„Die Linke ist nicht nur Sahra Wagenknecht“

Susanne Spethmann und Oleg Gussew sind seit November das neue Landessprecherteam der Linken in Schleswig-Holstein. Im Mai wollen sie in den Landtag einziehen

Wollen in Schleswig-Holstein die Fünf-Prozent-Hürde schaffen: Oleg Gussew und Susanne Spethmann Foto: Andreas Oetker-Kast

Interview Esther Geißlinger

taz: Frau Spethmann, Herr Gussew, ist die Linke „im Selbstzerstörungsmodus“, wie die Aktivistin Carola Rackete meinte?

Susanne Spethmann: Puh, das geht gleich mit dem Schwierigsten los … Es ist schade, dass in der Berichterstattung mehr auf Streitigkeiten geschaut wird statt auf Inhalte.

Oleg Gussew: Ja, das ist bedauerlich. In der Debatte um die Wahl von Klaus Ernst hat mich gestört, dass viele sehr plakativ mit Austritt gedroht haben.

Sie meinen die Nominierung des Ex-Parteichefs Klaus Ernst – Spitzname „Porsche-Klaus“ – zum Vorsitzenden des Energie- und Klimaausschusses. Da gab es wütende Reaktionen der Basis.

Gussew: Aber ein Feuer löscht man nicht durch Weggehen. Statt sich abzuwenden, sollten die Menschen mit uns an Lösungen arbeiten.

Ob die Medien nun berichten oder nicht, die Debatten sind ja da. Was wollen Sie als Landessprecherteam tun, um das öffentliche Bild zu ändern?

Spethmann: In Schleswig-Holstein können wir durch Zusammenhalt und Teamarbeit zeigen, dass wir an einem Strang ziehen und die Politik in den Vordergrund stellen.

Susanne Spethmann 42, stammt aus Neustadt (Holstein), hat in der Psychiatrie als Krankenschwester und in einem ambulanten Palliativteam gearbeitet. Zurzeit betreut sie psychisch kranke Straftäter.

Gussew: Die Linke ist hier im Land in vielen Kreistagen und Kommunen vertreten und macht tolle Arbeit, das wird oft vergessen.

Frau Spethmann, Sie sind für den Bundestag angetreten, jetzt bleiben Sie in Schleswig-Holstein. Ist das die schwerere Aufgabe, oder sind Sie froh, sich aus dem Zoff der Bundespartei heraushalten zu können?

Spethmann: Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich mit Listenplatz vier den Sprung in den Bundestag schaffe. Aber ich fand es wichtig als Krankenschwester für das Parlament zu kandidieren. Die Aufgabe an der Spitze der Landespartei ist schwierig – das Ergebnis der Bundestagswahl hat vielen Mitgliedern Bauchschmerzen bereitet, trotzdem müssen wir nun für die Landtagswahl motivieren und mobilisieren.

Bei der Landtagswahl 2017 bekam die Linke 3,8 Prozent, bei den Bundestagswahlen 3,6 Prozent. Wie wollen Sie den Trend umdrehen?

Gussew: Wir müssen deutlich machen, dass wir gebraucht werden. Unsere Kernthemen – soziale Gerechtigkeit, Bildung, ein gutes Leben für alle – sind in den Hintergrund gerutscht. Die Ampel wird uns Möglichkeiten bieten, unsere Felder zu bespielen.

Das war die Parteitagsrede – was heißt das konkret?

Gussew: Nur ein paar Beispiele aus Schleswig-Holstein: Die Jamaikaregierung hat den Landesmindestlohn abgeschafft, sie hat den sozialen Wohnungsbau stiefmütterlich behandelt. Die Grünen haben dem Abschiebegefängnis in Glückstadt zugestimmt. Die Berufliche Bildung ist dem Wirtschaftsministerium zugeschlagen worden … Um gegen solche Entscheidungen ein Gegengewicht zu schaffen, braucht es eine Partei, die im Landtag opponiert.

„Wenn das Elternhaus den Bildungsabschluss bestimmt, läuft etwas falsch“

Oleg Gussew

Aber das Bild der Linken ist nicht so klar, allein weil eine sehr sichtbare Person wie Sahra Wagenknecht Positionen vertritt, die Parteitagsbeschlüssen widersprechen.

