Buch zur Kunst im 21. Jahrhundert: Bilder kommen vor der Sprache

Die Digitalisierung des Kunstfeldes stellt Kunst und Künst­le­r:in­nen vor neue Aufgaben. Robert Fleck beschreibt die „Kunst im 21. Jahrhundert“.

Schwarze Gemälde von Pierre Soulages im Museum, eine Besucherin betrachtet sie.

Gehört die Zukunft der Kunst der Malerei von Pierre Soulages, hier im Museum Frieder Burda? Foto: picture alliance/dpa | Uli Deck

Hat die Kunst eine Zukunft? Kunstbetriebsfloskeln wie diese sind mit Vorsicht zu genießen. Zerfällt doch die Entität, die damit beschworen wird, bei näherem Hinsehen in hundertausende Individuen, die nicht mehr unter eine Begriffshaube zu bringen sind. Und ihre Nonkonformität hochhalten. Wer wollte dieser Avantgarde des Eigensinns etwas raten oder gar prophezeien?

All das weiß natürlich auch Robert Fleck. Wenn der Kunstwissenschaftler sein jüngstes Buch dennoch mit der problematischen Formel übertitelt, dann vielleicht, um dem ebenso problematischen Geraune vom „Ende der Kunst“ etwas entgegenzustellen.

Jüngstes Beispiel ist die kanadische Sängerin und Neurowissenschaftlerin Grimes, Ex-Gefährtin des Techno-Unternehmers Elon Musk. Als sie kürzlich vom „Ende der Kunst, dem Ende der menschlichen“ sprach, klang das wie die postdigitale Version von Hegels und Adornos berühmtem, bis heute allerdings nie eingetretenem Diktum.

Das heißt natürlich nicht, dass Robert Fleck naiv wäre und die Herausforderungen der Kunst nicht sähe. Schon in seinem vorangegangenen Buch „Das Kunstsystem im 21. Jahrhundert“ (2013) beschrieb der ehemalige Intendant der Bonner Bundeskunsthalle und heutige Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie, wie das große Geld und die Globalisierung die Kunst und ihre Institutionen verändern.

Robert Fleck: „Art. Kunst im 21. Jahrhundert“. Edition Konturen, Wien, Hamburg 2021, 174 Seiten, 59 Farbabbildungen, 32 Euro

Als Kern der „Verschiebung der Kräfteverhältnisse“, die er in seinem jüngsten Buch konstatiert, macht Fleck die Digitalisierung des Kunstfeldes aus. Neben der Digitalkunst meint er damit die Tatsache, „dass sämtliche Bereiche des Kunstgeschehens mit Ausnahme des physisch präsenten Kunstwerks ins Internet verlagert sind und dort auch gesteuert werden“.

Künstler mixen beständig analog und digital

Das betrifft den Kunsthandel oder das Online-Viewing. Aber auch die künstlerische Arbeit selbst. Künst­le­r:in­nen versenden ihre Arbeiten per Mail, werben für sie auf Instagram. Sie entwerfen sie digital, realisieren sie analog, mixen beständig analog und digital.

Mit den neuen Bildtechniken verfügten sie, so Fleck zutreffend, „über eine ungeahnte Amplitude der Ausdrucks- und Gestaltungsräume, der Formgestaltung und der Farbauswahl“. So wie fotografisches und filmisches Bild auf einem einzigen Träger zusammenfielen, verschwindet für ihn gar die klassische Fotografie.

Die Situation heute gleicht für Fleck der Revolution des Buchdrucks um 1500. Seine Formel von der „multiplizierten Bildergesellschaft“ ist eine späte Beglaubigung der vergessenen Diskussion um den „iconic turn“. Bilder stehen, so Flecks schwer widerlegbares Fazit, „in der Kommunikation dessen, was stattfindet, vor der Sprache – und sie zirkulieren in ihrer eigenen Sphäre.“

Sichert klassische Malerei die Zukunft der Kunst?

Flecks Argument ließe sich als Sieg der visuellen Künste, des Bildhaften als Leitmedium der gesellschaftlichen Kommunikation generell interpretieren. Zwinge Künst­le­r:in­nen aber, auch darin ist ihm zu folgen, das Eigenständige ihrer Arbeit gegen diese automatisierte Bilderflut zu bestimmen.

Ein Patentrezept dafür hat er aber auch nicht parat. Dass ausgerechnet die klassische Malerei die Zukunft der Kunst sichern könnte, lassen wir einmal dahingestellt. Auch wenn Flecks Verweis auf Pierre Soulages etwas für sich hat.

Wer einmal vor den riesigen, schwarzen Ölbildern des 101 Jahre alten, französischen Malers stand, wird Flecks Argument nachvollziehen können, dass die Reflexe, die von der Oberfläche dieser Werke ausgingen, so unmittelbar das Nervensystem der Betrachtenden erreichten wie digitale Effekte.

Für einen Schüler von Foucault und Deleuze bleiben Flecks Definitionen wie die, dass Kunst die Aufgabe habe, „bleibende Bilder zu schaffen und zugleich zur eigenen Zeit zu sprechen“, oft reichlich allgemein, die künstlerischen Positionen, mit denen er sie zu belegen sucht, zufällig. Dennoch gelingt ihm mit „Art“ ein sehr verständliches Panorama der Kunst im Zeichen ihrer finalen Entmaterialisierung.

So eindringlich wie Fleck diesen fundamentalen Wandel herausarbeitet, nimmt sich der Wandel der Inhalte, mit denen er beschreibt, wie die Kunst zur äußersten Gegenwart aufschließt, fast nebensächlich aus: die neuen Konzepte von Körper und Geschlecht, die Reflexion des Postkolonialen, des Ökologischen und der neuen Kriege.

Eine wichtige Herausforderung klammert er leider aus: die künstliche Intelligenz. Nicht zufällig hat die Sängerin Grimes ihre kürzlich gegründete AI Girls Band NPC mit den Worten gepriesen, dass sie all das könne, was „Menschen nicht können“.

Aber gerade, wenn Roboter eines Tages tatsächlich die Kunst übernehmen sollten, käme es auf das an, was Fleck als Kernkompetenz lebendiger Künst­le­r:in­nen sieht: die Fähigkeit zum symbolischen Handeln, zur symbolischen Setzung.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.