Prozess um versuchten Femizid: Das Unerklärliche erklären

Vor Gericht versucht ein Mann in Hamburg zu erklären, warum er seine Frau würgte und dabei fast tötete. Er spricht von „verletzten Gefühlen“.

Eine Frau mit Parolen auf den Armen weint, eine andere hat ein Frauenzeichen ins Gesicht gemalt

Tränen der Wut: Protest gegen Femizide Foto: Henry Milleo/dpa

HAMBURG taz | Wie erklärt man etwas so Unerklärliches – dass man versucht hat, seine Ehefrau zu erwürgen? Thomas P., der in Hamburg wegen versuchten Mordes und 57 weiteren Taten vor dem Landgericht steht, versucht es mit verletzten Gefühlen: „Ich befürchtete, nicht mehr in ihr Leben zu passen, weil sie sich in anderen Kreisen bewegte“, „Ich hatte das Gefühl, ausgeschlossen zu sein“, „Ich fühlte mich rausgeschmissen“.

Dem 40-Jährigen wird vorgeworfen, im Mai seine zu diesem Zeitpunkt in Scheidung lebende Ehefrau in der ehemals gemeinsamen Wohnung in Wandsbek auf das Bett geworfen und gewürgt zu haben. Sie habe sich mit Kräften gewehrt, geschrien und ihn in die Finger gebissen. Daraufhin habe er kurz von ihr abgelassen, um das Schlafzimmerfenster zu schließen.

Anschließend soll er sie auf dem Boden mit Kabelbindern gewürgt haben, bis sie bewusstlos wurde und blau anlief. Daraufhin sei P. aus der Wohnung gelaufen, habe die Polizei und den Rettungsdienst gerufen und sich auf einer Polizeiwache gestellt. Seine ehemalige Frau war bei Eintreffen der Rettungskräfte bewusstlos und schwebte in Lebensgefahr, hat aber überlebt.

Am dritten Verhandlungstermin verlas die Anwältin P.s eine halbstündige Aussage. P. beschreibt darin, wie sich das Verhältnis zu seiner damaligen Frau verschlechterte, während sie auf der Arbeit Anerkennung fand und befördert wurde, aber meist erschöpft nach Hause gekommen sei.

Der Angeklagte räumte 57 Taten ein

Neid und gekränkter Narzissmus sprechen aus seinen Zeilen. P. nennt es „Eifersucht“. „Ich war wohl ungerecht, weil ich ihr zwar den Erfolg gönnte, aber auch eifersüchtig war, dass sie auf der Arbeit Erfüllung fand und zu Hause nur die Erschöpfung teilte“, sagt er. Er habe versucht, ihr eine Freude zu machen, indem er sie zu gemeinsamen Abenden oder Urlauben ermunterte, aber ihre Freude sei ihm größer erschienen, wenn sie sich mit Freundinnen getroffen habe.

Als sie immer öfter und heftiger stritten, habe sie die Scheidung in die Wege geleitet. Er sei in eine Wohnung in der Nähe gezogen, aber weiterhin zum Wäschewaschen vorbeigekommen, und um die Kinder zu sehen.

P. betont, wie gern er die Beziehung gerettet hätte und wie unerreichbar seine Exfrau für ihn in dieser Zeit gewesen sei. Wozu er nichts sagt, ist die Motivation, aus der heraus er sie 57-mal, über den Zeitraum eines Jahres hinweg, heimlich mit dem Handy durch das Badezimmer-Schlüsselloch filmte und dabei auf ihren Vaginalbereich zoomte, während sie duschte.

In seiner Aussage räumte er diese Taten ein, ohne ein weiteres Wort darüber zu verlieren. Auf Nachfrage des Richters ließ er über seine Anwältin klarstellen, die Aufnahmen seien für seinen „privaten Gebrauch“ und nicht zur Veröffentlichung bestimmt gewesen – anders als gewisse Nacktfotos, mit deren Veröffentlichung er ihr nach eigener Aussage bei Streitereien gedroht habe. Die Drohung habe ihm das Gefühl gegeben, ihr Verhalten beeinflussen zu können.

Im Ego gekränkt und im Besitzanspruch verletzt

Die Erklärung des Angeklagten klingt exemplarisch für einen der zahlreichen Fälle von Femizid oder versuchtem Femizid in Deutschland, die der Polizei täglich gemeldet werden: Ein hoch narzistischer Mann sieht seine Bedeutung im Leben seiner Partnerin schwinden. Ihre Unabhängigkeit verletzt sein Ego und seinen Besitzanspruch, den er ihr gegenüber zu haben glaubt. Als er merkt, dass er ihre Autonomie nicht verhindern kann, versucht er, dennoch auf ihre Sexualität zuzugreifen und sie schließlich zu töten.

So kann es in dem Fall von Thomas P. gewesen sein. Es kann auch ganz anders gewesen sein. Bislang räumte der Angeklagte lediglich ein, was nicht mehr zu leugnen war. Viele Fragen sind noch offen, wie die nach dem genauen Ablauf dessen, was P. als „Gerangel“ beschreibt und die Staatsanwaltschaft einen Mordversuch nennt. Auch ob, und wenn ja, wie genau die Kabelbinder dabei als Tatwerkzeug zum Einsatz kamen, muss die Beweisaufnahme noch klären. Die Termine der Hauptverhandlung sind bis Februar angesetzt.

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