Pro & Contra zur Debatte um westliche Militärhilfe zum Schutz vor russischen Angriffen
: Deutsche Waffen für die Ukraine?

Ja

Jeder souveräne Staat hat das Recht, sich gegen einen bewaffneten Angriff zu wehren. Die Charta der Vereinten Nationen bestätigt „das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung“. Einem Land im Falle eines Angriffs die Möglichkeit zur Verteidigung zu nehmen ist mindestens unterlassene Hilfeleistung, wenn nicht Beihilfe zum Völkerrechtsbruch. Das ist so, als würden Passanten tatenlos zusehen, wie Nazis Ausländer jagen. Wer ungerührt zuguckt, obwohl er etwas tun könnte, macht sich strafbar. Wer darüber hinaus die Opfer auffordert, mit ihren anstürmenden Angreifern ins Gespräch einzutreten, macht sich lächerlich.

In diese Lage gerät Deutschland mit seinem Beharren darauf, es dürfe keine Waffenlieferungen in die Ukraine geben. Russland hat 2014 die Krim besetzt, es führt ­einen verdeckten Krieg in der Ost­ukraine, es stapelt Soldaten an der Grenze, es negiert öffentlich das Existenzrecht einer souveränen Ukraine – aber Berlin gönnt Kiew nicht einmal Defensivwaffen.

Nicht etwa aus grundsätzlichen Erwägungen – Deutschland ist der viertgrößte Waffenexporteur der Welt, zu seinen Kunden gehören Diktatoren und Länder in Krisengebieten. Nein, man argumentiert mit „historischen Gründen“. Angesichts des Naziterrors in der ehemaligen Sowjetunion, etwa in der Ukraine, ist das nicht einmal historisch überzeugend – würde Deutschland auch Israel fallen lassen gegen Länder, die sein Existenzrecht nicht anerkennen?

Wie gut, dass es andere gibt, die der Ukraine helfen und die richtige Lektion aus der Geschichte ziehen – nämlich die, dass einem schwächeren Land gegen ein stärkeres Beistand gebührt. Jedes Opfer deutscher Angriffskriege im 20. Jahrhundert weiß das. Nur Deutschland hat es vergessen.

Die gern angeführte Sorge um eine weitere Eskalation ist scheinheilig. Hätte Russland ein Interesse an Frieden, könnte es einfach friedlich bleiben. Wenn eine militärische Großmacht aber ganz offen Krieg gegen den Nachbarn vorbereitet, ist das Gleichgewicht der Kräfte das einzige Mittel, den Frieden zu retten.

Die Ukraine muss militärisch stärker werden, damit sich für Russland ein Angriff nicht lohnt. Erst dann kann der von Deutschland herbeigesehnte Friedensprozess in Gang kommen – auf der Grundlage gegenseitigen Respekts. Dominic Johnson

Nein

Da stehen sich zwei im Duell gegenüber, der eine mit einem Degen, der andere mit einer Kalaschnikow. Wie deeskaliert man die Situation am besten? Indem man dem Schwächeren auch ein Gewehr gibt oder den Stärkeren überredet, die Waffe zu senken? Beim Streit zwischen Russland und der Ukraine sind zumindest die Kräfteverhältnisse derzeit ähnlich. Russland ist der Ukraine militärisch weit überlegen und lässt sie das auch wissen. Präsident Wladimir Putin hat über 100.000 Soldaten an der Grenze zusammengezogen, dazu eine Menge Kriegsgerät: Panzer, Raketenwerfer und andere schwere Waffen. In Deutschland mehren sich daher die Forderungen, die Ukrai­ne militärisch aufzurüsten. Außenministerin Annalena Baerbock und Kanzler Olaf Scholz halten bislang dagegen und an dem Grundsatz fest: Keine letalen Waffen in Krisengebiete. Und das ist richtig so! Selbst dann, wenn gerade Russland militärisch auftrumpft.

Doch seit der Annexion der Krim erhält die Ukraine ja bereits Waffenlieferungen, und zwar nicht zu knapp. Die USA haben seitdem Schützenhilfe im Umfang von 2,5 Milliarden Dollar geleistet, unter anderem in Form von Panzerabwehrraketen. Aus der Türkei kommen Drohnen, Estland schickt Pistolen, Kanada Scharfschützengewehre, und auch Großbritannien will jetzt „strategische“ Waffen senden. Was kommt in dieser Logik als Nächstes? Atomsprengköpfe? Davon hat Russland über 6.000.

Die Aufrüstung der Ukraine hat bislang weder zu einem militärischen Gleichgewicht noch zu einer Befriedung der Situation geführt. Doch die ist nötig und möglich. Denn im Grunde hat auch Russland Interesse an einer friedlichen Lösung, der Truppenaufmarsch diente primär dazu, endlich wieder Gespräche auf Augenhöhe mit dem Westen zu erzwingen. Das hat ganz gut geklappt, und egal wie man die rüde Art bewertet: Die Gespräche sollten jetzt weitergehen.

Wenn Deutschland nun ein paar Kriegsschiffe – wie von der Ukrai­ne gewünscht – ins Schwarze Meer schippern ließe, wären die Kräfteverhältnisse immer noch die gleichen. Aber Deutschland hätte eine wichtige Option aus der Hand gegeben, nämlich in diesem Kräftemessen als friedlicher und glaubwürdiger Vermittler aufzutreten. Damit es gelingt, den Typen mit der Kalaschnikow zum Einlenken zu bewegen, und zwar friedlich.

Anna Lehmann

inland 6,ausland ausland