Niedrige Ziele, große Ambitionen

Die Klimaverschlechterung trifft Israel besonders hart. In der öffentlichen Debatte spielt das Thema aber eine untergeordnete Rolle. Ak­ti­vis­t*in­nen wollen das nun ändern – und erzielen erste Erfolge

Klimaaktivist Yonah Benstein in Tel Aviv Foto: Judith Poppe

Aus Tel Aviv Judith Poppe

Ach was, Klimawandel“, winken viele Israelis ab, wenn bleischwer eine Hitzewelle über dem Land liegt: Eine Hitzewelle, die dir das Gefühl gibt, in einer Sauna zu sitzen, ohne Sanduhr und Ausgangstür, die es dir unmöglich macht, den Fuß vor die Haustür zu setzen, die Tote fordert und Waldbrände verursacht. Auch nachts fallen die Temperaturen nicht auf ein erträgliches Maß.

Im August 2021 kochte es eine Woche, das Thermometer stieg auf 46 Grad im Jordantal und in der Arava-Wüste. Dass die Hitze so lange anhält und so hohe Temperaturen erreicht, ist laut einem Bericht des israelischen Meteorologischen Dienstes „unnormal“ selbst für die Sommermonate, für manche Teile des Landes „beispiellos“ – und für einige ein beängstigender Vorgeschmack auf das, was mit dem Klimawandel kommen möge. „Israel ist nun einmal ein heißes Land, war es immer schon“, hörte man jedoch von vielen anderen, selbst von denjenigen, die die Nachrichten verfolgen.

Der Bericht des Meteorologischen Dienstes zeigt, dass Israel die Klimaerwärmung besonders hart trifft. Das Land hat die 1,5-Grad-Schwelle bereits überschritten: In den letzten drei Jahrzehnten, von 1990 bis heute, sind die Temperaturen um 1,7 Grad gestiegen.

Und doch ignorieren viele Israelis die Bedrohung, die der Klimawandel darstellt. Eine Studie des nichtstaatlichen Meinungsforschungsinstituts Pew Research mit Sitz in Washington hat Menschen in 26 Ländern befragt, ob Klimawandel eine große, kleine oder gar keine Bedrohung darstellt. Griechenland führt die Liste an, 90 Prozent glauben dort, dass der Klimawandel in der Tat eine große Bedrohung darstellt. Israel rangiert mit 68 Prozent auf dem letzten Platz.

Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern, Kriege oder nationalreligiöse Themen stehen in diesem Land immer ganz oben auf der Agenda“, sagt Yonah Benstein in einem Café in Tel Aviv. Eigentlich lebt und studiert der 24-Jährige in Jerusalem, doch für ein Treffen mit anderen Bewegten ist der Umweltaktivist in die Küstenstadt gekommen. „Klima gerät hier immer ins Hintertreffen – auch in der medialen Berichterstattung.“

Das Land hat die 1,5-Grad-Schwelle bereits überschritten: Von 1990 bis heute sind die Temperaturen um 1,7 Grad gestiegen

Und doch: Langsam kommt das Land in Gang – auf der Straße, in der Berichterstattung und in der Politik, dank Ak­ti­vis­t*in­nen wie Benstein. Bei ihm kann von fehlendem Umweltbewusstsein nicht die Rede sein. Sein Vater hat Ende der 1990er Jahre das einflussreiche Heschel-Institut für Nachhaltigkeit in Tel Aviv mitgegründet, seine Mutter am Heinrich-Böll-Institut in Tel Aviv gearbeitet. Mit sieben Jahren beschloss er, Vegetarier zu werden, mit 14 wurde er vegan. Er fühlte sich als Alien unter lauter Gleichaltrigen, die von Klimawandel und Umweltschutz so gut wie nichts gehört hatten, regte sich auf, wenn jemand zu viel Papier verbrauchte.

Mit der Zeit verschob sich seine Fokussierung, weg vom individuellen Konsum. Als 2018 der IPCC-Bericht erschien, der der Menschheit zwölf Jahre Zeit gab, die Erderwärmung auf 1,5 Prozent zu begrenzen, wurde Benstein politisch aktiv. Er studierte zu der Zeit in den USA, trat dem Sunrise Movement bei und war einer der Aktivist*innen, die das Büro der Demokratin Nancy Pelosi besetzten, wenige Tage nach den Midterm-Wahlen. Die Demokraten hatten gerade das Repräsentantenhaus wiedergewonnen, Pelosi wurde zur Sprecherin des Repräsentantenhauses. „Which side are you on“, sangen die Ak­ti­vis­t*in­nen und forderten Pelosi auf, sich auf ihre Seite zu stellen und den Green New Deal zu unterstützen: Konzepte, mit denen eine ökologische Wende weg von der Industriegesellschaft eingeleitet werden soll.

