Digitalisierung des Gesundheitssystems: Wenn der Patient digitaler wird …

Elektronische Patientenakte, E-Rezept: 2022 soll das Jahr werden, in dem der Papierkrieg mit der Medizin endet. Wie genau?

Mann mit Gipsbein auf Badesteg

Schöne Zeiten, als der Gips zur Dokumentation allerlei Informationen diente Foto: Frantisek Dostal/Voller Ernst/Fotofinder

Was ändert sich in diesem Jahr?

Es soll 2022 ein paar entscheidende Schritte bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens geben. Einer der wichtigsten ist die elektronische Patientenakte (ePA). Die gibt es zwar schon in einer Rumpfform. Doch ab diesem Jahr könnte die Nutzung für Versicherte interessant werden. Das liegt vor allem an zwei Neuerungen: Erstens müssen nun sämtliche Arztpraxen und Krankenhäuser daran teilnehmen. Zweitens können Versicherte nun entscheiden, welche Me­di­zi­ne­r:in­nen auf welche Dokumente zugreifen dürfen. Sie können also beispielsweise festlegen: Die Hausärztin bekommt Zugriff auf alles, die Orthopädin darf aber nicht sehen, was der Psychologe eingestellt hat.

Bislang galt ein Ganz-oder-gar-nicht-Prinzip: Wer sich für die ePA entschied, konnte nicht festlegen, wel­che:r Be­hand­le­r:in auf welche Dokumente zugreifen darf. Das sorgte für massive Kritik unter anderem des Bundesdatenschutzbeauftragten Ulrich Kelber. Patientenseitig blieb das Interesse an der ePA bislang überschaubar: Laut der Gematik, das ist die Gesellschaft für die Digitalisierung des Gesundheitssystems, lag die Zahl der Nut­ze­r:in­nen Stand Anfang Januar bei 336.178.

Warum überhaupt eine elektronische Patientenakte?

Medikationspläne, Befunde, Impf-, Allergie- und Mutterpass – so ziemlich alles, was an Daten im ärztlichen Umfeld anfällt, soll in der elektronischen Patientenakte abzulegen sein. Für manches davon, wie Medikationspläne und Impfpass, ist das schon jetzt möglich, für anderes wie Laborwerte erst in Zukunft. Auch Hebammen und Phy­sio­the­ra­peu­t:in­nen sollen im Laufe des Jahres Anschluss an die ePA bekommen. Die Krankenkassen und das Bundesgesundheitsministerium betonen, dass Pa­ti­en­t:in­nen so mehr Kon­trolle über ihre Daten hätten und den Ärz­t:in­nen der Austausch von behandlungsrelevanten Informationen erleichtert würde. Auch Arne Weinberg, Gesundheitsreferent bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, sieht die ePA positiv: „Sie vermeidet Doppeluntersuchungen und baut Bürokratie ab.“ Weinberg rät allerdings dazu, sich mit dem Rechtemanagement zu beschäftigen und zu überlegen, wel­che:r Be­hand­le­r:in was sehen soll. Auch eine Befristung von Zugriffsrechten sei möglich.

Wird mei­n:e Ärz­t:in also begeistert sein, wenn ich mit der ePA komme?

Nicht unbedingt. Denn für die Be­hand­le­r:in­nen bedeutet die zunehmende Digitalisierung nicht nur finanziellen und zeitlichen Aufwand, sondern auch zusätzliche Haftungsrisiken, die nichts mit ihrer eigentlichen Tätigkeit zu tun haben – etwa was Datenschutz und IT-Sicherheit in der Praxis angeht.

Wie sieht es denn bei der ePA mit Datenschutz und Sicherheit aus ?

Die Gematik betont in ihren Informationen für Versicherte: „Daten sind in der ePA sicher.“ Tatsächlich klingen die Rahmenbedingungen gut: Ende-zu-Ende- und Transportverschlüsselung, Zwei-Faktor-Authentifizierung und die Server stehen in Deutschland. Allerdings gelang es Redakteuren der IT-Zeitschrift c’t kürzlich auf einen Hinweis hin, eine zip-Datei in einer ePA zu platzieren. Das darf eigentlich nicht sein, weil diese Dateien leicht Schadsoftware transportieren können. Die Sicherheitslücke schloss die Krankenkasse schnell, doch die Lücke ist kein Einzelfall. Auch Ha­cke­r:in­nen des CCC deckten in den vergangenen Jahren immer wieder Sicherheitsprobleme rund um die Telematik-Infrastruktur auf, die die Basis für die Digitalisierung des Gesundheitssystems ist. Problematisch ist auch, dass vor allem eine ePA-Nutzung über das Smartphone promotet wird. Denn gerade Android-Smartphones werden häufig nicht mit aktuellen Sicherheitsupdates versorgt. Das sind leichte Einfallstore für Hackerangriffe. Immerhin gibt es laut der Gematik ab diesem Jahr auch eine Software für die Nutzung am Computer. Verbraucherschützer Weinberg wünscht sich noch mehr: Terminals, etwa in Krankenhäusern und bei den Krankenkassen, an denen Versicherte ihre Akte ohne digitales Endgerät verwalten können.

Wie lange liegen die Daten in der Akte ?

Wenn Nut­ze­r:innen sie nicht selber löschen – lebenslang. Und damit länger als es die gesetzlichen Aufbewahrungspflichten bei Ärz­t:in­nen vorschreiben. Die sehen für die meisten Daten einen Zeitraum von 10 Jahren nach der letzten Behandlung vor – und bleiben auch unberührt. Doch für die ePA müssen Pa­ti­en­t:in­nen eigenverantwortlich entscheiden, wie lange sie die Dokumente aufbewahren wollen.

Was muss ich tun, wenn ich keine ePA will ?

Gar nichts. Umgekehrt muss aktuell aktiv werden, wer eine elektronische Patientenakte will und das der Krankenkasse mitteilen. Für das Befüllen müssen Pa­ti­en­t:innen dann die Ärz­t:in­nen entsprechend anweisen.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Was passiert dieses Jahr noch in Sachen Gesundheitsdigitalisierung?

Auch das elektronische Rezept soll in diesem Jahr Standard werden. Ursprünglich war das schon zum 1. Januar geplant, doch es hakte bei der Technik. Pa­ti­en­t:in­nen sollen in den Praxen dann in der Regel keine Zettel mehr ausgehändigt bekommen und diese in die Apotheke tragen. Stattdessen soll die Übermittlung digital ablaufen. Auch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird nun digital. Seit Jahresanfang soll sie von den Praxen elektronisch an die Krankenkassen übermittelt werden, ab Juli auch an den Arbeitgeber.

Hat die Ampelkoalition noch zusätzliche Ideen?

Die Koalition aus SPD, Grünen und FDP hat in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, das Prinzip, nach dem es eine ePA nur auf Antrag gibt, umzudrehen. Sie wünscht sich, dass alle Pa­ti­en­t:in­nen die elektronische Akte standardmäßig eingerichtet bekommen – wer nicht will, muss widersprechen. Diese Forderung kommt vor allem von den Krankenkassen, die hoffen, mit der elektronischen Patientenakte Kosten zu sparen, etwa wenn Doppeluntersuchungen vermieden werden. Doch auch Verbraucherschützer Weinberg befürwortet diese Lösung – aber nur, wenn es um das reine Anlegen der ePA angeht. Für das Befüllen mit Dokumenten sei wichtig, dass Pa­ti­en­t:in­nen bei jeder Praxis gesondert zustimmen müssen.

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