Gründer über die Bedeutung von Radio: „Ich bin ein obsessiver Typ“

Ruben Jonas Schnell hat den Hamburger Radiosender ByteFM gegründet. Ein Gespräch über Kopfhörer unter der Bettdecke, Jazzrock und die Podcast-Welle.

Ruben Schnell sitzt vor einer Wand, an der Bilder und Plakate hängen

„Genres sind mir inzwischen egal, ich höre alles“, sagt Ruben Jonas Schnell Foto: Miguel Ferraz

taz: Herr Schnell, Sie machen mittlerweile mehr als die Hälfte Ihrer 53 Lebensjahre Radio …

Ruben Jonas Schnell: Mehr als die Hälfte meines Lebens? Das habe ich mir so noch nie vergegenwärtigt.

Woher rührt die langjährige Leidenschaft für Ihr Medium?

Noch aus meiner Kindheit. Radio will ich eigentlich machen, seit ich 13 Jahre alt bin. Als ich damals von der Schule nach Hause kam, sah ich meine Mutter meistens am Radio sitzen, Zeitung lesen und die NDR-Sendung – Ältere erinnern sich – „Musik für junge Leute“ hören. In einer Zeit, als auch ich mich langsam intensiver für Musik zu interessieren begann, brachte mir das die Emotionalität im Radio so nah, dass ich später den „Nachtclub“ mit Kopfhörer unter der Bettdecke gehört habe und so was Ähnliches auch machen wollte.

Wie haben Sie die Liebe zum Radio aus der analogen Epoche in die digitale gerettet?

Das hat wohl damit zu tun, dass ich ein obsessiver Typ bin. Wenn ich mich geschmacklich in irgendetwas festbeiße, lasse ich nicht so schnell los und bleibe dem treu. Diese Loyalität meinen eigenen Entscheidungen gegenüber ist vermutlich Teil meines Charakters. Als Teenager war ich auch fasziniert vom Fernsehen, hatte ihm aber nie die gleiche Bedeutung beigemessen wie dem Radio und deshalb auch keinen Fernseher, als ich von zuhause ausgezogen bin.

53, zog von Hannover zum Studium nach Freiburg. Dort begann er als Musikredakteur bei Radio Dreyeckland. Ab Ende der 1990er moderierte er im NDR den „Nachtclub“. 2007 gründete er ByteFM.

Bis heute?

Bis heute.

Weil Sie so ein akustischer Typ sind, dem das Visuelle weniger wichtig ist?

Eher, weil mir Musik so wichtig war und ist. Obwohl ich mich für visuelle Medien oder bildende Kunst interessiere, gibt Radio mir bis heute alles, was ich brauche. Neben der Vermittlung von Inhalten bietet es die Möglichkeit, sich zum Erzählten Gesichter vorzustellen, ohne sich ablenken zu lassen. Diese Fokussierung bedeutet mir, verglichen mit Film und Fernsehen, am meisten.

Profitiert der von Ihnen gegründete Sender ByteFM von der Podcast-Welle – der neuen Sucht nach gehörtem statt gezeigtem Text?

Mittlerweile sind Podcasts ein flächendeckend genutztes Informations- und Unterhaltungsmedium. Wir bieten mit ByteFM drei Podcasts in Kooperation mit dem Reeperbahn-Festival, den Deichtorhallen und dem Frankfurter Städel Museum an. Aber auf unser Hauptprogramm hat das kaum Auswirkungen. Ich habe nichts dagegen, dass es auch bei uns Formate mit höherem Wortanteil gibt, aber wir bleiben ein musikjournalistisches Radio. Wenn man es gut machen will, gilt: je höher der Wortanteil, desto aufwendiger die Produktion.

Inwiefern?

Eine Sendung über 60 und mehr Minuten so auszugestalten, dass die Leute dranbleiben, erfordert enorm viel Vorarbeit und Konzentration. Nur wegen der Podcast-Welle mehr Redeanteil ins Programm zu nehmen, würde am Ende zur Laberei führen. Für mich war ohnehin immer klar, dass zu meiner Art von Radio immer die Musik gehört.

