Radikaler Protest, aber steigende Impfquote

Tausende protestieren gegen Coronamaßnahmen. Der Einzelhandel leidet unter 2G und fürchtet um seine Feiertagsumsätze

„Die Maßnahmen sind eine dramatische Zäsur im Weihnachtsgeschäft“

Stefan Genth, Handelsverband HDE

Von Barbara Dribbusch

Impf­geg­ne­r:in­nen radikalisieren sich, aber auch die Impfbereitschaft steigt und der Einzelhandel fürchtet um das Weihnachtsgeschäft. Anlässlich der verschärften Coronamaßnahmen und der Debatte um die Impfpflicht kam es am Wochenende zu vielfältigen Protesten.

Ein Fackelaufmarsch mutmaßlich rechtsextremer Geg­ne­r:in­nen der Coronaschutzmaßnahmen vor dem Wohnhaus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) in Grimma am Freitagabend hatte parteiübergreifend Empörung ausgelöst. Bundesinnenminister Horst Seehoer (CSU) hatte in der Bild am Sonntag den Fackelzug mit 30 Teil­neh­me­r:in­nen verurteilt. Dieser erinnere ihn an das „dunkelste Kapitel deutscher Geschichte“.

Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Thomas Strobl (CDU), befürchtet durch eine geplante Impfpflicht eine weitere Radikalisierung der sogenannten Querdenker. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes sei davon auszugehen, dass „eine Impfpflicht die aggressive Haltung der ‚Querdenker‘-Bewegung noch verstärkt“, sagte der baden-württembergische Innenminister den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. In Deutschland will die Ampelkoalition in dieser Woche eine Impfpflicht ab März 2022 erst mal nur für Pflegepersonal einführen.

In Hamburg gingen am Samstag etwa 5.000 „Quer­den­ke­r:in­nen“ und Impf­skep­ti­ke­r:in­nen auf die Straße. In Berlin, Potsdam, Hannover, Frankfurt am Main und Trier kam es zu weiteren Protesten.

In der Bund-Länder-Runde war in der vergangenen Woche beschlossen worden, dass der Zutritt zu Geschäften, Restaurants, Kinos und Theatern generell auf Geimpfte und Genesene beschränkt werden soll (2G). Zusätzlich können auch noch Tests vorgeschrieben werden (2G-Plus). Ausgenommen sind Läden des täglichen Bedarfs wie etwa Supermärkte. Überdies gilt die 3G-Regel am Arbeitsplatz und im öffentlichen Nahverkehr, wonach nur noch Geimpfte, Genesene oder Leute mit einem tagesaktuellen Test zugelassen sind. Die Bestimmungen führen teilweise zu langen Schlangen vor den Teststellen für kostenlose „Bürgertests“.

Aber die Zahl der Impfungen steigt: Am Freitag verzeichnete das RKI 896.000 Impfungen an einem Tag. Darunter waren 756.000 Auffrischungsimpfungen und 65.000 sogenannte vollständige Impfungen, also Zweitimpfungen. Wie aus Gesprächen der taz mit Erst-Impflingen in der Wochenendausgabe hervorging, ist die Einführung der 2G-Regel und die 3G-Regel mit der aktuellen Testpflicht ein wichtiger Grund, sich doch noch zur Impfung anzumelden.

Laut RKI vom Sonntagfrüh ist die Sieben-Tage-Inzidenz bei den Corona-Ansteckungen in Deutschland insgesamt wieder leicht gesunken. Das RKI meldete einen Wert von 439,2 nach 442,7 am Samstag.

Doch das Weihnachtsgeschäft leidet: Die Erlöse im stationären Handel mit Nichtlebensmitteln lagen in der Woche vor dem zweiten Advent um durchschnittlich 26 Prozent unter dem Vorkrisenjahr 2019, wie der Handelsverband Deutschland (HDE) am Sonntag nach einer Umfrage unter 1.600 Branchenfirmen mitteilte. „Die Einführung verschärfter Corona-Maßnahmen in Geschäften ist eine dramatische Zäsur im Weihnachtsgeschäft“, erklärte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. Besonders hart traf es demnach den Bekleidungshandel, der ein Umsatzminus von 35 Prozent verzeichnete.

Wie die Bild-Zeitung berichtete, plant die Ampelkoalition weitere Verschärfungen im Infektionsschutzgesetz, die den Ländern wieder die Möglichkeiten etwa der Schließungen von Restaurants eröffnen würden.

Die Ampelfraktionen haben angekündigt, den sogenannten Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) bis Ende Juni 2022 auszudehnen. Der Fonds hilft großen Unternehmen in der Krise. Die sogenannten Überbrückungshilfen, die auch kleinere Unternehmen und Soloselbstständige bei ihren Fixkosten unterstützen, wurden bereits bis März 2022 verlängert.

In Österreich soll ab Februar 2022 eine allgemeine Impfpflicht gelten. In Wien hatten am Samstag mehr als 40.000 Menschen an Demonstrationen gegen die Impfpflicht und Coronamaßnahmen teilgenommen. Wegen sehr hoher Corona-Infektionszahlen hat Österreich Mitte November einen Lockdown verhängt. Alle Geschäfte abgesehen von denen für den täglichen Bedarf sind geschlossen. Die Menschen dürfen nur für Spaziergänge und Sport im Freien, den Gang zum Arzt oder ähnliches ihr Zuhause verlassen

In Luxemburg stürmten De­mons­tran­t:in­nen nach Kundgebungen gegen die Coronapolitik am Samstag einen Wintermarkt. Es sei zu „leichten Ausschreitungen gekommen“, so die Polizei. In Brüssel gingen am Sonntag ebenfalls Tausende Menschen gegen die Coronamaßnahmen auf die Straße. (mit dpa, reuters, epd)

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