Eine Illustration einer Karte auf der das Wort "Pläne" steht

Illustration: Yvonne Kuschel

Pläne schmieden 2022:Mein Kalender, die Landschaft

Rund um Silvester lässt man das letzte Jahr Revue passieren und macht Pläne fürs neue. Doch wegen Corona ist vieles ungewiss. Sechs Leute berichten.

31.12.2021, 17:16  Uhr

Der Weltenbummler

Als Corona aufkam, wollte ich eigentlich nach Tibet, auf einem Pilgerweg rund um den Berg Kailash laufen. Das ist nun nichts geworden. Man wird älter und älter und älter. Und irgendwann denkt man: Vielleicht schaffe ich das gar nicht mehr? Ich werde im Februar 71. Der Weg führt über Höhen von bis zu 5.500 Metern. Keine Ahnung, ob ich das noch auf die Reihe kriege.

Das Reisen habe ich ziemlich spät für mich entdeckt. In der DDR war ich Schweißer beim VEB Waggonbau Dessau. Nach der Wende habe ich ein paar Jahre für Siemens gearbeitet, dann war Schluss. Ich lernte damals eine Chinesin kennen, wir haben zusammen in Crimmitschau ein Chinarestaurant eröffnet, das gibt es bis heute. Ich habe vor allem als Bedienung gearbeitet.

Irgendwann bin ich auf die Idee gekommen, mal ein bisschen Urlaub zu machen, da war ich Ende 50. Ich bin nach Malaysia geflogen und bin dort sechs Wochen mit dem Rad herumgefahren. Als ich zurückkam, wollten die Gäste im Restaurant wissen, was ich erlebt habe. Nun konnte ich schlecht mit den Fotos von Tisch zu Tisch laufen, ich hatte ja zu tun. Also habe ich einen Diavortrag gehalten.

Bei den nächsten Reisen habe ich eine gute Kamera mitgenommen. Erst ging es nach Borneo, dann durch Indochina, alles mit dem Rad. Ich bin von Malaysia nach China und von China zum Baikalsee gefahren. Die Reisen wurden immer länger, ich hatte immer mehr Bilder, hielt immer mehr Vorträge. Ich habe auch angefangen, Weltenbummler-Treffen im Restaurant zu organisieren, bei dem auch andere von ihren Reisen erzählen.

2019 habe ich von März bis Dezember Australien umrundet. Zelt, Gepäck, Wasser hatte ich alles am Fahrrad hängen. Im ­Winter wird es in Australien bis zu minus 5 Grad kalt, im Sommer hatte es 50 Grad plus. Ich war schon stolz, als ich das geschafft hatte. 16.000 Kilometer, das macht man nicht so mit einer Backe.

Der Weltenbummler Harald Lasch auf dem Fahrrad

Harald Lasch: Vielleicht radle ich 2022 ans Nordkap und zurück? Foto: privat

Ich habe beim Reisen Leute kennengelernt, mit denen ich heute noch befreundet bin. Man begreift auch, was für einen hohen Lebensstandard wir hier haben. Die Menschen im Dschungel von Laos haben nichts, nur einfache Bambushütten. Gekocht wird über dem Feuer, in den Kessel kommt, was man gerade fängt, und sei es eine Ratte. Da merkt man erst mal, auf welch einfache Art und Weise man leben kann. Die Menschen dort sind auch glücklich. Und sie waren sehr nett zu mir. Das ist auch etwas, was ich von den Reisen mit nach Hause genommen habe: die Freundlichkeit in anderen Ländern.

Im Nachhinein bin ich froh, dass ich meine Australienreise nicht drei Monate später gemacht habe. Im März 2020 kam ja Corona, wer weiß, ob ich überhaupt noch einen Rückflug bekommen hätte. Seitdem bin ich zu Hause. Das juckt mich schon. Reisen ist wie ein Virus. Wenn man einmal damit angefangen hat, möchte man das immer wieder und immer noch ein bisschen weiter. Ich bin mit Fernweh infiziert sozusagen.

Im Januar bekomme ich meine dritte Impfung. Auch wegen der Reisen habe ich schon so viele Spritzen in mir drin, da kommt es auf die eine auch nicht mehr an.

