umstellen. Manche geben ihn aber besser gleich ab.

Als dieser Tage die Aufforderung der Kfz-Ämter umging, nun bitte endlich die alten Führerscheine in neue umzutauschen, war mir klar: Jetzt bin ich dran. Schließlich zähle ich zu den 1950er Jahrgängen, um die es geht. Aber mein grauer Lappen ist weg – und das schon seit über 40 Jahren.

Es kann zudem kein Zufall sein, dass neben dieser Pflicht zum Tausch jetzt auch noch eine andere Nachricht kursierte. Darin war vom „Missbrauchsort Fahrschule“ die Rede – und die ist mir persönlich plötzlich näher gegangen als etwa die #MeToo-Debatte. Denn auf einmal war da eine Erinnerung, die ins letzte Jahr meiner Gymnasialzeit fiel. Mich hatte nämlich ungefragt ein Schulkamerad zum Führerschein bei einem frühpensionierten Bundeswehr-Fahrlehrer angemeldet und die Gebühren über meinen Kopf hinweg von meiner Mutter bezahlen lassen. Es sollte wohl eine Überraschung sein.

Und die war es auch, nämlich eine fürchterliche. Von Anfang an ließ uns der Getriebepädagoge wissen, dass wir zwei, die wir immer gemeinsam unsere Fahrstunden hatten, die „schlechtesten Burschen“ seien, die er jemals im Auto sitzen gehabt habe – einschießlich „der alten Frauen“.

Bei der Abschlussprüfung nach 40 oder 50 Stunden kam mein Freund überraschend auf Anhieb durch. Dann war ich dran. Nach ein paar Minuten sollte ich links abbiegen. Dummerweise fuhr aber die ganze Zeit eine Straßenbahn parallel zu mir und ich verpasste gleich mehrere Abbiegemöglichkeiten. Nachdem der Prüfer plötzlich auf die Bremse trat, weil ich fast unter einen Sattelschlepper mit wippendem Baudraht geraten war, musste ich rechts ran und mir den Satz anhören: „Wenn Sie mal den Führerschein haben, wovor uns Gott behüten möge, können Sie hinfahren, wohin Sie wollen! Aber während der Fahrprüfung bestimme ich, wohin es geht!“ Mein Freund auf der Rückbank lachte sich schlapp.

50 Fahrstunden mehr

Die nächsten vier Wochen waren die schrecklichsten meines Lebens. Ich fing vor den nächsten 50 Fahrstunden, in denen ich nun allein mit dem unangenehmen Kfz-Unteroffizier im Käfer saß, jeweils an, vor Aufregung Zigarre zu rauchen. Die Fahrten waren eine Kette von Straf­expedition. Es ging fast nur noch in dunkle Park­häuser, in denen ich in möglichst enge Lücken einparken musste. Immer wenn ich über einen der hohen Bordsteine rumpelte, riss mir der Generalissimo den Lenker aus der Hand und brüllte: „Mann, Mann, Mann! Er lernt es nicht!“

Das stimmte ja auch, auch wenn ich die Wiederholungsprüfung bestand, wegen der ich sogar die Abiturfeier versäumte. Erschöpft zu Hause angekommen, empfing mich meine Oma und sah in meine Seele. Sie nahm den Führerschein und legte ihn in ihren Kleiderschrank. Und da blieb er auch. Als sie starb, muss er mit anderen Hinterlassenschaften irgendwo in der Verwandtschaft gelandet sein. Und für Deutschlands Straßen war das auch das Beste.

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kari

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