wortwechsel
: Impfskepsis – deutsche Romantik im Geiste?

Könnte die deutsche Romantik geistesgeschichtlich die Impfskepsis in unserem Land erklären? War sie aber nicht auch ein Nährboden für vielfältige alternative Lebensweisen?

Novalis, geboren als Georg Philipp Friedrich von Hardenberg Foto: Tschanz-Hofmann/imago

„Ursprünge der Impfskepsis. Eine deutsche Besonderheit“, taz vom 18./19. 12. 21

Alternative Lebensweise

Die Schlagzeile des Themas auf der Titelseite („Ringelpiks mit Anfassen“) ließ Schlimmes befürchten, doch der Inhalt war bereichernd ernsthaft für mich als geboosterten Anthroposophen. In diesem Gedankenverlauf wertvoll erscheint es mir festzuhalten, dass sich zum Glück aus der beschriebenen sperrigen Geisteshaltung in Mitteleuropa eine wichtige kritische Haltung gegenüber Atomkraft, Genmanipulation und industrieller Landwirtschaft ableitet. Es sind daraus viele gute Projekte einer alternativen Arbeitsweise entstanden, die sonst im Lauf der Welt sehr fehlen würden.

Jochen Künkele, Bielefeld

Was mir fehlte, war der argumentative Bogen zu den USA, wo neuerdings sogar Trump ausgebuht wird, weil er sich boostern ließ. Romantische USA?

Stechpalme auf taz.de

Ostdeutsche Romantik?

Dieser Text folgt der Diagnose Jutta Ditfurths, die in der Romantik eine tragende Säule des offiziellen DDR-Kulturverständnisses ausmachte. In der romantisch vorgeprägten Kulturlandschaft Ostdeutschlands fänden neurechte Gurus wie Götz Kubitschek leicht eine ihnen ergebene Anhängerschaft, so die Schlussfolgerung.

Ein unvoreingenommenes Quellenstudium offenbart allerdings schnell, welch großen Wert die einstigen SED-Apparatschiks auf die Selbstinszenierung als legitime Erben der Aufklärung, nicht der Romantik, legten. Zu den gegen die ideologische Beeinflussung durch SED-Chefideologen höchst immunen Milieus gehörte das deutschnational und zutiefst chauvinistisch gesinnte, welches auch in der DDR fortbestand. Sie – im Verbund mit den nach 1990 aufgewachsenen Rechtsradikalen – bilden heute eine zentrale Kohorte der AfD-Gefolgschaft und der Querdenker in Ostdeutschland.

Alf Zachäus, Halle an der Saale

„German Angst“?

Der Hang der Deutschen zur Romantik, hat schon (als „German Angst“ verspottet) Ende des vorigen Jahrhunderts den Grünen viel Zulauf gebracht und zum Beispiel eine radikale Ablehnung von Gentechnik auf dem Acker befördert. Wenn die wissenschaftlich begründbare Kritik an den neuen, viel riskanteren und in ihrer Wirkung fragwürdigen Impfungen nun in die rechte Ecke geschoben wird, zerstört das jeden normalen Dialog.

Axel Döring, Bremen

Die Gegenaufklärung

Die Romantik war die Reaktion auf die Aufklärung, die sogenannte Gegenaufklärung. Darin gab es durchaus sinnvolle Kritik wie an der Naturzerstörung und der übertriebenen Fokussierung auf die Berechenbarkeit von Natur und Mensch. Aber hier haben die Deutschen nicht differenziert, sondern das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Moral, Vernunft, Logik und Naturwissenschaft – all das war nur noch kalt und totalitär und wurde abgelehnt. Christina246810111213 auf taz.de

Keine homogene Epoche

Die Romantik ist keine homogene Epoche. Die unterschiedlichen Schulen der Früh-, Hoch- und Spätromantik setzten verschiedene Schwerpunkte. Der Versuch, alle Künste miteinander zu verbinden (Universalpoesie) ist fortschrittlich. Außerdem lehnten die meisten Künst­le­r*in­nen die Aufklärung nicht kategorisch ab, sondern wendeten sich bloß gegen deren reinen Empirismus und Rationalismus.

E.T.A. Hoffmanns „Der Sandmann“ zeichnet die Konfliktlinien zwischen den beiden Strömungen sehr schön nach.

tazacorte auf taz.de

@tazacorte Was aus meiner Sicht auch vollkommen übersehen wird, ist der Zusammenhang von Aufklärung und Mythos als dialektischer Wechselbeziehung, wie Adorno und Horkheimer so schön in der „Dialektik der Aufklärung“ aufgezeigt haben. Denn genau dieser wechselseitige Mechanismus, wo Aufklärung wie ein Vexierbild in den Mythos umschlägt, wo Natur überhöht wird und gleichzeitig innerlich wie äußerlich zu beherrschen ist, zeigte sich in rechten Bewegungen der NS-Zeit und in der NS-Zeit selbst. Und es zeigt sich jetzt wieder hier in Deutschland.

Patricia Jessen auf taz.de

Wissenschaftsskepsis

Alle Achtung für diesen ausführlichen Artikel über die Auswüchse der deutschen Romantik im aktuellen Fall des Impfens in Coronazeiten. Der Text von Christian Jakob ist so beeindruckend, weil in ihm typische Zitate hervorragender Geistesgrößen der Romantik (um 1900) im Sinne einer tiefen Wissenschaftsskepsis vorgestellt werden (Hahnemann, Novalis, sogar der große Schiller), die frappieren. Die Abhandlung ist gut recherchiert, die Argumente anhand des Buchs von A. Speit, die Aussagen des Medizinhistorikers M. Thießen, der Soziologin N. Frei und J. Dithfurths Buch von 1996 ausgezeichnet dargestellt. Albert Reinhardt, Stralsund

Wenn Impfskepsis eine deutsche Besonderheit ist, welcher Nationalität/Herkunft sind dann die circa 70 Prozent der Bevölkerung, die keine Probleme damit hatten und haben, sich impfen zu lassen?

Elena Levi auf taz.de

Offene Debatte mit allen?

Ich bin selbst zweifach geimpft und seit 20 Jahren Nutzer und Befürworter der Homöopathie. Das geht für mich durchaus zusammen. Ich bin Lehrerin an einer Waldorfschule und an unserer Schule gibt es Menschen verschiedenster Einstellungen – und eine offene Debatte miteinander. Das ist sicher nicht immer einfach, aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir dieser Pandemie nur im Miteinander gewachsen sein werden, nicht im Gegeneinander. Kornelia Renner, Dresden