Poetin für den Bundestag: Kitschige Staatspoesie

Katrin Göring-Eckardt will eine „Parlamentspoetin“ anheuern. Bitte nicht! Gefällige Auftragskunst fürs Grünen-Milieu braucht niemand.

Mehrere Personen formen ein Herz mit ihren Händen

Groschenromantik: Bundestagsvize Katrin Göring-Eckardt (hier 2011 als Kirchentagspräsidentin) Foto: Arno Burgi/dpa/picture alliance

BERLIN taz | Hach, wie schön kann staatstragende Poesie – oder besser Propaganda – sein. Gut illustriert zum Beispiel an der „Du bist Deutschland“-Kampagne, mit der die Bertelsmann-Stiftung die verunsicherte Bevölkerung auf die brutalen Sozialstaatseingriffe der Agenda 2010 einschwören wollte. „Ein Schmetterling kann einen Taifun auslösen“, dichtete damals Sandra Maischberger. Fußballer, Rapper, Schauspieler, Prominente trugen Gedichtzeilen vor, deren Tenor war: Hört auf, euch zu beschweren. „Wie wär’s, wenn du dich mal wieder selbst anfeuerst?“, und „Behandele dein Land doch wie einen guten Freund, mecker nicht, sondern biete ihm deine Hilfe an“, hieß es am Ende. Eine Kampagne, die auch heute zu Recht noch Würgereize auslöst.

Es gibt einen Grund, warum man sich den grotesken neoliberalen Zeitgeist von damals erneut ins Gedächtnis rufen sollte. Katrin Göring-Eckardt, als Fraktionsvorsitzende der Bundestags-Grünen eine der damals größten Hartz-IV-Befürworterinnen ihrer Partei, hat sich mit einem Vorschlag zu Wort gemeldet. Nachdem man sie im Zuge der Ministerrochade ihrer Partei ins Bundestagspräsidium abschob, will sie nun eine „Parlamentspoetin“ anheuern. Das Ziel laut Göring-Eckardt: „Mit Poesie einen diskursiven Raum zwischen Parlament & lebendiger Sprache öffnen.“ Heißt übersetzt vermutlich: Wohlige Auftragskunst im Dienst der Herrschenden und Politikkitsch.

Vorbild ist Kanada, wo es bereits eine Parlamentspoetin gibt. Der Vorschlag, eine solche Position im Bundestag zu schaffen, stammt von den Schriftstellern Mithu Sanyal, Dmitrij Kapitelman und Simone Buchholz. In der „Stellenbeschreibung“ in der Süddeutschen Zeitung heißt es, die entsprechende Amtsträgerin solle unter anderem „politische Debatten und Strömungen in Poesie oder Prosa gießen.“ Über „Leuchtschriften oder Lichtinstallationen an der Bundestagsfassade“ solle die Arbeit des Poeten publiziert werden. Klingt nach billiger Fassadenwerbung, ist es wohl auch.

Neben Kanada dürfte als Inspiration für den Vorschlag wohl die medial viel beachtete Rede der schwarzen Dichterin Amanda Gorman dienen. Die damals 22-Jährige trug bei Joe Bidens Amtseinführung ein Gedicht vor, das die woke bubble der US-amerikanischen professionellen Managerklasse in Entzückung versetzte. Die Harvard- und Privatschule-gestählte Staatspoetin sprach davon, wie sie als „dünnes schwarzes Mädchen“ und „Nachfahrin von Sklaven“ davon träumen könne, Präsidentin zu werden. Die zahlreich bei der Amtseinführungsfeier vertretenen Lobbyisten werden ihre Kampagne in einigen Jahrzehnten zweifellos unterstützen.

Dass diese Interessengruppen mit viel Geld an Demokratenpolitiker, die gern ihre Taschen öffnen, die Einführung einer allgemeinen Krankenversicherung, höhere Mindestlöhne und bessere Arbeitsrechtsstandards verhindern, fällt da nicht ins Gewicht – obwohl die schwarze Lagerhausarbeiterin bei Amazon davon ungleich mehr profitieren würde als von kitschigen Politikinszenierungen, die der abgehängten Arbeiterschaft suggerieren soll, dass es so etwas wie einen „Amerikanischen Traum“ doch noch gebe. Aber als Staatspoetin kann man sich sein Publikum halt nicht aussuchen, wenn man noch was werden will.

Diversity soll im Mittelpunkt stehen

Die Grünen mit ihrem Hang zu Kitsch würden die unsäglich überhöhten US-amerikanischen Politikinszenierungen sicher besonders gern nach Deutschland holen. Während man gemeinsam mit der FDP die Aktienrente und den 13-Stunden-Arbeitstag durchwinkt, kann ein wenig Groschenromantik bei der Inszenierung sicher nicht schaden.

Diesen Braten hat die ehemalige Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth schon 2012 gerochen, als sie in der Talkshow von Benjamin von Stuckrad-Barre zu einer Herzgeste von Göring-Eckardt sagte: „Das ist so eine Mischung aus Tchibo-Werbung und dem eingebauten Wort zum Sonntag, was die Grünen jetzt haben. Das ist dämlicher Kitsch. Etwas, das Leute brauchen, die harte Entscheidungen wie Agenda 2010, Hartz IV und Jugoslawien-Krieg treffen, aber dann mit Herzchen rumlaufen und ganz zuckersüß lächeln. So ’ne Bagage habe ich richtig lieb.“ Tchibo-Werbung und Wort zum Sonntag. Das klingt ja eigentlich schon fast poetisch.

Natürlich soll laut Vorstellung der Initiatoren das Thema Diversity im Mittelpunkt stehen. Eine türkischstämmige Poetin, danach eine Schriftstellerin aus Ruanda oder ein syrischer Maler sollen es sein. Eine „Irritation“ oder einen „Störfaktor“ soll der Parlamentspoet aber auch darstellen. Fragt sich nur, für wen, wenn die Kohle für dessen Arbeit aus der Bundestagsverwaltung kommt. Zu erwarten sind wohl eher Gedichte über die eigene Marginalisierung und die „Querdenker“-Bedrohung als über die Hartz-IV-Vergangenheit des grünen Spitzenpersonals, Lobbyismus im Bundestag oder die bedenkliche Überlagerung gesellschaftspolitischer Modernisierungsanliegen gegenüber Verteilungsfragen.

Empörung wird man vermissen

Ein Charles Bukowski, der mit derben Begriffen und politisch unkorrekter Sprache dem Wohlstandsmilieu den Spiegel vorhält, hätte wohl (unabhängig von seinem Ableben 1994) als „alter weißer Mann“ eh keine Chance. Zum Zuge dürfte eher die institutionennahe Kulturszene kommen, die ohnehin am besten weiß, wie man die eigene Arbeit so gestaltet, dass man möglichst viele Bücher verkauft und Subventionen abgreift. Subversion ist vom Parlamentspoeten nicht zu befürchten.

Eine kleine Anekdote zum Schluss: Als Wolf Biermann 2014 zum Mauerfallgedenken in den Bundestag eingeladen wurde und Bundestagspräsident Norbert Lammert ihn davon abhalten wollte, die Linkspartei (mit zugegeben reaktionären Argumenten) zu provozieren, antwortete dieser: „Ich habe mir in der DDR das Reden nicht abgewöhnt und das werde ich hier schon gar nicht tun.“

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