Joe Bidens Ukraine-Äußerungen: Kleine und große Invasionen

Biden hat mit seinen Äußerungen den Europäern einen Gefallen getan. Er hat gezeigt, dass der Schlüssel zur Konfliktlösung nicht in Washington liegt.

Joe Biden hält die Hände, um eine Größe anzuzeigen

Joe Biden bei der Pressekonferenz Foto: Susan Walsh/ap

Ist eine Invasion eine Invasion? Oder gibt es davon kleine und große? Was macht eine kleine Invasion groß? Wer misst den Unterschied? Und welches Maß wird angelegt?

Joe Biden scheint über diese Nuancen klare Ansichten zu haben. So jedenfalls klang es, als der US-Präsident am Mittwoch auf einer Pressekonferenz im Weißen Haus die Kategorie „­minor ­incursion“ einführte (auf Deutsch „geringfügiges Eindringen“,„kleine Invasion“) – Russlands in die Ukraine nämlich – und erklärte, dass die Reaktionen darauf anders, also kleiner, ausfallen würden als auf eine große Invasion.

Was Biden gesagt hat, wurde mit den anschließenden Interpretationsversuchen seiner Sprecherin noch nebulöser. Und es scheint, als könnte es die Versuche seiner UnterhändlerInnen, die in diesen Tagen in diplomatischer Mission unterwegs sind, konterkarieren. Aber entgegen den Behauptungen von Konservativen hat es die Kriegsgefahr in der Ukraine nicht erhöht, und Biden hat Wladimir Putin auch keine Geheimnisse verraten.

Der russische Präsident weiß, dass die Mitgliedsländer der Nato zu vielen Dingen in diesem Konflikt unterschiedliche Positionen vertreten: zum Umgang mit Moskau, zu einer Nato-Mitgliedschaft der Ukraine und zur militärischen Aufrüstung von Russlands Nachbarländern. Putin ist ebenfalls klar, dass weder die USA noch die Nato willens sind, wegen der Ukraine Krieg zu führen.

Militärische Umzingelung Russlands

Trotz – oder gerade wegen – der ungeschickten und unklaren Äußerungen könnte Biden den europäischen Nato-PartnerInnen aber einen Gefallen getan haben. Denn er hat einmal mehr klargemacht, dass Washington nicht der Ort ist, von dem die Lösung eines potenziellen bewaffneten Konflikts in der Ukraine zu erwarten ist.

Seit der Wende von 1989 haben die USA Osteuropa als eine Chance für die Ausdehnung ihres Einflussgebietes betrachtet. Dabei haben sie der militärischen Umzingelung Russlands eine zentrale Rolle gegeben. Sie taten, als wäre die Ausdehnung der Nato die logische Konsequenz des Endes des Kalten Krieges. Westeuropa hat das toleriert.

Dabei zeigt der Blick in die Geschichte des 20. Jahrhunderts, dass auch die USA nicht bereit sind, eine Aufrüstung direkt vor ihren Landesgrenzen zu tolerieren. Als Moskau 1962 Raketen auf Kuba stationieren wollte, bereitete Washington einen Krieg vor.

Für die Europäer – das ist eine mögliche Lehre aus Bidens Auftritt – ist es ein Fehler, den Konflikt in der Ukraine den Präsidenten von zwei Großmächten zu überlassen, die bei diplomatischen Konflikten vor allem in militärischen Kategorien denken. Statt kleine und große Invasionen zu definieren, wäre es höchste Zeit, auf allen Seiten abzurüsten.

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