Ich habe etliche Ideen, aber noch keinen richtigen Plan für 2022. Ich will schon noch mal los. Vielleicht radle ich ans Nordkap und zurück? Im Moment warte ich aber erst mal ab, wie sich die Dinge entwickeln.

Harald Lasch ist 70 Jahre alt und lebt derzeit im sächsischen Crimmitschau.

Protokoll: Antje Lang-Lendorff

Die Abiturientin

Ich mache 2022 Abitur und will danach Medizin studieren. Das wollte ich schon, seitdem ich ein kleines Kind bin. Die Pandemie hat daran auch nicht viel geändert. Eher hat sie mich darin bestärkt, weil einem nun jeden Tag bewusst wird, wie wichtig medizinische Berufe sind.

Marlena Lang, Porträtfoto

Abiturientin Marlena Lang Foto: privat

Einen Plan B hatte ich ehrlich gesagt lange nicht – bis ich während der Berufsorientierung an unserer Schule gemerkt habe, dass andere sich viel mehr Studiengänge oder Berufe vorstellen können. Das hat mich dann schon unter Stress gesetzt. Man kann sich ja nicht darauf verlassen, einen Medizinstudienplatz zu bekommen. Und dann stehe ich auf einmal mit nichts da.

Ich kann mir jetzt aber auch vorstellen, Psychologie zu studieren, wobei man sich darauf natürlich auch nicht verlassen kann, oder ich mache eine Ausbildung zur Rettungs- oder Notfallsanitäterin. Das kann man sich im Zweifel später auch in einem Medizinstudium anrechnen lassen.

Ich würde mich schon als Planerin bezeichnen. Ich weiß zum Beispiel schon lange, in welchen Fächern ich Abi schreibe, obwohl wir das noch gar nicht abschließend festlegen mussten. Und gerade bei schönen Dingen steigert Planen ja auch die Vorfreude, wobei Corona diese Vorfreude schon trübt. Du bist halt nie sicher, ob etwas stattfindet oder nicht.

Meinen Schulalltag versuche ich, so gut es geht, zu strukturieren, auch wenn das gerade sehr fordernd und stressig ist. Vor den Schulschließungen hieß es immer, wir müssen schnell noch diesen Test und jene Klausur schreiben, um Noten zu machen. Das ist aktuell wieder so. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass wir Abiturienten noch mal ins Homeschooling geschickt werden, drücken uns jetzt viele Lehrer schnell noch Tests rein – falls die Schulen doch wieder geschlossen werden.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Wenn wir im Juni unsere Abi-Zeugnisse bekommen, mache ich erst mal zwei, drei Monate Pause. Dann heißt es erst mal Chillen. Je nachdem, was Corona zulässt, will ich auch mit Freunden verreisen. Geplant ist in jedem Fall schon unsere Abifahrt nach Korfu. Da konnte sich jede und jeder aussuchen, ob er eine Coronaversicherung mit abschließt, falls die Fahrt ausfällt. Ich habe mich auch dafür entschieden. Früher hätte ich so etwas nie gemacht. Es gibt einen Plan und den zieht man durch, komme, was wolle. Aber nun kann man sich bei solchen Sachen ja nie sicher sein. Alle paar Wochen ändert sich die Situation, das nervt schon.

Ich bin auch skeptisch, ob unser Abiball stattfinden kann. Organisiert haben wir ihn natürlich trotzdem. Wenn so eine lange Schulzeit zu Ende geht, ohne das noch mal mit allen zu feiern, wäre das sehr ­traurig.

Marlena Lang, 18 Jahre alt, ist Abiturientin aus München.

Protokoll: Daniel Böldt

Der Bevölkerungsschützer

Wir beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe wollen im kommenden Jahr einiges anders machen. Ein Großteil unserer Arbeit besteht aus zwei Teilen: Analyse und Beratung im Risiko- und Krisenmanagement. Wir beschäftigen uns mit einer Vielzahl unterschiedlicher Gefahren, sowohl menschengemachter als auch natürlicher. Wir führen unter anderem sogenannte Risikoanalysen durch.