Spethmann: Wir können durch das eigene Auftreten und Handeln zeigen, dass wir die mit den guten Ideen sind. Die Linke ist nicht der Konflikt und nicht nur Sahra Wagenknecht.

Gussew: Wenn es ein Programm gibt, hinter dem 99 Prozent der Partei stehen und eine Stimme schießt dagegen, dann gilt es, diese Stimme zu ignorieren. Unser Programm macht klar, dass wir die Partei aller lohnabhängig Beschäftigten sind. Viele Menschen mit mittleren Einkommen meinen, linke Politik würde sie Geld kosten. Aber die meisten Menschen verdienen nicht genug, dass die Steuerpläne der Linken sie berühren.

Spethmann: Wir meinen nur die Superreichen.

Frau Spethmann, als Krankenschwester ist Ihr Kernthema die Gesundheitspolitik. Was möchten Sie für Ihre Kol­le­g*in­nen erreichen?

Oleg Gussew 33, wurde in Leningrad geboren und kam 1995 mit seinen Eltern nach Schleswig-Holstein. Zurzeit arbeitet er an einer Projektschule und studiert Soziale Arbeit.

Spethmann: Es geht um soziale Gerechtigkeit – Gerechtigkeit, Frieden, Umwelt sind unsere Leitlinien, nicht nur im Wahlkampf. Aktuell brennt es gerade auf dem Wohnungsmarkt. Ich darf in Schleswig-Holsteins Küstenorten Menschen pflegen, aber kann nicht dort leben, weil Wohnraum in Ferienquartiere umgewandelt wird. Unter diesen Problemen leiden alle Beschäftigten in sozialen Berufen von der Reinigungskraft bis zum Busfahrer. Wobei meine Kol­le­g*in­nen durch Corona besonders belastet sind.

Gussew:Die soziale Frage lässt sich auf allen Themenfeldern bearbeiten. Bleiben wir bei Corona: Zum Anfang der Pandemie hieß es, wir säßen alle im gleichen Boot – aber das tun wir nicht. Homeoffice im Loft oder als Familie mit Geldsorgen in einer kleinen Wohnung ist nicht dasselbe. Den Betroffenen wollen wir Gesicht und Stimme geben. Wir müssen unsere politische Utopie erklären, auch wenn nicht alles sofort umsetzbar ist.

Okay, dann utopisch: Frau Spethmann, Sie ersetzen ab morgen Karl Lauterbach als Bundesgesundheitsministerin. Wo würden Sie ansetzen, um Strukturen im Gesundheitswesen zu ändern?

Spethmann: Die Privatisierung von Kliniken war der größte Mist. Die Konzerne zu zerschlagen wäre eine richtig gute Idee. Dann würde ich an die Tarifverträge ran, und wenn unterm Strich mehr Personal auf den Stationen arbeitet, hätte ich schon etwas Gutes getan. Also: Falls Herr Lauterbach Hilfe möchte, ich würde kommen!

Herr Gussew, welches Ministerium hätten Sie gern?

„Die Privatisierung von Kliniken war der größte Mist“

Susanne Spethmann

Gussew: Da ich Lehramt Englisch und Russisch studiert habe und aktuell in einer Projektschule für Kinder außerhalb des Regelsystems arbeite, wäre das wohl Bildung, und weil das Ländersache ist, hier im Land. Mir geht es um Teilhabe: Wenn das Elternhaus den Bildungsabschluss bestimmt, läuft etwas falsch. Ich bin für eine Schule für alle. Nicht vergessen dürfen wir, gerade im Zusammenhang mit Corona, die Kinder außerhalb von Familien – in der Jugendhilfe, in Wohnungslosigkeit.

Sie wurden im November gewählt, die Landtagswahl ist im Mai. Wie wollen Sie bis dahin sich und Ihre Themen bekannt machen?

Gussew:Mit unserem klasse Wahlbüro und einem jungen Team, das richtig Lust hat auf Wahlkampf. Trotz der Rückschläge ist die Partei motiviert. Der Einzug in den Landtag ist nicht unmöglich. Im Januar werden wir bei einem Parteitag das Wahlprogramm beschließen. Wer die Landesliste führt, entscheidet ein weiterer Parteitag.

Spethmann: Ich habe es schon bei der Bundestagskandidatur gemerkt – die Leute haben Lust auf Haustürwahlkampf. Auch wenn die Pandemie alles schwieriger macht, herrscht großes Interesse an Politik.