Auftritt der Zaunrebe

Mit seiner ästhetisch sensiblen, technisch ausgeklügelten Lichtführung stellte der Fotograf Fred Koch die Plastizität der Pflanzen in ungewöhnlicher Weise heraus. Eine Wiederentdeckung in der Alfred Ehrhardt Stiftung

Fred Koch (1904–1947) Ampelopsis tricuspidata. Zaunrebe, bis 1930, Silbergelatineabzug auf Barytpapier, 9,8 x 7,4 cm Foto: F.: Ehrhardt Stiftung

Von Brigitte Werneburg

Der große Schwarz-Weiß-Abzug eines Farns an der langen Wand der Alfred Ehrhardt Stiftung, den man jederzeit Albert Renger-Patzsch und noch mehr Karl Blossfeldt zuschreiben würde, besagt ganz eindeutig: Der Fotograf dieser Aufnahme ist ein Protagonist der Neuen Sachlichkeit. Und mit jeder weiteren Aufnahme wird klar, dieser Fotograf ist ein bedeutender Vertreter der Neuen Sachlichkeit. Freilich mit dem Manko, dass Fred Koch (1904–1947) so gut wie niemand kennt.

Das kümmert einen aber erst einmal gar nicht, dazu sind seine Fotografien zu bemerkenswert. Einerseits erscheinen sie einem bekannt, aufgrund des neusachlichen Aufnahmestils, in dem der Fotograf seine Motive, Pflanzen, Insekten und Kristalle festhält. Fred Kochs neusachliche Stilmittel wie die frontale Perspektive, den extremen Ausschnitt und den Fokus auf das Detail kennen wir auch durch das Werk von Renger-Patzsch, Hanns Finsler, ­Aenne Biermann oder Aenne Mosbacher, die bevorzugt Pflanzen, Muscheln und Korallen fotografierten. Andererseits erscheinen sie dann doch ganz neu und fremd durch seine für die Fotografie der 1920er Jahre doch recht ungewöhnliche Art und Weise, in der er die Pflanzen und Insekten auf ebenso faszinierende wie verstörende Art lebendig werden ließ.

Mit seiner ästhetisch überaus sensiblen, technisch ausgeklügelten Lichtführung konnte er die Plastizität der Pflanzen in ungewöhnlicher Weise herausstellen, fast schien es so, als ob die Pflanzen in Bewegung wären. Seine nahsichtig aufgenommene „Zaunrebe“ möchte man eher als ein Insekt und nicht als Gewächs deuten, schiebt sich die Rebe mit ihren Haftscheiben am Rankenende doch, wie Stefanie Odenthal, die Kuratorin der Ausstellung, im Katalog so richtig bemerkt, „einem Wurm gleich durchs Bild“. Der formatfüllend ins Bild gesetzten „Besenginster Blüte“ wiederum verschafft Koch durch ein raffiniertes Licht-und-Schatten-Spiel einen Auftritt gleich einem Protagonisten in einem Murnau-Film.

Beide Aufnahmen finden sich in dem 1930 erschienenen Bildband „Die Pflanze als Lebewesen. Eine Biographie in 200 Aufnahmen“. Autor der Publikation war der Schriftsteller und Verleger Ernst Fuhrmann, als Bildnachweis war der Verlag genannt. Dank Ernst Fuhrmann kam Fred Koch zur Fotografie, dank ihm wurde er freilich als Fotograf nicht wahrgenommen. Wäre Koch als Bildautor genannt worden, sein Einzug in den Pantheon der neusachlichen Fotografie, den Albert Renger-Patzsch 1928 mit der Publikation „Die Welt ist schön“ und Karl Blossfeldt mit den im gleichen Jahr veröffentlichten „Urformen der Kunst“ begründeten, wäre ganz selbstverständlich gewesen.

Fred Koch, als Sohn eines Fabrikanten 1904 in Berleburg geboren, lernte in Darmstadt, wo der Abiturient bei seinen Eltern auf der Mathildenhöhe lebte, Ernst Fuhrmann kennen. Der betrieb im Palais Rosenhöhe den Folkwang, später Auriga Verlag. Dort entstanden zur Zeit ihrer Bekanntschaft die vier Bände der Reihe „Die Welt der Pflanze“, auch hier war als Urheber nur der Verlag genannt, dabei stammten die Bildtafeln überwiegend vom damaligen Verlagsfotografen Alfred Renger-Patzsch. Fred Koch dürfte ihn zeitweilig als Assistent begleitet haben, wobei Renger-Patzsch ihn mit den besonderen Herausforderungen der Fotografie lebender Pflanzen bekannt machte.

Als Ernst Fuhrmann 1928 in Bad Harzburg die Verlagstätigkeit wieder aufnahm, wurde Fred Koch der Nachfolger des inzwischen selbstständigen Renger-Patzsch. Als Leiter der fotografischen Abteilung und des fotografischen Archivs des Folkwang-Auriga Verlags entwickelt er seine eigene fotografische Meisterschaft, freilich ohne dass sie in den Publikationen des Verlags zur Sprache gekommen wäre. Denn als Urheber der Fotografien war stets nur der Verlag genannt.

Da Koch ein Tüftler war, entwarf er Spezialkameras je nach Aufgabe

Mit seinen Fotografien von Kristallen – wie sie in den 1930er Jahren auch Alfred Ehrhardt aufnahm – konnte Fred Koch dann doch noch seinen Namen verbinden. Über die Aufsätze „Kristalle vor dem Objektiv“ und „Kristalle im Licht“ sowie die Ausstellung von je drei Pflanzen- und Kristallaufnahmen in der „76th Annual International Exhibition“ der Royal Photographic Society in London 1931 erlangte er Bekanntheit. Da Koch ein Tüftler war, entwarf er für verschiedene Aufgabenstellungen entsprechende Spezialkameras – bis hin zum 1936 entstandenen Leicagewehr für seine Aufnahmen als Fotoreporter bei der Olympiade. Dank der von ihm für die Tiefenschärfe im Makrobereich optimierten Kamera waren seine Kristallaufnahmen von bis dahin nicht erreichter Brillanz.

Deshalb kann man Aufnahmen von Fred Koch schon bewusst gesehen haben, nämlich 2004 in der Ausstellung „Lebendiger Kristall“ der Alfred Ehrhardt Stiftung. Oder inzwischen auch als Teil des Interior Design Angebots bei Ikea und Lumas, wobei die auf Neueditionen spezialisierte Fotogalerie Kochs Pflanzenaufnahmen aufgrund ihrer „spröden Eleganz“ für zeitgemäß erklärt. War auch der Mineraloge Rudolf Hundt von diesen Pflanzenfotografien so angetan, dass er in einem Aufsatz über Kochs Kristallfotografien seine Bewunderung in den Vergleich packte, man müsse „diese Mineralien als Blüten chemischer Verbindung bezeichnen“?

Als Bildberichterstatter, zu dem er sich in den 1930er Jahren entwickelte, geriet Fred Koch 1943 in Rumänien in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Er starb 1947 während seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft.

Fred Koch, bis 24. April, Alfred Ehrhardt Stiftung, Auguststr. 75, Di.–So. 11–18 Uhr, Katalog (Snoeck Köln) 29,80 Euro