Ihre Art Radio war bis zur Gründung von ByteFM vor 14 Jahren noch ziemlich analog. Jetzt haben Sie eine UKW-Frequenz beantragt. Hat das auch mit Nostalgie zu tun?

Wir senden ab Januar sogar auf zwei Frequenzen, aber das hat keine nostalgischen, sondern ganz pragmatische Gründe: Wenn wir auf UKW zu empfangen sind, bespielen wir in und um Hamburg 180 Kilometer Autobahn, und wenn uns auch nur ein paar Prozent der Leute gut finden, die morgens zur Arbeit fahren, wird unsere Hö­re­r*in­nen­schaft schlagartig größer. Außerdem stellt es für viele eine Aufwertung unserer Arbeit dar, dass ByteFM künftig nicht nur im Netz sendet, sondern „in echt“.

Also haptisch erlebbar wie früher?

Obwohl man Radio nicht anfassen kann, mag ich den Vergleich. Auch im Web war das Programm von ByteFM immer traditionelles, lineares Radio, bei dem sich die Hö­re­r*in­nen in derselben Zeitzone befinden wie die Moderator*innen. Das hat beinahe was Romantisches.

Wird es auch inhaltlich etwas ändern?

Nur insofern, als wir von sieben bis neun Uhr ein kulturelles Stadtmagazin anbieten, das sich gezielt an Ham­bur­ge­r*in­nen wendet, mit Ge­sprächs­part­ne­r*in­nen aus dem kulturellen Leben unserer Stadt. Außerdem gibt es ab Januar auf UKW Kulturnachrichten aus Hamburg im Anschluss an die Deutschland-Nachrichten.

Kann es da Zufall sein, dass der NDR Ihren Rahmenvertrag ausgerechnet dann kündigt, als Sie ihm mit diesem Stadtmagazin zur besten Radio-Zeit Konkurrenz machen?

„Von der Songauswahl bis zur Moderation kann alles politisch sein“

(lacht) Also… der NDR stellt sein Programm gerade um und verzichtet im Zuge seiner Sparmaßnahmen dabei auch auf Autor*innen. Ich habe auch schon gehört, dass meine Kündigung mit der UKW-Lizenz von ByteFM zu tun haben könnte, aber das ist Geraune.

Sie gehen im Frieden auseinander?

Absolut, ich bin dankbar für die lange Zeit beim NDR. Ohne diese Erfahrungen hätte ich ByteFM wohl nicht machen können. Mittlerweile ist der Arbeitsaufwand aber ohnehin so gewachsen, dass ich anderes Radio nicht mehr schaffen würde. Perfektes Timing also, ich bin total happy.

Vom Geschäftsführergehalt eines Online-Radios mit UKW-Welle kann man leben?

Ja, auch wenn das Gehalt klein ist. Aber wir alle hier haben viele Jahre unentgeltlich für ByteFM gearbeitet, auch ich.

Gab es 1990, als Sie bei Radio Dreyeckland in Freiburg mit dem Radiomachen angefangen haben, schon Geld?

Nein. Jedenfalls nicht für Moderator*innen. Aber darum ging es auch nicht. ByteFM haben wir ebenfalls nicht gestartet, um Geld zu verdienen, sondern um den Traum vom guten musik-journalistischen Radio umzusetzen. Dass inzwischen neun Mit­ar­bei­te­r*in­nen festangestellt tätig sind, hätten wir 2008 nicht zu hoffen gewagt.

Radio Dreyeckland war explizit politisches Radio – hat es sie mitpolitisiert oder sind Sie damals dorthin gegangen, weil es Ihrer Politisierung entsprach und Sie es durch die Mitarbeit unterstützen wollten?

