Jahreswechsel in Berlin: Lasst es leise krachen!

Corona steht auch für Entspannung: Wieder sorgt die Pandemie dafür, dass der Druck wegfällt, am Silvesterabend in Berlin etwas Tolles zu erleben.

Auch ein kleines Tischfeuerwerk funkelt und knistert Foto: Patrick Seeger/dpa

BERLIN taz | Kein Feuerwerksverkauf, nirgendwo, Böllerverbotszonen überall in der Stadt, Clubs und Diskotheken sind dicht. Die offizielle Party am Brandenburger Tor wäre das Letzte gewesen, was irgendwie Jahreswechsel-Normalität ausgestrahlt hätte – zumindest für all jene, die so etwas normal finden. Aber auch das ist verpufft wie ein Heuler aus dem Aldi-Sortiment: Bei „Celebrate at the Gate“ kann man auch in diesem Jahr wieder nur vom heimischen Sofa aus mitfiebern.

Pandemiebedingt habe man schweren Herzens entschieden, die Show „wieder als reine Fernsehproduktion umzusetzen“, teilte die veranstaltende Silvester in Berlin GmbH schon vor drei Wochen mit. Dennoch muss natürlich alles vor der Kulisse des ollen Langhans-Baus stattfinden – die Leute erwarten das doch –, weshalb der östliche Abschnitt der Straße des 17. Juni zwischen Yitzhak-Rabin-Straße und Ebertstraße für eine geschlagene Woche gesperrt bleibt. Erst am 2. Januar ist wieder alles abgeräumt.

Beim Umzug ins ZDF (20.15 Uhr) ist irgendwie auch der glamouröse Name des Events verrutscht, im TV-Programm wird es nun als „Willkommen 2022“ annonciert. So bieder wird das Ganze dann auch, Lightshow, „Bühnenfeuerwerk“, das Bundespolizeiorchester Berlin und ein absolutes Promi-Line-up inklusive. Stars wie Marianne Rosenberg, Dieter Hallervorden und Art Garfunkel Junior „sorgen für Gänsehautmomente“, und „bei exklusiven Liveschalten“ in die Wohnzimmer von „Celebrities“ (O-Ton Silvester in Berlin GmbH) wie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bleibt am Ende kein Auge trocken. Glücklich, wer da Besseres zu tun hat!

Das Politische

Wer sich politisch betätigen möchte, um nachzuholen, was das ganze Jahr über auf der Strecke geblieben ist, hat am letzten Tag des Jahres noch vielfältige Möglichkeiten.

Zum Frustabbau bietet es sich etwa an, Coronaschwurbler anzupöbeln, denen selbst an Silvester nicht langweilig wird vom ganzen Demonstrieren. Wer aber nicht darauf warten will, dass der verschwörungsideologische Autokorso auf seiner Tour quer durch die Stadt durch die eigene Straße kommt, muss dafür spontan sein. Denn Oberschwurbler Anselm Lenz, einer der Hauptorganisatoren der als „Großdemo“ beworbenen illegalen Versammlung, will erst ab 12 Uhr über den Auftaktort des zwei Stunden später startenden Protests informieren. Massen wird das Spektakel trotz des Mottos „Wir sind viele“ wohl aber eher nicht heranlocken; zu schlecht lief die letzte derartige Versammlung Anfang Dezember. Und zu groß dürften die Einschränkungen und die Polizeipräsenz in Berlin angesichts von 50 Versammlungsverbotszonen an diesem Tag sein.

Womöglich, um nicht mit der Knallerverbotszone rings um die Justizvollzugsanstalt Moabit in Konflikt zu geraten, zieht die traditionelle anarchistische „Silvester zum Knast“-Demo dieses Jahr beginnend an der Frankfurter Allee zum Frauengefängnis nach Lichtenberg. „Für die Herrschenden ist Knast ein wichtiges Instrument, Widerstand zu bestrafen, zu diffamieren und zu delegitimieren“, heißt es im Aufruf. Wer stattdessen lieber mal ein Gefängnis von innen sehen und dann im nächsten Jahr Demobesuch kriegen möchte, kann sich auch um 22 Uhr Ecke Kottbusser Damm/Sanderstraße zu den angekündigten Silvesterkrawallen einfinden.

