#MeToo-Fall Siegfried Mauser: Justiz vs. Macht und Geld

Pianist Mauser wurde wegen sexueller Nötigung verurteilt. Die Haftstrafe konnte er bisher umgehen. Nun hat ein Gericht die Haftfähigkeit festgestellt.

Portrait

Siegfried Mauser, ehemaliger Präsident der Musikhochschule München Foto: Sina Schuldt/dpa

Es gibt Mythen, die halten sich hartnäckig. Im #MeToo-Kontext ist es die Erzählung, Frauen würden sich Vorwürfe der sexualisierten Gewalt nur ausdenken, einerseits um das Leben von Männern zu zerstören und andererseits, um persönlichen Profit daraus zu schlagen – also berühmt zu werden.

Narrative, wie die einer „Hexenjagd“ gegen unschuldige Männer oder einer „Lynchjustiz“, dass also eine Gesellschaft ohne Prozess über diese Männer urteilt, gehören dazu. Beispiele oder Belege aus der jüngsten Vergangenheit, welche Frauen durch Vorwürfe berühmt wurden, werden bei diesen Erzählungen nie angeführt – vermutlich weil es keine gibt. Vielmehr verleugnet diese Erzählung die wahren Verhältnisse. Es ist eine klassische Täter-Opfer-Umkehr.

Das Ziel der #MeToo-Bewegung ist es im ersten Schritt, den Betroffenen Sichtbarkeit zu geben und das patriarchales System, das hinter der sexualisierten Gewalt steckt, offenzulegen. Also aufzuzeigen, dass Machtgefälle Missbrauch begünstigen und Tä­te­r:in­nen diese Macht nutzen können, um sich selbst vor Konsequenzen zu schützen – sowohl juristisch als auch gesellschaftlich.

Der Fall um den Pianisten und ehemaligen Rektor der Hochschule für Musik und Thea­ter München, Siegfried Mauser, zeigt deutlich, dass diese Form der Macht einen selbst nach einer Verurteilung noch schützen kann. Denn es ist Mauser gelungen, sich trotz Verurteilung jahrelang um seine Haftstrafe zu drücken. Bis jetzt. Anfang dieser Woche gab das Landgericht Salzburg bekannt, dass Mauser bis zum 1. Februar seine Haftstrafe antreten müsse. Doch eine Aufforderung zum Haftantritt hat Mauser in der Vergangenheit schon bekommen – mehrmals sogar, im Gefängnis war er trotzdem noch nicht einen Tag.

Kollektiver Täterschutz

2016 wurde der heute 67-Jährige erstmals wegen sexueller Nötigung verurteilt. Eine Kollegin hatte ihm vorgeworfen, sie in seinem Büro gewaltvoll bedrängt zu haben. Das damalige Urteil des Amtsgerichts München wurde zwar 2017 vom Landgericht bestätigt, jedoch wurde die zuvor festgelegte Haftstrafe auf eine Bewährungs- und Geldstrafe gesenkt. Viele berühmte Gesichter der Kulturszene Münchens stellten sich damals hinter den verurteilten Sexualstraftäter, viele sahen ihn weiter als unschuldig an, das Narrativ der „Hexenverfolgung“ wurde immer wieder genutzt.

Hans Magnus Enzensberger schrieb damals in einem Leserbrief in der Süddeutschen Zeitung: „Damen, deren Avancen zurückgewiesen werden, gleichen tückischen Tellerminen. Ihre Rachsucht sollte man nie unterschätzen.“ In einem weiteren Prozess 2018 wurde Mauser in drei Fällen der sexuellen Nötigung einer Frau zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Ein Urteil, das schlussendlich am 9. Oktober 2019 vom Bundesgerichtshof in letzter Instanz bestätigt wurde und damit rechtskräftig ist.

Wie groß sein Unterstützungsnetzwerk auch zu diesem Zeitpunkt war, zeigte sich am deutlichsten an der Veröffentlichung einer Festschrift anlässlich seines 65. Geburtstags kurz nach dem Urteil. Dutzende Künst­le­r:in­nen gratulierten ihm darin zu seinem Lebenswerk. In der Festschrift und der Presse wurden die Taten Mausers erneut abgestritten oder verharmlost. Es ist eine Paradebeispiel dafür, wie kollektiver Täterschutz aussieht.

Seine erste Aufforderung zum Haftantritt bekam Mauser Ende 2019 – doch statt ins Gefängnis zu gehen, wechselte Mauser an seinen zweiten Wohnsitz nach Salzburg. Die Münchner Staatsanwaltschaft beantragte einen europäischen Haftbefehl gegen den ehemaligen Professor. Da er aber auch eine österreichische Staatsbürgerschaft hat, konnte er nicht ausgeliefert werden. Stattdessen stellte er einen Antrag auf Übertragung der Strafvollstreckung nach Österreich. Und das war nur ein erster Versuch, eine Haftstrafe zu verzögern oder im Idealfall sogar zu umgehen.

Wer kann sich der Haft entziehen?

Auch durch die Pandemie bedingt, kostete das Bearbeiten seines Antrags einige Monate. Im Frühling 2020 bekam Mauser seine zweite Aufforderung zum Haftantritt, laut der er zwei Monate Zeit habe, seine Strafe in der Haftanstalt Puch-Urstein zu beginnen. Auch diese Frist ließ er verstreichen. Mauser suchte sich neue Anwälte, die Stellungnahmen seiner Ärz­t:in­nen vorlegten, laut denen er aus gesundheitlichen und seelischen Gründen haftunfähig sei. Seitdem wurden medizinische Gutachten erstellt, die Haft erfolgreich verzögert. Nun hat das Landesgericht Salzburg seine Haftfähigkeit festgestellt.

Natürlich ist es in Ordnung, wenn Verurteilte ihre rechtlichen Mittel zur Verteidigung nutzen. Und es ist auch wichtig, dass psychisch oder physisch erkrankte Menschen die Chance haben, einen Gefängnisaufenthalt zu verschieben oder zu umgehen. Doch die Frage, die sich hier aufdrängt, ist, wer überhaupt die Macht und das Geld dazu hat, all diese Schritte zu gehen und ob ein juristisches System nicht besser geschützt werden sollte, um von einzelnen Mächtigen nicht missbraucht zu werden.

Wie sinnvoll Gefängnisaufenthalte sind, ist noch einmal eine ganz andere Frage, die an dieser Stelle nicht behandelt werden soll. Doch momentan handhaben wir es als Gesellschaft so, dass bestimmte Verbrechen mit Haft bestraft werden. Wenn nun aber verurteilte Sexualstraftäter diese umgehen können, geht das ohnehin schon bröckelige Vertrauen der Betroffenen ins deutsche Justizsystem noch mehr kaputt.

Allein um ihnen wenigstens ein wenig Glauben am Rechtsstaat zu lassen, wäre es wichtig, dass Siegfried Mauser seine Haftstrafe wie gefordert bis zum 1. Februar antritt. Doch wer weiß, was er sonst noch in der Hinterhand hat.

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