Filderdialog: „Scheiße gelaufen“

Es ist kurz nach halb sieben am Abend, Arne Braun, der Vize-Regierungssprecher, ist am Telefon. „Ein Versehen“, sagt er, irgendwie so durchgerutscht. Es geht um ein Zitat in einem Interview mit einem Stuttgarter Medium zum Filderdialog. Arne Braun ist im Stress. „Das ist echt scheiße gelaufen“, sagt er

von Anna Hunger

Die Landesregierung hat zur Glättung der Wogen ein erstes Bürgerbeteiligungsverfahren zum Anschluss des Flughafens an Stuttgart 21 initiiert – mit dabei: eigentlich geplante 80 bei Einwohnermeldeämtern per elektronischem Zufallsverfahren ausgewählte Bürger. Im ersten Anlauf wollten aber nur fünf der Ausgewählten mitdiskutieren, also wurde der Dialog verschoben. Im zweiten Anlauf waren es anfangs nur 40, dann meldeten sich kurz vor knapp doch noch 36 weitere Zufällige zur freiwilligen Teilnahme. Jedenfalls tagte die Konferenz am vergangenen Samstag zum ersten Mal. Wäre ja auch eine landesweite Blamage gewesen, wenn nicht.

Aber offenbar war es mit der Zufallsauswahl doch nicht so einfach, wie es scheint.

Gisela Erler, die Mutter des Filderdialogs, von Winfried Kretschmann abgestellte Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung, also die Koryphäe im Land für die Einbindung des Normalmenschen in politische Zwistigkeiten, fand nach der ersten Beteiligungs-Niederlage vor rund vier Wochen, nun müsse man dem Zufall doch ein wenig auf die Sprünge helfen. Auf die Frage, wie man denn mit dem mangelnden Bürgerwillen umzugehen gedenke, sagte sie wörtlich: „Wir werden uns nächste Woche intensiv um Leute bemühen und sie anrufen. Dazu suchen wir auch den Kontakt zu Mütterzentren.“

Mütterzentren?

Das sei eine Idee von Frau Erler persönlich gewesen, erklärt Arne Braun am Telefon. Mütterzentren sind das Steckenpferd von Gisela Erler, der Trägerin des Elisabeth-Selbert-Preises, verliehen für hervorragende wissenschaftliche Leistungen, die das Verständnis für die besondere Situation der Frau in der Gesellschaft fördern. Erler ist Gründerin und Mitinhaberin der pme Familienservice GmbH (Jahresumsatz 2010: 25,6 Millionen Euro) mit umfassendem Programm – von der Rundum-Betreuung für Alte über Seminarangebote für Firmen bis zur Kinderbetreuung. Eines ihrer Bücher heißt Die Rückkehr des Lebens in die Öffentlichkeit. Zur Aktualität von Frauenzentren. Daher Mütterzentren und eben nicht Gesangvereine.

Frau Erler, das wüssten die, die sie kennen, sagt Braun, verbreite ab und an ihre Ideen etwas vorschnell in die Öffentlichkeit. Natürlich seien keine Mütterzentren kontaktiert worden. Das ginge ja schon aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht. Ganz zu schweigen vom Zufall, dem die neu geschaffene Spezies des Stuttgarter Zufallsbürgers ja unterliegt. Den Satz habe man bei der Autorisierung des Interviews extra streichen lassen. Offenbar, sagt Braun, habe der Redakteur aber vergessen, ihn außer aus der Print- auch aus der Online-Version der Zeitung zu tilgen.

Nach fünf Tagen, abzüglich zwei Tagen Wochenende, lässt das Staatsministerium noch ausrichten, das Interview mit Frau Erler sei wohl am Rande einer mit Mütterzentren in Verbindung stehenden Veranstaltung gemacht worden. Offenbar also eine der damaligen Veranstaltung geschuldete selektive Wahrnehmungsverschiebung zur Rettung des Filderdialogs. Das Interview fand aber nicht am Rande einer Mütterzentren-Veranstaltung statt, sondern am Rande einer Veranstaltung zur Bürgerbeteiligung, just an dem Abend, als klar wurde, dass die erste Runde des Filderdialogs abgesagt werden muss.

Nun ist er also gelöscht, der Mütter-Satz. Und Frau Erler hat innerhalb der Gruppe der Zufallsbürger auch so eine stolze Frauenquote von 45 Prozent erreicht. Ein Verdienst der elektronischen Auswahl, sagte sie stolz. Prima. Und das offiziell ganz ohne Mütterzentren.

Aber immer noch steht in besagtem Interview: „Wir werden uns nächste Woche intensiv um Leute bemühen und sie anrufen.“

Die Pressestelle des Staatsministeriums erklärt, es sei natürlich überhaupt kein Zufallsbürger angerufen worden. Das sei eine Idee gewesen, wie man mehr Leute zum Filderdialog motivieren könnte. Die Idee habe man dann aber gründlich überdacht und letztlich verworfen. Natürlich auch aus datenschutzrechtlichen Gründen.

Apropos Datenschutz. Vermutlich eine obsolete Frage, die Landesregierung hat sich bestimmt gekümmert: Aber wie ist das denn mit der Zufallsauswahl? Der Datenschutzbeauftragte des Landes, Jörg Klingbeil, schreibt: „Bei mir ging lediglich eine telefonische Anfrage ein, ob Bedenken dagegen bestünden, wenn die Adressdaten der von den Gemeinden (offenbar aus dem jeweiligen Melderegister) ausgewählten Bürgerinnen und Bürger an eine zentrale Versandstelle im Staatsministerium weitergeleitet werden, die dann den Versand der Einladungen vornimmt. Da es sich beim Staatsministerium um eine (andere) Behörde im Sinne von Paragraf 29 des Meldegesetzes handelt und man die Organisation einer entsprechenden Veranstaltung als Aufgabe des Staatsministeriums ansehen könnte, habe ich keine durchgreifenden datenschutzrechtlichen Bedenken gegen diese Form der Datenübermittlung erhoben.“

Im Konjunktiv betrachtet also keine Bedenken. Da sind wir ja beruhigt. Nachdem Frau Erler beinahe Mütterzentren kontaktiert und irgendwelche Zufallsbürger angerufen hätte. Das wäre dann, um es mit Arne Braun zu sagen, noch beschissener gelaufen.