Nachverdichtung ohne Pappeln

An­woh­ne­r*in­nen in Friedrichshain kämpfen seit Jahren für den Erhalt mehrerer Bäume in ihrem Hinterhof. Diese sollen einem Neubau weichen

Noch stehen die Bäume: Der Innenhof in der Friedrichshainer Pintschstraße Foto: Nora Börding

Von Josua Gerner

„Wer möchte leben ohne den Trost der Bäume!“, heißt es in Günter Eichs Gedicht „Ende eines Sommers“. Während Eich die Bäume als Symbol für die Angst vor dem Herbst des Lebens nutzt, sorgen sich Menschen in Berlin-Friedrichshain akut um die Bäume in ihrem Innenhof. In der Pintschstraße ragen sieben große, über 50 Jahre alte Pappeln in die Höhe. Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM) will die Bäume fällen, um in dem grünen Innenhof ein neues Wohnhaus mit 29 Mietwohnungen zu bauen. Als Maßnahme zur Nachverdichtung. In dem Innenhof stehen insgesamt 13 Bäume, hinzu kommen Sträucher, in denen angeblich Igel nisten. Bei Neubau müssten alle weichen.

In der Anwohnerschaft regte sich schon bei der Ankündigung der Baumaßnahmen Protest: Die Initiative „Erhaltet unsere grünen Friedrichshainer Innenhöfe“ versucht seit 2018 mit verschiedenen Aktionen die Bebauungspläne zu verhindern (taz berichtete). Doch auch drei Jahre später stehen die Bäume noch. Die Betonung liegt allerdings auf „noch“ – nur um Haaresbreite sind sie im vergangenen November der Axt und Säge entkommen. Ein erneuter Fälltermin könnte in wenigen Wochen anstehen.

Der Zaun, der den Innenhof umgibt, ist geschmückt mit Transparenten. Auf einem steht: „Frau Giffey, bitte schützen Sie unsere Gesundheit!“ An den Pappeln selbst hängen Fotos und die Namen bekannter Persönlichkeiten und Funktions­träger*innen: „Ich bin Baumpate und bitte um Gnade!“ steht etwa neben einem Bild von der Klima-Aktivistin Luisa Neubauer. Auch die Schauspielerin Nina Kunzendorf und Pascal Meiser, Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis und Bezirksvorsitzender der Linken in Friedrichshain-Kreuzberg, sind mit Fotos vertreten. Es wirkt, als hätten sie sich an die Bäume gekettet, um zu verhindern, dass sie gefällt werden. Alle solidarisieren sich mit den An­woh­ner*innen.

„Luisa Neubauer war zwar noch nicht hier, hat uns aber ausdrücklich ihre Unterstützung zugesagt“, sagt Kirsten Reinhold, Sprecherin der Initiative, die sich nach eigenen Angaben gegen eine quantitative Nachverdichtung der Stadt und einen damit verbundenen Verlust von Lebensqualität für Berlins Be­woh­ne­r*in­nen einsetzt. Bei einem ähnlichen Bauprojekt in der Landsberger Allee hatten sie bereits gegen Baumfällungen protestiert. Inzwischen sind die Bäume dort aber gefällt.

Die meisten Geschichten enden nicht einfach, nachdem in der taz darüber berichtet wurde. Deshalb fragen wir und haken noch einmal nach: In unserer Serie „Was macht eigentlich …?“ rund um den Jahreswechsel 2021/22 nehmen wir den Faden erneut auf und erzählen einige Geschichten weiter.

Teil 5: Mehrere Pappeln in einem Friedrichshainer Hinterhof sollen einem Neubau weichen. Eine Anwohner*inneninitiative möchte die Bäume erhalten und wehrt sich gegen die Neubaupläne. Dazu haben sie nun eine Resolution gestartet und sogar einen Wachdienst organisiert.

Alle Texte der „Was macht eigentlich ...“-Serie lassen sich auch online auf unserer Webseite: taz.de/berlin nachlesen. (taz)

Auch für die Pappeln im Hinterhof der Pintschstraße sieht es nicht gut aus: Momentan liegen sowohl eine Fällgenehmigung als auch eine Baugenehmigung für den Neubau vor. Im November war es sogar schon so, dass eine Fällung der Bäume quasi in letzter Sekunde verhindert wurde. Wie Kirsten Reinhold erzählt, war der Bereich um die Pappeln bereits großflächig abgesperrt worden. Die An­woh­ne­r*in­nen hatten sich von ihren Bäumen schon mit einer Art Trauerfeier verabschiedet, berichtet sie.

Doch dann die überraschende Wende: Der zuständige Baumpfleger, der mit der Fällung beauftragt war, entschied nach einer Begutachtung und Gesprächen mit Ak­ti­vis­t*in­nen dann spontan die Bäume stehen zu lassen. Lieber gebe er den Job ab und verzichte auf das Geld, als diese kerngesunden Bäume zu fällen, habe der Mann gesagt. „Seitdem haben wir eine Wache eingerichtet. Wenn wieder jemand kommen sollte, um die Bäume zu fällen, sind wir alarmiert“, erklärt Reinhold. Die Initiative hat sogar eine Patrouille mit festem Zeitplan zum Schutz der Bäume eingerichtet – vormittags zwischen 7 und 12 Uhr stehen An­woh­ne­r*in­nen dort abwechselnd Wache.