Das Tänzchen

Dass man dann nach dem Dinner oder den sonstigen Dingen, die man traditionell gern an diesem Abend macht, noch schnell in einem Club vorbeischaut, bevor das neue Jahr losgeht, geht halt nicht. Wieder einmal. Zynischerweise könnte man fast schon von einer neuen Tradition sprechen, die sich mit der Pandemie herausgebildet hat: Silvester kommt, die Clubs haben zu. Im gerade noch angeschärften und recht umfänglichen Regelkatalog für Berlin heißt es unter dem Stichwort „Veranstaltungen, Versammlungen und Kulturleben“ apodiktisch knapp: „Tanzveranstaltungen sind grundsätzlich verboten.“

Partys: Maximal 200 Menschen dürfen in Innenräumen bei offiziellen Feiern zusammenkommen, draußen maximal 1.000. Überall gilt: 2G. In Clubs gilt Tanzverbot.

Großveranstaltungen: 2.000 Menschen in Innenräumen beziehungsweise 3.000 draußen sind erlaubt. Es gilt 2G plus Test und plus Maske.

Kontaktbeschränkungen: Maximal 10 Menschen dürfen sich treffen. Ist jemand der Anwesenden nicht geimpft oder genesen, gilt: maximal ein Haushalt plus zwei Personen eines weiteren Haushalts. Kinder unter 14 Jahren zählen nicht.

Ansammlungsverbot, Feuerwerksverbot: Gilt in der Silvesternacht an 53 Orten, etwa am Kottbusser Tor, im Simon-Dach-Kiez in Friedrichshain und auf dem Teufelsberg im Grunewald. Der Verkauf von Feuerwerk ist verboten. (taz)

Grundsätzlich. Nichts geht mehr mit Tanzen. Drinnen sowieso nicht und jetzt auch draußen.

Noch einmal bestätigt wurde das Tanzverbot diese Woche in Eilentscheidungen des Verwaltungsgerichts Berlin. Um eben die Infektionsgefahr zu verringern. Weil: „Tanzlustbarkeiten begründeten aufgrund verschiedener Faktoren eine besonders hohe Ansteckungsgefahr durch Aerosolübertragung.“

Prinzipiell müssten die Clubs übrigens gar nicht geschlossen haben, „nur“ das Tanzen ist ja nicht erlaubt. Ohne Tanzen aber lohnt es sich halt nicht, nicht vom Gefühl her und nicht im wirtschaftlichen Sinn. Läden, in denen nicht ausschließlich getanzt wird, könnten aufmachen, wie etwa Clärchens Ballhaus. Das traditionsreiche Tanzlokal mit Restaurant in Mitte hat sich aber doch für Betriebsferien noch bis Mitte Januar entschieden. Auch die immer sehr gesellige Ankerklause am Landwehrkanal hat über Silvester noch die Schotten dicht und startet erst am Neujahrstag wieder mit dem Betrieb.

Man wird also schon ein wenig suchen und erst mal schauen müssen, ob das Restaurant seines Vertrauens überhaupt auf hat, um dort sein Silversterdinner einzunehmen. Mit der Reservierung in irgendeinem Restaurant aber könnte es schon noch klappen. Oder halt gleich irgendeine Kneipe – wenn man denn eine findet. Auf der Suche mag man in der eher milden Silvesternacht dann halt tänzelnd unterwegs sein. Sollte es regnen, hält man sich einfach an den Klassiker „Singin’ in the Rain“, wie Gene Kelly in dem gleichnamigen Film.

Und Kelly und Tanzverbot, das geht doch gar nicht.

Und doch der Böller

Nix wie raus aus der Stadt. Und rein ins böllerfreie Paradies? Silvester bei Lagerfeuer und mit Wunderkerzen und Sekt im Garten? Ganz so einfach ist es leider nicht. Denn: Wenn in Brandenburgs Dörfern zum Jahreswechsel nicht geböllert wird, könnten schon mal die Alarmglocken schrillen: Wo sind die Kinder im chinakracherfähigen Alter? Wohnen da nur noch Rentner? Oder haben die Ökos das Dorf übernommen?

Die Fragen sind berechtigt. Stille Dörfer heißen die Ortschaften, in denen es an den ­Wochenenden mehr Be­wohner gibt als Einheimische. Ein bisschen ist es so wie mit den ­Wohnungen in den Städten, in denen ständig die Jalousien unten sind. Böller zu Silvester können in Brandenburg also auch ein Lebenszeichen sein. Und in Polen kann man auch legal welche kaufen.

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