Desinformation in der Coronakrise: Wenn die AfD über Leichen geht

In Baden-Württemberg sterben zwei AfD-Politiker an Corona. Die Partei verbreitet dennoch weiter Desinformationen und befeuert die Coronaproteste.

Alice Weidel und Tino Chrupalla winken den Demonstranten zu

Alice Weidel und Tino Chrupalla bei einer Demonstration gegen Coronamaßnahmen im Dezember Foto: dpa

BERLIN taz | Die Nachricht wurde über Weihnachten publik: In Baden-Württemberg verstarb der Rastatter AfD-Fraktionschef Roland Oberst laut Medienberichten an einer Corona-Infektion. Der 68-jährige Unterhaltungsmusiker lag mehrere Wochen im Krankenhaus, soll nicht geimpft gewesen sein. Sein Kreisverband verlautbarte, man verliere nicht nur eines der engagiertesten Mitglieder, sondern auch „einen guten Freund und Mitstreiter für die gute Sache“.

Es wirkte wie ein Déjà-vu. Denn erst kürzlich hatte die AfD in Baden-Württemberg einen Coronaverstorbenen zu beklagen: den Landtagsabgeordneten Bernd Grimmer. Der 71-Jährige gehörte zur völkischen Strömung der Partei und hatte sich offenbar aus ideologischen Gründen nicht gegen das Coronavirus impfen lassen. Schließlich war er am Wochenende vor Weih­nachten nach dreiwöchiger Erkrankung und einem Aufenthalt auf der Intensivstation verstorben. Seine Frau bestätigte seinen Tod an Covid. In Bezug auf die Coronaschutzmaßnahmen hatte er wie viele AfD-Politiker*innen von „Alarmismus“ und „Panikmache“ gesprochen und über Impfungen desinformiert.

Die AfD verschwieg in Trauerbekundungen zunächst die Todesursache. Nachdem verschiedene Medien darüber berichtetet hatten, kritisierte der Stadtverband Stuttgart in einem Nachruf die angebliche Instrumentalisierung von Grimmers Versterben – brachte es aber gleichzeitig fertig, seinen Tod im nächsten Atemzug selbst zu heroisieren. „Herr Grimmer hat seine Entscheidung gegen die Impfung getroffen. Das Risiko war ihm ohne Zweifel klar. Er hat sich trotzdem dagegen entschieden, weil für ihn die Freiheit wichtiger war“, hieß es in der Erklärung, die auch vom völkischen AfD-Bundestagsabgeordneten Dirk Spaniel unterschrieben ist.

Grimmer habe sich nicht zum „Versuchskaninchen von Pharma­lobby und Altparteien“ degradieren lassen wollen. Und: „Für uns ist er ein Held der Freiheit und der Liebe zur Wahrheit.“ Es wird sogar noch ruchloser: „Man muss auch damit rechnen, dass es noch zu weiteren Todesfällen kommen kann. Auch das wird man nicht ändern können – und ändert nichts an der Richtigkeit unserer Position.“

Keine Reflexion oder Kurskorrektur

So deutlich hat es die AfD wohl noch nicht formuliert: Die extrem rechte Partei ist bereit, für ihre Desinformationen zur Coronapandemie wortwörtlich über Leichen zu gehen – auch bei den eigenen An­hän­ge­r*in­nen. Der Fall zeigt, dass bei vielen AfDlern das ideologische Weltbild bereits so weit geschlossen ist, dass selbst Todesfälle und schwere Krankheitsverläufe in den eigenen Reihen keine Reflexion oder Kurskorrektur nach sich ziehen.

Alice Weidel, AfD-Fraktionschefin im Bundestag und Landesvorsitzende in Baden-Württemberg, stand jedenfalls schon kurz nach dem Tod von Bernd Grimmer auf einer AfD-Demo gegen die Coronamaßnahmen in Nürnberg und dankte den Teil­neh­me­r*in­nen, darunter auch zahlreiche Neonazis. „Extremisten“ wollte sie dort nicht erkannt haben, obwohl auch die bei Rechten beliebte Wirmer-Flagge vor der Bühne geschwenkt wurde.

Und Grimmer und Oberst sind nicht die einzigen AfDler mit schwerem Covid-Verlauf: Auch der sächsische Landtagsabgeordnete Ivo Teichmann wollte sich trotz Vorerkrankung nicht impfen lassen, stritt die Wirksamkeit von Impfungen ab und lag dann nach eigenen Angaben Anfang Dezember mit Corona-Infektion im Krankenhaus, musste beatmet werden. Auch danach zweifelte er öffentlich die Wirkung der Impfungen an, obwohl diese nachweislich das Risiko schwerer Verläufe deutlich verringern.

Der AfD-Abgeordnete Thomas Seitz („Die Krankheit gibt es in Statistiken, aber nicht in der Realität“) trug im Plenum des Bundestags erst ein Netz als Mundschutz, dann verschwieg sein Büro seine schwere Covid-Erkrankung im Dezember 2020 und sprach von „einer Grippe“. Seitz lag danach wochenlang auf einer Intensivstation, wäre fast verstorben und brauchte im Anschluss ein mobiles Beatmungsgerät. Mittlerweile bestreitet er nicht mehr die Existenz des Coronavirus, lehnt aber bis heute alle Infektionsschutzmaßnahmen ab. Die ersten Sitzungen der neuen Legislatur verbrachte er auf der Besuchertribüne, weil er einen 3G-Nachweis verweigerte.

