Auf der Suche nach der Hammaburg

Bevor der Domplatz bebaut wird, nutzen Archäologen die Gelegenheit, um die Frühgeschichte Hamburgs zu erhellen. Wie sie vor drei Jahren überrascht feststellen mussten, existiert die Hammaburg, die Stammzelle der Stadt, bisher bloß auf dem Papier

Vielleicht finden sie ja hier, was sie suchen: Eine dunkle Stelle im hellen Sand

von Gernot Knödler

Vor drei Jahren gab es in Hamburg eine Revolution, doch außer historisch-archäologischen Fachkreisen hat es kaum jemand mitgekriegt. Die Hammaburg, die für das Jahr 817 schriftlich überlieferte Keimzelle Hamburgs, existiert nur auf dem Papier. Nach einer systematischen Auswertung aller bisherigen Funde auf dem Domplatz und seiner Umgebung mussten die Archäologen feststellen, „dass wir die Hammaburg nicht nachweisen können“, wie Elke Först, Leiterin der Abteilung Bodendenkmalpflege am Helms-Museum, sagt. Die Befestigungsanlage, die sie jahrzehntelang für die Hammaburg gehalten hatten, muss jüngeren Datums sein. Jetzt geht die Suche erneut los.

Den Quellen zufolge wurde im Jahr 817 auf Befehl des Franken-Kaisers Ludwig des Frommen eine Befestigungsanlage auf dem Geestsporn zwischen Elbe und Bille errichtet. 831 machte er den Ort zum Bischofssitz. Der später heilig gesprochene Ansgar sollte von hier aus den Norden missionieren. Dessen Nachfolger Rimbert von Bremen schildert einen Wikinger-Überfall, bei dem die Hammaburg 845 niedergebrannt worden sein soll. Ansgar verlegte seinen Bischofssitz nach Bremen.

Doch Ansgars Missionarsstation war nicht die erste Befestigungsanlage auf dem Hügelchen. Die Archäologen konnten direkt unter dem Domplatz eine Festung aus zwei kreisförmigen Gräben nachweisen. „Wir wissen, dass sie vor 800 verfallen ist, weil es danach eine Besiedelung über die Gräben hinweg gegeben hat“, sagt Först.

Bei Ausgrabungen in den Jahren 1947 bis 1957 – britische Bomber hatten zuvor Tabula rasa gemacht – stießen die Archäologen auf eine größere Festung, die sie bis vor drei Jahren für die Hammaburg hielten und die im Museum für Hamburgische Geschichte begutachtet werden kann. Nachgewiesen wurde ein Wall aus Grassoden, der außen mit Holzbohlen geschützt und im Inneren mit Holzverstrebungen stabilisiert wurde. Davor war ein Graben gezogen, in dem Palisaden standen.

In den 80er Jahren gruben die Forscher erneut auf dem Domplatz. Die Aufarbeitung der Funde zwang sie aber 2002, von ihrer bisherigen Theorie abzurücken. „Wir haben unter dieser Wallanlage eine Siedlungsschicht mit slawischer Keramik gefunden“, sagt Först. Wall und Graben könnten daher erst Ende des neunten, Anfang des zehnten Jahrhunderts entstanden sein – zu spät für die urkundlich erwähnte Hammaburg.

Der Halbkreis aus Wall und Graben – die Südseite ist wahrscheinlich geologischen Veränderungen zum Opfer gefallen – gilt jetzt als Domburg, als engerer Schutz für Dom und Kloster. Bei der Suche nach der Anlage aus den Jahren 817 bis 845 stehen die Archäologen vor einer großen Herausforderung, weil der Geestsporn, der sich zum Zentrum einer Millionenstadt mauserte, bis heute immer wieder verändert worden ist.

Zahllose Male wurde hier gebaut, verbrannt, niedergerissen, neu bebaut und am Ende gebombt. Metertief ragen zum Beispiel die Fundamente des 1248 begonnenen Mariendoms ins Erdreich. Ab 1803 rissen die Bürger den Dom nieder, der über Jahrhunderte eine Enklave unter fremder Herrschaft mitten im Stadtgebiet gewesen war. An seiner Stelle errichteten sie in den 1840er Jahren die Gelehrtenschule Johanneum, die 1943 in Schutt und Asche gelegt wurde.

Bomben und Bauten haben an vielen Stellen die Bodenschichten durcheinander gemischt, so dass die Archäologen bisweilen mühsam auseinander puzzeln müssen, welches Fundstück zu welcher Zeit gehört. Um die Arbeit zu vereinfachen und zu beschleunigen, setzen sie ein neues Dokumentationsverfahren ein: Die Fundstücke werden mit Laserstrahlen vermessen und ihre Position in einen Computer eingegeben, der sie in ein zwei- oder dreidimensionales Modell der Grabungsstelle einfügt.

Bis Ende 2006 werden 16 Leute an den Stellen graben, die in den 80er Jahren übrig geblieben sind. Först und ihre Kollegen versprechen sich besonders viel von dem Grund unter dem Toilettenhäuschen an der Südwestecke des Domplatzes, denn es hat den Krieg unbeschadet überstanden. Keine Bombe hat hier den Boden durcheinander gewirbelt.

Vielleicht finden sie ja hier eine dunkle Stelle im hellen Sand, die auf den verschütteten Graben der beurkundeten Hammaburg hinweist.