Ich wünschte, jetzt sagen zu können, damals schon total politisiert gewesen zu sein. War aber nicht so. Ich wollte Radio machen. Dass Radio Dreyeckland in der Anti-AKW-Bewegung entstanden ist, fand ich weniger wichtig als die Möglichkeit, Musiksendungen nach meinem Geschmack machen zu können. Meine politische Haltung passte zwar zu dem, wofür der Sender stand. Das hat sich aber nicht bewusst auf meine Arbeit ausgewirkt.

Ist Musikradio tendenziell unpolitisch?

Nee, im Gegenteil. Von der Songauswahl bis zur Moderation kann alles politisch sein, aber dann ist das eben weniger direkt, eher hintergründig.

Wie ist eine Sendung, etwa über schottischen Jazzrock, politisch?

Allein schon, sich eine Stunde lang mit schottischem Jazzrock, den Menschen dahinter, ihrem sozialen Umfeld zu beschäftigen, setzt ein kulturpolitisches Verständnis für die Verhältnisse voraus, das weit über die Musik hinausweist. Womöglich ist das sogar politischer, als sich in derselben Zeit mit linksradikalem Hardcore auseinanderzusetzen, der sich viel konkreter, also ersichtlicher positioniert. Wenn Kunst, gleich welcher Art, nicht nur „Ich liebe dich“ vor sich hin flötet, ist vom Gemälde bis zum Popsong alles potenziell politisch – schon als Kommunikationsmittel, das die Menschen durch seine Präsentation beeinflussen kann.

Haben Sie dabei ein didaktisches Verständnis von Radio, das den Hörenden etwas nahe-, womöglich gar beibringen will? Um den Menschen im Autotune-Gewitter des Formatradios andere Blickrichtungen auf Musik zu eröffnen?

Obwohl auch ein Autotune-Gewitter mit Kompetenz und Liebe gemacht sein kann, versuche ich eine Differenzierung vorzunehmen, was darüber hinaus möglich ist. Im öffentlich-rechtlichen Radio sollte das sogar die Aufgabe sein, mit der ich mich – auch wenn ich nicht mehr dafür tätig bin – voll identifiziere. Dieser musikalische Bildungsauftrag bietet großes Potenzial.

Haben Sie als obsessiver Radiomacher manchmal den Hang zum Missionarischen, um Menschen am Tresen von besserer Musik zu überzeugen?

Ich habe eine sehr klare Meinung darüber, was ich gut finde. Ich lasse aber jede andere Meinung gelten. Am Tresen würde ich niemanden belehren, aber bei ByteFM darf ich entscheiden, wer moderiert und in seinen Sendungen gute von schlechter Musik unterscheidet.

Ist das so eine Art Richtlinienkompetenz als Geschäftsführer?

Schon. Aber es geht da um Zugang und Kompetenz und auch darum, wer Musik vermitteln kann, nicht um meinen Musikgeschmack.

Welcher wäre das denn ungefähr?

Genres sind mir inzwischen tatsächlich egal, ich höre alles. Es muss mich beeindrucken oder berühren.

Und bei ByteFM?

Die stumpfen Abarbeitungen der Charts hätten jedenfalls keine Chance. Und falls jemand noch mal den Hardcore-Punk der Siebziger analysieren möchte: nur zu. Besonders von einer Frau – beim Männerüberhang unserer Branche würde ich jede mit gleicher Kompetenz vorziehen.

Sind Sie trotz dieser modernen Sicht auf Gender eigentlich Nostalgiker, mit Vinylsammlung und Retromobiliar?

Im Gegenteil. Obwohl ich das haptische Gefühl verstehe, ist Vinyl unwichtig für mich. Weil es mir schon immer egal war, wie ich Musik höre, streame ich sie digital. Ist am einfachsten. Aber ich empfinde Radiohören auch gar nicht als nostalgisch, sondern ohne viel Aufwand tagesbegleitend. Ich will einfach nicht die ganze Zeit wählen, was läuft, sondern lasse mich gern überraschen.

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