Tunesien nach dem Putsch: Saied sagt Neuwahlen zu

Tunesiens Putschpräsident kündigt für 2022 Neuwahlen und ein offenes Referendum für eine neue Verfassung an. Die Zivilgesellschaft bleibt skeptisch.

Kais Saied spricht an einem Pult, seine Gestalt wirft einen Schatten an die Wand

Seit dem Putsch im vergangenen Sommer alleiniger Machthaber in Tunesien: Präsident Kais Saied Foto: Slim Abid/Tunesisches Präsidentenamt via ap

TUNIS taz | Seinen sogenannten Fahrplan zurück zur Demokratie hatte Tunesiens Präsident Kais Saied schon im Sommer angekündigt. Nun trat Saied vor die Kamera, um anzukündigen, wie er sich die Fortsetzung seines Putsches vom 25. Juli vorstellt, als er Regierung und Parlament abgesetzt hatte.

Genau ein Jahr nach der Absetzung werde es im nächsten Jahr ein Referendum über eine neue Verfassung geben, kündigte der 2019 gewählte Saied auf seiner Facebookseite an. Die Bevölkerung solle zwischen Anfang Januar und dem 20. März durch eine Online-Abstimmung an der Formulierung des Textes beteiligt werden. Parlamentswahlen würden am 17. Dezember 2022 folgen, versprach der 63-Jährige in dem für ihn typischen zeremoniellen Ton und in dem für viele Tunesier nur schwer verständlichen Hocharabisch.

„Den Präsidenten kümmert es wenig, was Kritiker von ihm halten, er ist seit zehn Jahren stur auf der Mission, eine Art Basis- oder Volksdemokratie einzuführen“, kommentiert der Aktivist Wissam Shghaiger die Ankündigung. Vertreter politischer Parteien, der mächtigen Gewerkschaft UGGT und der Zivilgesellschaft forderten von Saied zuletzt vehement eine Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie. Ihre für den kommenden Freitag angekündigten Proteste sind wohl der Grund für die Vorverlegung von Saieds Auftreten – eigentlich wollte er seine Pläne erst an diesem Tag veröffentlichen.

Auch elf Jahre nach der Selbstverbrennung des Studenten Mohamed Bouazizi und damit dem Beginn des Arabischen Frühlings bleibt die Lage der Menschen in Tunesien prekär. Die Lebensmittelpreise steigen weiter, die Coronapandemie hat Unternehmen und die Tourismusbranche in den Ruin getrieben.

Während im Sommer die Zahl der Infektionen und Toten auf ein weltweites Hoch anstiegen, bliebt das tunesische Parlament so gut wie untätig. Dies nahm Saied zum Anlass, die Regierung abzusetzen und die Abgeordneten mit Hilfe von Armee und Polizei auszusperren.

Neue Proteste drohen

Bei seinem Amtsantritt 2019 hatte der Jurist Saied noch die Verteidigung der Verfassung versprochen. Doch aus seiner Ablehnung der politischen Parteien machte er gegenüber der taz schon damals keinen Hehl. Viele davon seien nach 2011 nur aus wirtschaftlichem Interesse von Geschäftsleuten und Ideologen gegründet worden, sagte er.

Ob Kais Saieds Putsch-Experiment gelingt, hängt stark von der im Oktober von ihm eingesetzten Regierung von Najla Bouden ab. Die Premierministerin muss die leeren Kassen der Zentralbank mit internationalen Krediten füllen und mögliche Geldgeber davon überzeugen, dass in Tunesien keine neue Diktatur entsteht.

Sollten diese Gelder nicht bald fließen, drohen soziale Proteste wie im letzten Frühjahr. Die täglich erlebte Korruption in Behörden, die fehlende Steuermoral der wirtschaftlichen Elite und die ständig wechselnden Regierungen – elf Stück in nur zehn Jahren – haben bei vielen Tunesiern den Wunsch nach einer ehrlichen Politik befeuert.

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