Wolfram Geier, Porträtfoto

Der Bevölkerungsschützer Wolfram Geier Foto: privat

Das heißt, wir schauen uns eine bestimmte Gefahr an, wie zum Beispiel Hochwasser, Erdbeben, chemische Unfälle oder Pandemien, und spielen diese Ereignisse mit entsprechenden Experten durch: Wie viele Menschen sind wie schwer betroffen? Haben wir genug Ressourcen, um darauf zu reagieren? Ist die Infrastruktur darauf vorbereitet? Gibt es Folgekrisen?

Auf dieser Grundlage beraten wir Kommunen, Länder und den Bund bei der Erarbeitung von Notfallplänen. Wenn es optimal läuft, ist man in der Regel gut auf ein solches Ereignis vorbereitet. Ich betone bewusst: Wenn es optimal läuft. Leider ist das nicht so oft der Fall, wie man sich das wünscht.

Deutschland gilt als strukturiertes und gut organisiertes Land. Mein Eindruck ist aber, dass man sich mit längerfristiger Planung nicht so gerne beschäftigt. In Westdeutschland wurde Planung oft mit Planwirtschaft assoziiert. Im Vordergrund stand, flexibel zu sein. Das ist heute noch oft so. Die Behörden in Deutschland verfügen über sehr profundes Fachwissen. Dieses Wissen wird aber einerseits in der Politik oft nicht wahrgenommen, andererseits von den Behörden nicht immer gut kommuniziert.

Ich nehme das BBK da gar nicht aus. Wir sind gerade dabei, über eine veränderte Öffentlichkeitsarbeit und ein verändertes Marketingverhalten nachzudenken. Wir haben nicht zuletzt durch die Coronapandemie gemerkt, dass wir von der Politik stärker registriert werden müssen. Wir müssen anders kommunizieren. Unser Know-how müssen wir sprachlich so formulieren, dass es eingängiger ist. Wir müssen unsere Themen so setzen, dass sie regelmäßig präsent sind. Da haben wir ein großes Defizit, das müssen wir ändern.

Neben unserer Kommunikation passen wir auch unsere Struktur an. Wir wollen 2022 ein Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz in Betrieb nehmen, in dem Bund und Länder zum ersten Mal in der Katastrophenvorsorge institutionell zusammenarbeiten. Hauptaufgabe dieses Zentrums wird die Vorausschau, aber auch die wirkungsvolle Unterstützung beim Krisenmanagement sein.

Hätten wir ein solches Zentrum 2019 schon gehabt, dann hätte man wohl spätestens im Dezember 2019 auf das Coronavirus reagiert. Nicht, dass man gleich den Katastrophenfall ausgerufen hätte, aber man hätte sich fragen können: Sind die Pandemiepläne aktuell? Gibt es genug Ressourcen in Sachen Schutzausstattung? Ist die pharmazeutische Industrie darauf vorbereitet in eine schnelle Impfstoffproduktion einzutreten?

Ich persönlich glaube, dass wir in Zukunft eine andere Kultur im Umgang mit Katastrophen und Krisen etablieren müssen. Kein Alarmismus – denn der bewirkt genau das Gegenteil. Aber wir müssen die Themen Prävention und Vorsorge anders angehen, die Vorteile stärker betonen.

Mit dem Klimawandel wird man sich dem sowieso nicht mehr entziehen können. Selbst katastrophenarme Regionen werden das zu spüren bekommen. Und zwar in einer Weise, der man sich heute noch gar nicht bewusst ist.

Wolfram Geier, 61 Jahre, ist Abteilungsleiter beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Bonn.

Protokoll: Daniel Böldt

Die Unternehmerin

Für mich hat Corona ein Auf und Ab der Gefühle bedeutet. In den ersten zwei Monaten des ersten Lockdowns ist unser Umsatz fast auf null gefallen. Da waren alle so verunsichert, da hat auch niemand mehr online eingekauft. Dann ging es aber zum Glück wieder aufwärts. Wie schon die Finanzkrise hat auch die Pandemie dazu geführt, dass die Leute mehr vor die Tür gehen, zum Beispiel mit dem Fahrrad. Da gibt es ja gerade einen richtigen Boom.