Resistent gegen Fakten

Bereits Ende November verstarb der 72-jährige Gottfried Walter, der ebenfalls als strikter Impfgegner galt. Er soll sogar das Tragen einer Maske verweigert haben, wie das Main-Echo berichtet. Seine Frau erkrankte ebenfalls und starb. Ähnlich war es auch beim sächsischen AfD-Stadtrat Harald Hänisch, der sich sogar auf einer Querdenken-Demo infiziert haben soll und infolge der Infektion verstorben sein soll: Auch hier verschwieg die AfD Unterfranken in der Trauerbekundung zunächst die Todesursache.

Trotz all dieser Fälle untergräbt die AfD die Hoheit von Wissenschaft und staatlichen Institutionen, wo sie kann. Gegen Abgeordnete, Mitglieder und Mitarbeiter der AfD wird ermittelt, weil sie an der Fälschung von Impfpässen mitgewirkt haben sollen oder Anleitungen veröffentlichten, um Testergebnisse zu manipulieren. AfD-Abgeordnete empfehlen Pferde-Entwurmungsmittel als Covid-Medikament, obwohl daran Menschen nach der Einnahme gestorben sein sollen.

Wie faktenresistent die AfD ist, stellt die Partei in fast jedem Wortbeitrag zur Schau. Zwar sind auch Parteiangehörige wie Alexander Gauland oder Jörg Meuthen durchaus geimpft. Die meisten aber verbreiten Zweifel an der Wirksamkeit der Vakzine und schüren unverhältnismäßige Angst vor Nebenwirkungen. In Teilen der AfD gilt es regelrecht als verweichlicht, sich impfen zu lassen, wie es hinter den Kulissen heißt. Ebenso gibt es trotz zahlreicher Gegenbeweise die sozialdarwinistische bis latent faschistische Haltung, dass ja „nur“ Alte und Schwache an Corona sterben würden.

Um Coronamaßnahmen und damit den Staat zu untergraben, ist jedes Mittel recht: Unangenehm wurde es etwa kürzlich für die AfD-Fraktionsvorsitzende Weidel, als sie in einem TV-Interview kurzerhand Fakten erfand: Sie behauptete, dass mehr Geimpfte als Ungeimpfte auf den Intensivstationen lägen. Als Quelle für ihre Aussage benannte sie das Statistische Bundesamt. Die Behörde widersprach direkt: Eine solche Statistik führe sie gar nicht. Die richtigen Zahlen sind beim RKI zu finden und belegen, dass die Behauptung falsch ist.

Zu Beginn der Pandemie klang die AfD noch ganz anders

Und es ist nicht weniger erstaunlich, wenn mit AfD-Chef Tino Chrupalla (AfD) ein Malermeister einem Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), Professor für Epidemiologie, die Pandemie erklären will und diesem mit verdrehten Fakten „Demagogie“ vorwirft. Oder wenn er seine Maske unter der Nase trägt und permanent die in seinem Wahlkreis Görlitz besonders heftig wütende Pandemie verharmlost.

Dabei musste dort kürzlich sogar das Krematorium geschlossen werden – nach einem Schwelbrand, den die Feuerwehr auf Überlastung zurückführt. Bereits vergangenes Jahr zu Weihnachten waren die Krankenhäuser in der Region derart überlastet, dass sie teilweise keinen Platz mehr für die Toten fanden.

Angesichts dessen scheint es fast erstaunlich, dass die AfD zu Beginn der Pandemie gar härtere Maßnahmen gefordert hatte. Allerdings dauerte es nicht lange, bis Teile der Partei versuchten, sich als parlamentarischer Arm der selbst ernannten „Querdenker“ zu inszenieren. Gleichzeitig wütete die Pandemie dort besonders heftig, wo die AfD mehr Zuspruch erhält, wie unlängst eine Forschungsgruppe um den Soziologen Matthias Quent herausfand.

Für die AfD ist die Pandemie der derzeit zentrale Fokuspunkt für ihre Radikalisierung in den Parlamenten und auf der Straße: Christina Baum, AfD-Bundestagsabgeordnete und Zahnärztin, die ihre medizinische Maske fast immer unter der Nase trägt, sprach im Zusammenhang mit einer Impfpflicht für Pflegeberufe gar von einer „Knechtschaft des Volkes“.

Und sie sehnt sich offenbar nach autoritären Verhältnissen, wenn sie wie in ihrer ersten Bundestagsrede sagt: „Durch die namentliche Abstimmung zu diesem Gesetz werden die Bürger zumindest genau wissen, wen sie zu gegebener Zeit zur Rechenschaft ziehen müssen.“

Auf der Straße hoffen einige Teile der extremen Rechten nach großen Aufmärschen derzeit auf den Zusammenbruch des Staates. Das in Chemnitz 2018 gebrochene Tabu, gemeinsam mit Neonazis zu marschieren, ist derzeit Alltag in der AfD: Die Partei meldet Kundgebungen gegen Coronamaßnahmen an, zu denen im Anschluss auch Neonazis mobilisieren. So lebte in Cottbus etwa ein vom dortigen AfD-Chef Jean-Pascal Holm aufgepeitschter Demo-Zug, inklusive zahlreicher Neonazis und Hooligans, Umsturzfantasien aus.

Die AfD befeuert damit enthemmte Coronaproteste, auf denen es zu Gewalt gegen Journalist*innen, Polizei und Ge­gen­de­mons­tran­t*in­nen kommt. Auch deshalb warnen Verfassungsschützer und Innenminister derzeit vor der AfD als Treiber der radikalisierten Coronaproteste.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

▶ Alle Grafiken

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.