Brandbrief von Intensivpflegekräften: Entlastung oder Eskalation

In­ten­siv­pfle­ge­r:in­nen am Hamburger UKE wollen ihre Überlastung nicht länger hinnehmen. Sie drohen, an freien Tagen nicht mehr einzuspringen.

Zwei Intensivpfleger versorgen einen Patienten auf einer Intensivstation.

Arbeit, die schnell zu Überlastung führt: Pflege auf einer Intensivstation, hier in Rostock Foto: Jens Büttner/dpa

HAMBURG taz | Es ist nicht das erste Mal, dass Pfle­ge­r:in­nen das Hamburger Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE) vor einer Gefährdung ihrer Pa­ti­en­t*in­nen warnen – die ständige Arbeitsüberlastung lasse eine ausreichende pflegerische Versorgung immer weniger zu, heißt es in ihrem aktuellen Brandbrief. Weil das UKE auf die bisherigen Mahnungen nicht reagiere, beschreiten die In­ten­siv­pfle­ge­r:in­nen nun eine neue Eskalationsstufe im Konflikt mit ihrem Arbeitgeber.

„Wir können nicht länger warten, wir brauchen jetzt eine Entlastung auf den Intensivstationen“, fordern In­ten­siv­pfle­ge­r:in­nen in dem Brief an den UKE-Vorstand und den Direktor des Patienten- und Pflegemanagements. Sollte das UKE nicht kurzfristig einlenken, wollen sie ab kommenden Freitag an ihren freien Tagen bei personellen Engpässen auf der Intensivstation nicht mehr einspringen.

So wollen sie Druck aufbauen: „Wir erhoffen uns damit, dass kurzfristig eine Entlastungsvereinbarung abgeschlossen wird.“ Bis zum Ende Dezember soll der Protest andauern, wenn die Vereinbarung ausbleibt.

Der Wunsch danach ist nicht neu: Schon im September dieses Jahres forderten die Intensivpfleger:innen, dass das UKE sie dringend entlasten müsse. Sie verwiesen auch da schon auf die sogenannte „Pflegepersonaluntergrenzenverordnung“. Diese besagt, dass je­de:r Pfle­ge­r:in auf Intensivstationen für maximal zwei Pa­ti­en­t:in­nen zuständig sein soll.

UKE versucht zu beschwichtigen

„Damit die Versorgung der Pa­ti­en­t:in­nen sichergestellt ist, verzichten viele Kol­le­g:in­nen regelmäßig auf ihre Pause außerhalb der Station“, beschrieben sie die Lage damals – als die derzeit anhaltende vierte Pandemiewelle noch in weiter Ferne lag.

Seinerzeit kündigte das UKE Gespräche mit den Mit­ar­bei­te­r:in­nen an, um nach Entlastungsmöglichkeit zu suchen. Manche Pfle­ge­r:in­nen zeigten sich skeptisch und befürchteten, dass das „leere Versprechungen“ seien und „das Problem auf die lange Bank geschoben“ werde. Die Befürchtungen sehen sie nun bestätigt. „Trotz Ihrer mündlichen Zusage, eine Dienstvereinbarung auszuhandeln, hat der Vorstand bisher nur ausweichend agiert“, beklagen die Pfle­ge­r:in­nen.

Stefanie Gerling, Sprecherin des UKE

„Wir befinden uns seit längerer Zeit mit allen Beteiligten weiterhin in intensiven Gesprächen“

Auch Pflegekräfte aus der Zentralen Notaufnahme des UKE beschwerten sich Anfang November über die Arbeitsüberlastung. Neu eintreffende Pa­ti­en­t:in­nen könnten kaum versorgt werden, selbst wenn sie pflegebedürftig oder an Krebs erkrankt sind. Auch hier erklärte das UKE, dass intensive Gespräche stattfänden, um die Situation zu verbessern.

Auch jetzt reagiert das UKE ähnlich: „Wir befinden uns seit längerer Zeit mit allen Beteiligten weiterhin in intensiven Gesprächen“, sagt die Sprecherin des UKE, Stefanie Gerling. Das UKE werde auch weiterhin in gemeinsamen Gesprächen Lösungen erarbeiten, um die Wünsche der Mitarbeitenden und die betrieblichen Aspekte in Einklang zu bringen.

Angesichts der anhaltenden vierten Welle könnte es zu noch steigenden Zahlen von Co­vid­pa­ti­en­t:in­nen auf den Intensivstationen kommen. Wenn bis Ende dieses Jahres am UKE Pfle­ge­r:in­nen an ihren freien Tagen bei Engpässen nicht mehr einspringen, könnte das zu einer geringeren Zahl an freien Intensivbetten führen.

Laut Recherchen des SWR sind seit Beginn des Jahres deutschlandweit rund 4.000 Intensivbetten verloren gegangen– das liege vor allem daran, dass Pfle­ge­r:in­nen wegen der Überlastung ihren Job gekündigt oder ihre Arbeitszeit reduziert hätten. In Hamburg sank laut dem Divi-Register des Berufsfachverbands der Intensivmedizin die Zahl der betreibbaren Intensivbetten seit Jahresanfang von 598 auf 500. Am Mittwoch waren 62 Betten davon von Co­vid­pa­ti­en­t:in­nen belegt.

Die Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft fordert vom Senat, sich in den Konflikt umgehend zugunsten der Beschäftigten einzumischen. Dazu müsse der Senat einen Bonus „an alle Pflegekräfte ‚am Bett‘“ auszahlen und mit einer Kampagne um potenzielle Be­rufs­rück­keh­re­r:in­nen werben, damit sich die Zahl des verfügbaren Intensivpflegepersonals mittelfristig verbessere.

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