Antje von Dewitz, Porträtfoto

Die Unternehmerin Antje von Dewitz Foto: Nicole-Maskus-Trippel

Einem Outdoor-Unternehmen wie unserem kommt das zugute, genau wie die Tatsache, dass die Nachfrage nach nachhaltigen Produkten durch Corona noch mal gestiegen ist. Die Menschen kaufen seitdem bewusster ein, sie achten auf ihren Impact. Allerdings, wie bei vielem anderen auch, vermehrt online.

Als ich das Unternehmen 2009 von meinem Vater übernommen habe, hatte ich das Bild im Kopf, dass meine Kinder mich eines Tages fragen werden, was ich dazu beigetragen habe, die Umweltzerstörung durch den Menschen aufzuhalten. Mir ist schon lange bewusst, dass wir mit unserer Art zu wirtschaften, in die falsche Richtung rasen, und die Branche, in der ich arbeite, auch problematische Auswirkungen auf den Planeten hat.

Wir empfinden uns als Teil des Problems, und wollen das, was wir verursachen, auch wiedergutmachen. Deshalb wandeln wir das Unternehmen Stück für Stück im Sinne der Nachhaltigkeit um. Wir achten auf nachhaltige Materialien und Produktionswege, faire Arbeitsbedingungen weltweit und wir sind ab dem nächsten Jahr mit all unseren Produkten klimaneutral.

Wir haben festgestellt, dass unsere enge Zusammenarbeit mit den Materiallieferanten und Pro­du­zen­t:in­nen uns sehr geholfen hat, diese turbulenten Zeiten zu überstehen. Während unsere Wettbewerber vieles in Asien cancelten, haben wir gute Übereinkünfte bei verspäteten Zahlungen und Lieferungen gefunden und konnten so, als die Läden wieder aufgingen, auch gut ausliefern.

Für 2022 haben wir eine extrem hohe Vororder. Das stimmt uns optimistisch. Gleichzeitig sind aber auch wir von ­Lieferschwierigkeiten betroffen und von der Unvorhersehbarkeit, wie sich Rohstoffpreise und Liefersituation entwickeln. Von daher haben wir trotz der vielen Bestellungen auch verhältnismäßig vorsichtig geplant.

Weil im nächsten Jahr alles so unvorhersehbar ist, haben wir sehr viel nachjustiert. Im Gegensatz zu den sonstigen Jahren haben wir auch schon Monate im Voraus Rohware bestellt. Auch unsere Planungszyklen haben wir langfristiger ausgerichtet und setzen vermehrt auf Waren, die gleich mehrere Saisons aktuell sind.

Aber auch für mich persönlich wird 2022 ein besonders Jahr. Ich werde 50 und erfülle mir einen lang gehegten Traum. Ich gehe im Sommer zwei Monate lang trekken. Alleine, über die Alpen, nur manchmal kommen Freunde und Familie dazu, um mich ein Stück zu begleiten.

Antje von Dewitz, 49, ist Geschäftsführerin von Vaude Sport aus Tettnang am Bodensee.

Protokoll: Anna Fastabend

Die Altistin

Wenn es um Träume, Wünsche, Hoffnungen geht: Ich habe gerade heute Morgen jemandem geschrieben, der ein kleines Haus auf der Insel Spiekeroog vermietet. Da würden wir gerne hin im Sommer. Im vergangenen Jahr war ich ganz verzweifelt, weil ich den Sommer über plötzlich frei hatte.

Wiebke Lehmkuhl, Porträtfoto

Die Altistin Wiebke Lehmkuhl Foto: privat

Eigentlich hätte ich in Bayreuth singen sollen, aber unser drittes Kind war geboren und ich durfte nicht auftreten wegen des Mutterschutzes, der genau in die Zeit der Wagner-Festspiele fiel. Da war es natürlich viel zu spät, um noch eine Unterkunft für eine längere Zeit auf der Insel zu finden. Wenn es jetzt klappen würde – das wäre schön!

Ich blicke überraschend zuversichtlich auf das kommende Jahr und die Zeit danach. Wenn ich in meinem Kalender blättere, dann sieht es sehr schön aus, eine gute Mischung aus Orten, an denen ich gerne bin, Musikern, mit denen ich gerne zusammenarbeite, und Werken, die ich liebe.

