Wahl des Bundespräsidenten: Soll Steinmeier Präsident bleiben?

Die Grünen wollen Frank-Walter Steinmeier in der Bundesversammlung ihre Stimmen geben. Damit ist seine Mehrheit klar. Ein Pro und Contra.

Steinmeier überreicht Olaf Scholz seine Ernennungsurkunde

Ein weiteres Argument, das gegen Steinmeier spricht: Kanzler Scholz und er sind sich viel zu ähnlich Foto: Bernd Von Jutrczenka/dpa

Ja, bitte!

Dass Frank-Walter Steinmeier Bundespräsident bleibt, ist machtpolitisch naheliegend. Die Alternative wäre eine schwarz-grüne Kandidatin gewesen. Die aber hätte signalisiert, dass die Grünen die Ampel für eine Verlegenheitslösung halten und auf einen Plan B mit der Union setzen. So ist es aber nicht. Deswegen wäre ein Nein der Grünen zu Steinmeier eine sinnfreie Kampfansage an die SPD gewesen, eine Schlacht ohne Ziel.

Steinmeier ist aber nicht nur der Kandidat des machtpolitisch Naheliegenden. Er passt in die Zeit und hat schon 2016 das richtige Thema gewählt – die Krise der westlichen Demokratie. Seitdem hat er den Kampf gegen Rechtsextremismus und die Solidarität mit dessen Opfern konsequent und jenseits medialer Konjunkturen ins Zentrum gerückt. Das taucht zwar selten auf dem Radar der auf Spektakel und Ungewöhnliches geeichten Aufmerksamkeitsökonomie auf, ist aber keineswegs weniger wertvoll. Denn die gefährdete Demokratie bleibt auch nach Trumps Niederlage ein Thema, Steinmeier in dieser Hinsicht der richtige Bundespräsident.

Auch manche Vorbehalte gegen ihn verlieren, je genauer man sie betrachtet, an Leuchtkraft. Zum Beispiel: Wo ist seine große Rede? Steinmeier redet seit Jahren einem reflexiven, leisen Patriotismus das Wort, der eine Art Immunschutz gegen nationalistischen Wahn und Demokratieverachtung bilden soll. Man kann dieses Konzept, der rote Faden seiner Präsidentschaft, kritisieren. Doch so zu tun, als hätte dieser Präsident keine Agenda, ist ignorant.

Leiser Patriotismus

Auch die bloße Fixierung auf die eine große Rede ist unterkomplex, zumal sie deren Bedingungen nicht in Blick nimmt. Die wirkmächtige präsidiale Großansprache wie Roman Herzogs Ruckrede oder Christian Wulffs „Der Islam gehört zu Deutschland“ braucht die Distinktion, die Abweichung vom Erwarteten. Demokratie aber ist ein Konsensthema – und muss dies sein.

Auch das Argument, dass Kanzler Scholz und Steinmeier sich zu ähnlich seien, hat etwas Geschmäcklerisches. Der Antifaschist Gustav Heinemann war kein Konterpart zu Willy Brandt, der ostdeutsche Protestant Joachim Gauck keine ­Gegenbesetzung zur ostdeutschen Protestantin Angela Merkel. Bundespräsidenten wurden nie komplementär zum Kanzleramt erkoren. Warum auch?

Es stimmt: Steinmeier ist ein Mann des Apparats. Er hat die Agenda 2010 erfunden und das größte Desaster der SPD in den letzten zwanzig Jahren angerichtet. Als Bundespräsident aber macht er seit 2016 eine gute Figur. Verlässlich und mit klarem Kompass. Das ist in Krisenzeiten nicht das Schlechteste. Stefan Reinecke

Bitte nicht!

Hand aufs Herz: Ist bei Ihnen eine Steinmeier-Rede der vergangenen fünf Jahre in Erinnerung geblieben? Vermutlich nicht, und das ist wenig überraschend. Frank-Walter Steinmeier sagt nichts Falsches, macht keine Fehler, aber er irritiert auch keine Denkroutinen, liefert keine neuen Gedanken, er riskiert nichts. Mit weiteren fünf Steinmeier-Jahren ist diskursive Langeweile garantiert und damit auch der weitere Bedeutungsverlust eines Amtes, das wie kein anderes von der öffentlichen Rede lebt.

Steinmeier ist vom Typus immer noch der Büroleiter, der er einst für Gerhard Schröder in Hannover war. Er kann ordentliche, vorbereitete Reden halten, doch das beherzte Reagieren auf unvorhergesehene Krisen liegt ihm nicht. Im Frühjahr 2020 brauchte er nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie Wochen, um sich zu sortieren, bis er sich mit einer kurzen, schnell vergessenen Ansprache meldete.

Es heißt, dass der Zusammenhalt sein großes Thema sei. Aber zur Analyse der gesellschaftlichen Bruchlinien gehört auch eine kritische Inspektion der Rolle von Staat, Politik und Wirtschaft. Hier ist Steinmeier auffallend zurückhaltend. Das verwundert nicht, ist er doch selbst seit Jahrzehnten Teil der Apparate und hat – das muss auch 20 Jahre danach erwähnt werden – als Architekt der Agenda 2010 eher nicht zum Zusammenhalt der Gesellschaft beigetragen. Selbstkritik, mit der man in Sachen Glaubwürdigkeit punkten könnte, ist seine Sache nicht.

Viel zu ähnlich

Ein weiteres Argument, das gegen Steinmeier spricht: Kanzler Scholz und er sind sich viel zu ähnlich (nicht nur weil beide Männer sind, was seltsam aus der Zeit gefallen wirkt). Sie sind nicht nur Parteifreunde, sondern auch politische Gefährten, die sich seit Jahrzehnten kennen. Und sie sind fast gleich alt, sie haben den Erfahrungshorizont derselben Generation.

BundespräsidentIn und BundeskanzlerIn sollten sich idealerweise ergänzen, indem sie unterschiedlich sind. Richard von Weizsäcker war der intellektuelle Widerpart zu Helmut Kohl, Gustav Heinemann tat viel für die Durchlüftung der alten Bundesrepublik, als CDU-Mann Kurt Georg Kiesinger noch Kanzler war – und ergänzte als Großvater-Typus den späteren Kanzler Willy Brandt.

Ist doch gut, dass wenigstens zwei – wenn auch sehr pragmatische – Sozis oben an der Spitze stehen, könnte man aus linker Sicht sagen. Aber dass die Ampel ausgerechnet Steinmeier routiniert für eine zweite Runde durchwinkt, ist mutlos und alles andere als ein Signal des Aufbruchs. Gunnar Hinck

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

ist taz-Ressortleiter Meinung + Diskussion

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