Omikron-Variante gefährdet Versorgung: Hält die kritische Infrastruktur?

Die Omikron-Variante könnte das Land im Januar mit Wucht treffen. Was, wenn Polizistinnen, Kassierer, Erzieherinnen, Pfleger, Ärztinnen ausfallen?

Orange gekleidete Männer der Berliner Stadtreinigung gehen vor dem Brandenburger Tor im Schnee

Auch diese Männer mit Besen und Schaufel von der BSR gehören zur kritischen Infrastruktur Foto: Florian Gaertner/Photothek/imago

Vier Wellen haben wir in der Pandemie schon hinter uns. Warum soll die bevorstehende fünfte Welle die kritische Infra­struktur gefährden?

Schon während der letzten vier Wellen kam es in Betrieben zu so großen Personalausfällen, dass etwa der Müll nicht abgeholt werden konnte, es nicht genügend Behördentermine gab und auch die Polizei weniger Fälle bearbeiten konnte. Ganz zu schweigen von den chronisch überlasteten Krankenstationen und Pflegeheimen. Aber dass flächendeckend die kritische Infrastruktur gefährdet sein könnte – so weit kam es bisher nicht. Mit der Ausbreitung der Omikron-Variante könnte sich das bald ändern. Der Grund: Die „nie dagewesene Verbreitungsgeschwindigkeit“, wie es der Ex­per­t*in­nen­rat der Bundesregierung zu Beginn der Woche bezeichnet hat.

Denn Omikron unterläuft einen bestehenden Infektionsschutz und infiziert auch Genesene und Geimpfte. Diese explosionsartige Verbreitung von Omikron ist aktuellen Schätzungen zufolge etwa drei- bis viermal höher als bei bisher bekannten Varianten. Wird diese Entwicklung nicht über massive Kontaktbeschränkungen gestoppt, werden wir im Januar bei über 100.000 Neuinfizierten liegen – pro Tag.

Erste Studien aus Großbritannien deuten zwar auf einen milderen Krankheitsverlauf hin, auch Impfen und Boostern scheinen zu wirken. Doch was die öffentliche Daseinsvorsorge betrifft, tut das nicht viel zur Sache. Sollten viele Menschen zur selben Zeit krank werden und in Quarantäne gehen, fallen sie – sofern sie keinen Homeoffice-kompatiblen Job haben – aus. Bis zu sechs Millionen gleichzeitig Erkrankte könnte es im Januar oder Februar geben, hat Thorsten Lehr, Professor für Klinische Pharmazie der Saar-Uni, errechnet.

Ist das Krisenmanagement in Deutschland gut aufgestellt?

Eher nicht. Für das Risiko- und Krisenmanagement ist das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) zuständig, gemeinsam mit den Ländern. Das BBK empfiehlt den Betreibern kritischer Infrastruktur – also Behörden und Unternehmen – eigene Ablaufpläne für den Krisenfall anzulegen. Dazu gehören Krisenstäbe, Informations- und Meldewege.

Das Bundesinnenministerium hat zudem einen fünfstufigen Leitfaden für das Risiko- und Krisenmanagement entwickelt: Vorplanung, Risikoanalyse, vorbeugende Maßnahmen und Strategien, Krisenmanagement und Evaluierung. Katastrophenschutz ist Ländersache. Der Bund und auch das BBK können nur im Kriegsfall und bei militärischen Konflikten koordinierend eingreifen. Die Pandemie hat aber gezeigt, dass der föderale Flickenteppich schnelle Maßnahmen behindern kann. Demnächst soll es ein neues gemeinsames Krisenzentrum geben, das beim BBK angesiedelt ist – aber frühestens ab Frühjahr 2022.

Wie wird gewarnt?

Bei Hochwasser, Großbränden, Gasentwicklung, aber auch bei pandemiebedingten Stromausfällen versenden die Länder Meldungen. Zum Beispiel über die Notfall-Warnapp Nina. Laut Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe nutzen rund elf Millionen Menschen die App. Der Versand einer Warnmeldung über das Nina-System soll rund 30 Sekunden dauern. Über die App können verschiedene Orte abonniert, Push-Nachrichten für den aktuellen Standort angelegt werden. Zudem sind lokale Coronaregeln und allgemeine Pandemiebestimmungen über die App einsehbar.

Nicht nur digital wird die Bevölkerung informiert, sondern auch über Sirenen. Da es diese nicht mehr flächendeckend gibt und nicht alle Sirenen technisch auf der Höhe sind, hat der Bund ein Sirenenförderprogramm aufgelegt. Das BBK empfiehlt, sich bei der Stadt- und Gemeindeverwaltung zu informieren, welche Warnmittel verwendet werden.

Fehlen also bald Po­li­zis­t:in­nen auf der Straße?

Polizeigewerkschafter in Sachsen warnen: Die Corona-Infektionen in den eigenen Reihen nähmen überhand, Dienststellen seien „kräftemäßig am Limit“. Das sächsische Innenministerium versucht zu beruhigen: Die Einsatzfähigkeit der Polizei sei nicht in Gefahr. Dennoch befanden sich in dieser Woche 530 der 14.000 sächsischen Po­li­zis­t:in­nen in Quarantäne, 361 davon Corona-infiziert. Die Zahlen sind anderenorts kaum besser. „Wir machen uns große Sorgen um die Gesundheit der Kolleginnen und Kollegen“, sagt Oliver Malchow, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Bei einigen Polizeieinheiten wird inzwischen in getrennten A- und B-Teams gearbeitet, um Kontakte zu reduzieren.