Viele Mahler-Lieder und Symphonien sind dabei: Die Dritte mit dem Alt-Solo „O Mensch! Gib acht!“ oder die Zweite, die ja beinahe an Kitsch grenzt, aber einfach so wunderschön ist und voller Hoffnung steckt. Das „Urlicht“ im 4. Satz empfinde ich immer als Geschenk! Später gibt es Wagner, „Rheingold“ konzertant, dann ein neuer Ring in London, einer in München, worauf ich mich sehr freue, Giulio Cesare in Paris, wo auch ein Ring geplant ist – also, die kommende Zeit liegt wie eine Landschaft vor mir, die unglaublich verlockend aussieht.

Aber: Ich gehe nicht davon aus, dass alles genauso kommt, wie es geplant ist.

Das haben wir Künstlerinnen gelernt aus der Pandemie. So hoffe ich einfach, dass auch bei weiteren Absagen noch „genug“ übrig bleibt. Das ist natürlich ein purer Luxus und nicht besonders repräsentativ. Insgesamt wird wohl in den nächsten Jahren sehr gespart werden an den Kulturetats. Das zeichnet sich ja leider schon ab.

Ich schaffe es mittlerweile ganz gut, mich in die Situationen hinein zu entspannen, die ungewisse Zeiten mit sich bringen. Mich erinnert es ein wenig an die erste Unsicherheit, nachdem ich am Opernhaus in Zürich gekündigt hatte. Das war meine erste Stelle – und plötzlich war ich freischaffend. Ich habe aber schnell gemerkt, dass es geht. 2020, als wegen Corona alles wegbrach und man mit nichts dastand, das war ein Schock, zumal für uns als Freiberufler. Aber das Auffangnetz aus Freunden und Familie hat sich als recht groß und stabil erwiesen. Das hat Rückhalt und Sicherheit gegeben. Alles ist weggebrochen, und wir haben es trotzdem geschafft.

In Zeiten, in denen es keine Auftritte gibt, ist es schwierig, die Spannung zu halten und stetig zu üben. Es gibt KollegInnen, die können das; ich brauche immer auch den Druck einer Aufführung. Es hat mir so gefehlt, auf der Bühne vor Publikum zu musizieren, es war wie Trauerarbeit mit all ihren Phasen. Ich habe dann mit einem befreundeten Kirchenmusiker in Oldenburg so ein paar kleinere Sachen aufgenommen; Videos als „Gruß aus der Kirche“, Mahler mit Orgelmusik und so etwas. Ich habe begonnen zu unterrichten.

Und dann habe ich mit der Barockgeigerin Veronika Skuplik, die ebenfalls in Oldenburg lebt, eine CD aufgenommen. Sie hatte die Idee dazu und hat ganz wunderbare Stücke ausgegraben, wir haben Geld über Crowdfunding eingesammelt und diese CD eingespielt. „Umbra Ambra“ ist das Motto, Umbra ist die Düsternis, Ambra das Licht.

Die Musik ist durchzogen von diesem Wechsel, selten gespielte Musik von Erlebach, Buxtehude, Bach. Das war ein Projekt, das großen Spaß gemacht und uns durch diese Zeit getragen hat. Es steht – auch sinnbildlich – dafür, dass wir Hoffnung haben dürfen, gerade auch in einer Pandemie, die uns anscheinend noch mal richtig viel abverlangen wird.

Wiebke Lehmkuhl, 1983 geboren, ist Altistin. Sie lebt in Oldenburg und tritt weltweit in großen Opernhäusern und Konzertsälen auf. Regelmäßig ist sie in Wagner-Opern und mit Mahler-Symphonien zu hören.

Protokoll: Felix Zimmermann

Der Messebauer

Seit ich denken kann, arbeite ich im Messebau. Mein Vater ist selbst Messebauer. Ich bin praktisch damit aufgewachsen. Schon als kleiner Junge habe ich viel Zeit mit ihm auf Messen verbracht. Ich mag das kreative Arbeiten und mich handwerklich auszuleben, springe täglich zwischen Zeichenprogrammen und der Werkstatt hin und her, fahre mit zur Montage.