„Für mich ist der Green New Deal zentral in meinem Aktivismus. Er ermöglicht uns, die Klimakrise ganzheitlicher zu betrachten, Klima und soziale Themen zu verbinden, Hoffnung zu stiften und Gesellschaft als Ganzes voranzubringen“, sagt Benstein. Als er nach Israel zurückkehrte, wurde er aktiv bei Green Course, der größten Umweltorganisation Israels, und schließlich dort Community Organizer. Teil seiner Aufgabe ist es, die Hebräische Universität Jerusalem dazu zu bringen, öffentlich zu erklären, aus jeglichen Investitionen in fossile Unternehmen auszusteigen und keine Spenden und Investitionen von ihnen mehr entgegenzunehmen.

Israel hinkt weltweit hinterher in den Klimaschutzbemühungen. Kurz vor der Konferenz in Glasgow zeichnete der staatliche Rechnungsprüfer ein düsteres Bild von Israels Bemühungen, den CO2-Ausstoß zu reduzieren: Man habe sich zu niedrige Ziele gesetzt und werde selbst diese nicht erreichen. Israel sei eines der wenigen Länder, das keinen genehmigten und finanzierten Plan zur Bekämpfung der Klimakrise habe, die Investitionen der Regierung in saubere Technologien seien besonders niedrig.

„Ein häufig gehörtes Argument ist, dass Israel ein so kleines Land ist, dass sein CO2-Fußabdruck kaum ins Gewicht fällt“, sagt Yonah und zieht die Augenbrauen hoch. „Dabei geht es nicht nur um den Verbrauch. Es geht beispielsweise um die Gasvorkommen und um die Ölpipeline, mit der Israel zu großen Teilen zum CO2-Ausstoß beiträgt.“ Die Ölpipeline zwischen Eilat und Ashkelon und damit der sogenannte RedMed-Deal sind derzeit in aller Munde. Die Sache war Teil des Normalisierungsabkommens zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten im Jahr 2020. Die Vereinigten Arabischen Emirate wollten Öl über Israel nach Europa transportieren. Dafür sollte Eilat, die beliebte Touristenstadt am Roten Meer mit seinen einzigartigen Korallenriffen, in einen riesigen Ölhafen verwandelt werden, ebenso die Mittelmeerstadt Ashkelon. Eine bereits existierende Pipeline sollte das Öl vom Roten Meer ans Mittelmeer weiterleiten, von wo aus es auf Öltankern weiter nach Europa verschifft werden sollte. Israel würde mit diesem Deal indirekt einen riesigen Teil zum CO2-Ausstoß beitragen.

Lecke Pipeline in der Arava-Wüste Foto: Abir Sultan/Epa

„Die Firma EAPC, die für die Pipeline zuständig ist, hat einen denkbar schlechten Ruf“, sagt Benstein. Er weiß, wovon er spricht. Als Jugendlicher besuchte er ein Umweltinternat in der Arava-Wüste im Süden Israels. Als 2014 ein Leck in einer Ölpipeline rund 5 Millionen Liter Rohöl in die Wüste spülte und eine der schlimmsten Umweltkatastrophen des Landes verursachte, fuhr er gemeinsam mit den anderen Schü­le­r*in­nen und Leh­re­r*in­nen dorthin und half mit Handschuhen und Masken bei den Aufräumarbeiten. Nun kämpft er mit Green Course gegen den RedMed-Deal. Mit dem Regierungswechsel kann er neue Hoffnung schöpfen. Denn die wohl denkbar breiteste Regierungskoalition in der israelischen Geschichte wird zwar vom ultrarechten Naftali Bennett angeführt, gleichzeitig sind an ihr aber auch linke Parteien beteiligt, die sich den Klimaschutz auf die Fahnen geschrieben haben. Die neue Umweltministerin Tamar Zandberg von der linken Partei Meretz hat das Projekt einer Überprüfung unterzogen und den Ausbau der Häfen und der Pipeline eingefroren. Rückendeckung kam Mitte Dezember vom Generalstaatsanwalt. Er entschied, dass das Umweltministerium die volle Entscheidungsmacht hat, gegen die Vereinbarung vorzugehen.

Einen weiteren Etappensieg haben die Umweltschutzorganisationen in Bezug auf die 2009 entdeckten Gasvorkommen im Mittelmeer vor der israelischen Küste erzielt. „Die Bezeichnung ‚natürliche Gasvorkommen‘ suggeriert, dass Gas keine Belastung für das Klima darstelle. Doch das stimmt nicht“, erklärt Benstein. „Und das liegt am Methan. Methanlecks gehen Hand in Hand mit unseren Verfahren zur Gewinnung, Speicherung und Verbrennung von Erdgas.“ Vor drei Wochen untersagte Umweltministerin Zandberg für ein Jahr die Suche nach weiteren Gasvorkommen im Mittelmeer.

Es gibt sie, die Etappensiege. Und doch kennt Benstein natürlich die Klimaangst, die vor allem unter der jungen Bevölkerung grassiert. „Dagegen“, sagt er, „hilft mir vor allem eins: aktiv sein. Dosiert, um nicht völlig auszubrennen. Und organisiert, um effektiv zu sein.“