„Wir sind nicht gegen neue Wohnungen, sondern nur für sozialverträgliches und wirklich nachhaltiges und ökologisches Bauen in Zeiten des Klimanotstands“, sagt Sprecherin Reinhold. So, wie es auch im neuen Koalitionsvertrag stehe. In dem steht allerdings auch, dass jährlich 20.000 neue Wohnungen in Berlin gebaut werden sollen. Der Konflikt ist vorprogrammiert: Klimaschutz oder Schaffung von bezahlbarem Wohnraum?

Die Initiative appelliert nun an die neue Berliner Regierung. Die Entscheidung liegt letztlich aber bei der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft. Der Wunsch nach Nachverdichtung in Friedrichshain, einem ohnehin schon eng bebauten Stadtteil, scheint allerdings groß zu sein. Präzedenzfall war die Fällung von Bäumen im Zuge einer Neubebauung in der Landsberger Allee. Dort konnten die Proteste die Kettensägen im Endeffekt nicht stoppen.

Zuversichtlich, dass es in der Pintschstraße anders kommt, sind die Ak­ti­vis­t*in­nen der Initiative für ein grünes Friedrichshain nicht. Ver­tre­te­r*in­nen der Linken und Grünen wollten zwar mit einer Resolution die nochmalige Prüfung des Projekts erwirken, laut Initiative habe die SPD diese aber an einen noch zu gründenden Ausschuss verwiesen. In der Resolution heißt es: „Wir halten die Nachverdichtungsmaßnahme in der Pintschstraße für ökologisch und stadtklimatisch falsch, wir fordern die WBM daher auf, die neu vergebenen Baumfällungsarbeiten in der Pintschstraße nicht durchzuführen und das geplante Bauprojekt anzupassen.“

Der schon beauftragte Baumfäller ließ die Bäume stehen und verzichtete auf den Job

Die Ak­ti­vis­t*in­nen hoffen zwar noch, dass – solange es den Ausschuss nicht gibt – die Bäume nicht gefällt werden. Realistisch ist aber eher, dass mit der Fällung noch in den kommenden Monaten begonnen wird. Dieser Zeitpunkt würde inmitten der Winterruhe vieler Tiere fallen, wie zum Beispiel von Fledermäusen, die in den Pappeln leben.

Auf ihrer Website versucht die Wohnungsbaugesellschaft WBM zumindest transparent mit der Umweltverträglichkeit des Bauvorhabens umzugehen. So wird dort beispielsweise auf eine faunistische Untersuchung verwiesen. Und laut WBM kam ein unabhängiges Artenschutzgutachten zu dem Schluss, dass die Bebauung des Innenhofes dem Naturschutz nicht entgegensteht. Für den Neubau müssen insgesamt dreizehn Bäume weichen, die WBM hat angekündigt, acht neue Bäume nach Abschluss der Bauarbeiten im Innenhof zu pflanzen.

Geg­ne­r*in­nen der Nachverdichtung in Friedrichshain argumentieren, dass dieser Bereich Berlins ohnehin schon am dichtesten besiedelt sei. Sie führen außerdem die fortschreitende Bodenversiegelung als Problem auf. Diese führe dazu, dass Wohnungen sich in den Sommermonaten stärker aufheizen, die Luftverschmutzung sich erhöht und Vögel, Insekten und Säugetiere ihren Lebensraum verlieren. Hinzu kommt, dass Begegnungsflächen für die Be­woh­ne­r*in­nen zerstört werden – dies könne Vereinsamung begünstigen, meint die Initiative.

Foto: Giffey und Lederer im November 2021 bei der Initiative Foto: Paul Zinken/dpa

Die Bürgerbeteiligung, die die landeseigene WBM auf ihrer Website bei dem Bauvorhaben propagiert, fand laut Kirsten Reinhold nicht in zufriedenstellendem Maße statt. Es habe im Vorhinein zwei von der WBM organisierte, zum gegenseitigen Austausch gedachte Workshops zu dem Vorhaben gegeben. Allerdings sei zu dem Zeitpunkt die Baugenehmigung bereits erteilt gewesen.

Die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum in Berlin ist zurzeit das zentrale Thema. Im Wahlkampf und in den Koalitionsverhandlungen waren die Punkte Wohnen und Bauen omnipräsent. Ähnliche Schlagkraft hat der Klimawandel. Im Innenhof in der Pintschstraße prallt beides aufeinander.

Der Innenhof ist zu dieser winterlichen Jahreszeit zwar kahl, im Sommer stellt er aber eine grüne Lunge im Kiez dar. Die massiven Bäume, die sogar die sechsstöckigen Häuser überragen, sind den An­woh­ne­r*in­nen ein Lebensquell. Sie nennen ihren Innenhof „die Oase“, ein Ort, an dem man Trost findet. Den Trost der Bäume. Ohne sie wird es trostlos.