Eine Illustration verschiedener Schubladen, die Pläne beinhalten

Illustration: Yvonne Kuschel

In den Jahren vor der Pandemie habe ich vor allem als Freelancer für die Frankfurter Buchmesse gearbeitet. 2020 ist die Stelle weggefallen und ich bin voll bei meinem Vater im Unternehmen miteingestiegen. Ich wollte ihn dabei unterstützen, die Arbeitsplätze zu erhalten. Kosten und Umsatzausfall waren zu dem Zeitpunkt so hoch, dass wir neu gründen mussten. Glücklicherweise mit dem gleichen Team am gleichen Standort.

Vor Corona war die Stimmung in unserer Branche sehr gut. Wir hatten rund 150 Projekte im Jahr. Dann kam der erste Lockdown. Zu dem Zeitpunkt standen hier in der Werkstatt fertig produzierte Messestände verladebereit für den Transport nach Mailand. Am Tag vor dem Transport wurde die Messe abgesagt. Dann ging eineinhalb Jahre gar nichts. Dieses Jahr hatten wir knapp über 20 Projekte, was mir persönlich viel Energie gegeben hat.

Nun fängt es wieder an: Eine Veranstaltung in Amsterdam musste aufgrund strengerer Maßnahmen in den Niederlanden abgesagt werden. Wieder konnten wir einen komplett fertig produzierten Stand nicht ausliefern. Natürlich sprechen wir mittlerweile vorher mit den Kun­d:in­nen ab, was bei einer Absage passiert und ob wir den Messestand für das kommende Jahr aufheben können.

Doch dieses kommende Jahr ist super schwer einzuschätzen. Wir hatten nicht erwartet, diesen Winter wieder ohne Aufträge dazustehen. Die Veranstaltungen sind zwar nicht verboten, aber die Bedingungen drumherum wie Reisebeschränkungen und Quarantäne machen sie teilweise unmöglich. Improvisieren gehört auch außerhalb der Coronapandemie zum Job dazu.

Ganz alleine wäre alles sicher viel schwieriger gewesen in den letzten knapp zwei Jahren. Es ist schön, dass ich hier bei meinem Vater bin und wir uns gegenseitig unterstützen können. Auch der Zusammenhalt im Team ist sehr stark. Wir haben den Spaß am Messebau nicht verloren.

Vor der Pandemie hatten wir gute Ideen entwickelt, um unsere Produktion nachhaltig zu gestalten. Wir arbeiten unter anderem mit anpassbaren Bauteilen, die man mehrfach einsetzen kann. Dabei darf es nicht so aussehen, als sei das ein System, das wir immer in gleicher Form aufbauen, sondern als sei es eigens für den Messestand konzipiert.

Gerade jetzt in Anbetracht von steigenden Rohstoffpreisen, Lieferschwierigkeiten, Materialknappheit und Personalmangel sind wir sehr froh über die entwickelten Ideen. Viele Aus­stel­le­r:in­nen sind sich momentan überhaupt nicht sicher, ob ihre Veranstaltung stattfindet. Normalerweise planen wir drei bis vier Monate im Voraus. Aktuell sind es nur drei bis vier Wochen. Oft ist das gewünschte Material nicht mehr zu bekommen.

Für die nächste Zeit habe ich vor, weiterhin mit meinem Vater im Unternehmen zu arbeiten. Ich freue mich vor allem auf Projekte, bei denen wir auch inhaltlich miteingebunden werden, das heißt, wir baulich die Botschaft der Aus­stel­le­r:in­nen mit ihrem Stand ausdrücken dürfen.

Es ist letztlich mein Glaube, dass persönliche Begegnungen durch nichts zu ersetzen sind, der mir Energie gibt, weiterzumachen. Manche Messen haben online stattgefunden und wir haben Rückwände gestellt, vor denen Podiumsdiskussionen gestreamt wurden. So was wird ein Live-Event nie ersetzen. Die Menschen sind heiß drauf, wieder rauszugehen und sich zu sehen.

Thilo Hagedorn, 28 Jahre alt, ist Messebauer in Frankfurt am Main.

Protokoll: Ruth Lang Fuentes

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

▶ Alle Grafiken

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.