Derzeit setzt die Polizei vor allem aufs Boostern, einige Personalräte fordern eine Impfpflicht für Polizeikräfte. Das Bundesinnenministerium legt sich da nicht fest und verweist auf die teils bereits hohen Impfquoten. Bei der Bundespolizei beträgt sie gut 80 Prozent. GdP-Chef Malchow glaubt: „Aus momentaner Perspektive werden die Polizeien die Lage im Griff haben.“ Werde es ernster, fordert Malchow eine länder­über­greifende Zusammenarbeit und „gegebenenfalls eine Aufgabenpriorisierung“. So solle die Polizei lieber die Einhaltung der Coronaregeln kontrollieren als Autos im Halteverbot.

Wie steht es bei der Feuerwehr?

Der Deutsche Feuerwehrverband (DFV) erwartet durch die Omikron-Welle „unvermeidliche Ausfälle“. Schon heute würden mancherorts kleinere Gruppen für Einsatzfahrzeuge gebildet, um Ansteckungen zu vermeiden. Falle eine Einheit komplett aus, springe eine Nachbarfeuerwehr ein. Der DFV fordert daher nun, für Angehörige von „Gefahrenabwehrorganisationen“ wie der Feuerwehr keine Quarantäne mehr zu verhängen, wenn diese Erstkontakte von Infizierten sind.

Die Regeln hierfür, ebenso wie fürs Freitesten, seien bisher von Land zu Land unterschiedlich, was ein „hohes Ausfallrisiko“ berge. Auch appelliert der Verband, Booster-Impfungen für die Feuerwehr prioritär zur Verfügung zu stellen – und an die Dienstkräfte, diese auch anzunehmen. Zudem fordert der DFV, dem Personal von kritischen Infrastrukturen wieder eine bevorzugte Kinderbetreuung in Kitas und Horten anzubieten.

Können ehemalige Feuerwehrleute, Pfleger*innen, Ärz­t*in­nen oder andere aus den kritischen Infrastrukturen wieder zurück in den Beruf geholt werden?

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) schlägt im Fall von umfangreichen Personalausfällen als eine von mehreren Maßnahmen die „Reaktivierung ehemaliger Mitarbeiter“ vor. Ehemalige Pfle­ge­r*in­nen etwa könnten sich bei der Internetplattform „Pflegereserve“ anmelden. Darüber vernetzt die Bundespflegekammer qualifiziertes Personal, das mittlerweile nicht mehr in der Pflege arbeitet, mit Einrichtungen, die personelle Unterstützung suchen, um die Pandemie zu bewältigen. Doch das ist einfacher gesagt als getan.

Der Vizepräsident des Deutschen Feuerwehrverbands, Frank Hachemer, ist skeptisch. Bei ehemaligen Feuerwehrleuten sei „zumeist kein aktueller Ausbildungsstand mehr vorhanden“. Hinzu komme, dass die notwendige Schutzkleidung fehle. Die Ehemaligen müssten zudem wieder in bestehende Gruppen integriert werden. „Der damit verbundenen notwendigen Einzelfall-Abwägung einer Verwendbarkeit sind hier enge Grenzen gesetzt.“

Wie sieht es mit der Energieversorgung aus?

Die Energiewirtschaft sieht derzeit kein erhöhtes Risiko für die Versorgungssicherheit. Das teilte zumindest Kerstin Andreae, die Chefin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), mit. Denn zum einen seien 80 bis 90 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geimpft. „Das lässt darauf hoffen, dass zumindest mit weniger schweren Krankheitsverläufen zu rechnen ist.“ Zum anderen verfügt die Energie- und Wasserwirtschaft über einen hohen Automatisierungsgrad.

Schlägt jetzt die Stunde der Prepper?

Prepper sind Menschen, die sich auf eine drohende Katastrophe vorbereiten. Sie dürften sich nun bestätigt fühlen. Aber auch das BBK empfiehlt, Lebensmittelvorräte, notwendige Medikamente sowie Bargeld zu Hause vorzuhalten, sodass eine autarke Versorgung für die Familie für drei bis vier Tage auch ohne größere Einkäufe gewährleistet werden kann. Preppern geht es aber um sehr viel mehr als Konservendosen und Wasserkanister. Sie horten auch Waffen und Munition – aus politischer Motivation

Der rechtsextreme Bundeswehroffizier Franco A. etwa, der derzeit in Frankfurt am Main wegen mutmaßlicher Terrorpläne vor Gericht steht, hatte nicht nur Treibstoff und Notnahrung in seinem Keller gelagert, sondern auch Patronen und Gewehre. Bis heute rechtfertigt er dies als legitime Vorsorgehandlung im Blick auf einen drohenden Angriff Russlands oder einen Bürgerkrieg.

Ähnlich verhielt sich die „Zuflucht“-Preppergruppe in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Zu deren Mitglieder zählten auch Reservisten der Bundeswehr. Sie planten die Unterwerfung eines Dorfes an einem Tag X.

Entscheidend ist: Diese Prepper eint eine rechtsextreme Einstellung, die sich vor allem in einer Ablehnung des bestehenden demokratischen Rechtsstaates ausdrückt. Eine Krise wird dabei als Chance gesehen, das bestehende politische System abzulösen.

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