„Ich habe das Vertrauen in die Justiz verloren“

Nur zweieinhalb Jahre Haft erhielt André Eminger, der treueste Helfer des NSU-Trios. Der Bundesgerichtshof bestätigt nun das Urteil. Betroffene des Terrors sind bitter enttäuscht

Für Opfer­anwältin Edith Lunnebach sendet die Entscheidung ein „schlimmes Signal“ Foto: Fo­to: ­Abaca/picture alliance

Aus Karlsruhe und Berlin Christian Rath
und Konrad Litschko

Edith Lunnebach hatte es befürchtet. „Jetzt rächt sich, dass sich das Münchner Oberlandesgericht derart auf das Konstrukt eines NSU-Trios fokussiert hat und nicht weiter nach links und rechts auf die Helfer schaute“, erklärt die Anwältin einer Deutschiranerin, die einen NSU-Anschlag 2001 in Köln überlebte, am Mittwochmittag. Da hatte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe gerade verkündet, die Revisionen zum Urteil gegen den treuesten NSU-Helfer André Eminger zurückzuweisen. „Eine Enttäuschung“, so Lunnebach zur taz. „Es ist absolut weltfremd, dass Eminger von nichts gewusst hat.“

Mit der Entscheidung des BGH sind nun alle fünf NSU-Urteile rechtskräftig. Der „Na­tionalsozialistische Untergrund“ hatte von 2000 bis 2007 neun migrantische Gewerbetreibende und eine Polizistin ermordet. Im Kern bestand er aus Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Erstere hatten sich beim Auffliegen 2011 getötet. Zschäpe war im Juli 2018 vom Oberlandesgericht (OLG) München zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Vier Helfer bekamen mehrjährige Haftstrafen.

Eminger kam dabei am mildesten davon: mit 2,5 Jahren Haft. Die Bundesanwaltschaft hatte 12 Jahre gefordert. Sie sah Eminger wegen der engen ideologischen Verbundenheit eher als viertes NSU-Mitglied an. Als Emingers Urteil 2018 verkündet wurde, jubelten Ge­sin­nungs­ka­me­ra­d:in­nen im Gerichtssaal.

Das OLG sah es nicht als erwiesen an, dass Eminger von Beginn an von den Morden des Trios Kenntnis hatte, sondern erst ab 2007. Deshalb hat es ihn nur wegen des Überlassens von je einer Bahncard für Zschäpe und Böhnhardt 2009 verurteilt. Freigesprochen wurde Eminger dagegen für das dreimalige Anmieten von Wohnmobilen in den NSU-Anfangsjahren 2000 bis 2003. Damals habe Eminger nicht wissen können, dass das Trio damit zwei Raubüberfälle in Chemnitz und den Anschlag in Köln verübe.

Die Bundesanwaltschaft hat­te gegen Emingers Teilfreispruch Revision eingelegt. Die Begründung des OLG sei „lückenhaft und widersprüchlich“. Diese Revision hat der BGH nun abgelehnt. Die Beweiswürdigung der Münchener Richter sei in der Revision grundsätzlich zu akzeptieren. Rechtsfehler seien ihnen keine nachzuweisen.

So habe das OLG durchaus bedacht, dass Eminger, der sich „Die Jew Die“ auf den Bauch tätowierte und bis heute als Gefährder eingestuft ist, die ideologisch motivierte Tötung von Menschen befürwortete und die Ausländerfeindlichkeit des Trios teilte. „Das OLG hat hieraus nur andere Schlüsse gezogen als die Bundesanwaltschaft“, erklärte der Vorsitzende BGH-Richter Jürgen Schäfer. Auch habe das OLG plausibel erklärt, warum es erst ab 2006 von einem engeren Kontakt des Trios mit Eminger ausging. „Nun hatte sich Beate Zschäpe mit André Emingers Ehefrau Susann angefreundet“, so Richter Schäfer. „Die Kinder Emingers waren für Zschäpe wie Ersatzkinder.“

Schäfer erinnerte auch an die verletzten Opfer des NSU und die Angehörigen der Getöteten. „Es ist zu hoffen und zu wünschen, dass diese Personen die Kraft gefunden haben oder noch finden werden, ihr Leben zu meistern.“ Die Revisionen von Zschäpe und den übrigen Helfern hatte der BGH bereits im August abgelehnt.

„Alle wussten, das konnte nicht rechtens sein“

Barbara John, Ombudsfrau

Opferanwältin Lunnebach kritisierte, dass das OLG den Aussagen Zschäpes gefolgt sei, obwohl diese offensichtlich Eminger schützen wollte. Das OLG hätte im NSU-Prozess mehr Beweise zu Helfern erheben und mehr Druck auf mauernde Neonazi-Zeugen machen müssen. „Nun gibt es ein schlimmes Signal an die rechte Szene. Wer den Mund hält und sich wegduckt, kommt davon und kann jetzt weitermachen.“ Auch Gamze Kubaşık, deren Vater Mehmet 2006 in Dortmund erschossen wurde, zeigte sich enttäuscht. „Ich bin überzeugt, dass André Eminger beim NSU voll dabei war.“ Schon das Münchner Urteil habe sie „wütend“ gemacht. „Wie deutsche Richter dieses Urteil nun bestätigen können, ohne rot zu werden, kann ich nicht fassen. Ich habe das Vertrauen in die Justiz verloren.“

Seda Başay-Yıldız, Anwältin der Familie des getöteten Enver Şimşek, nannte es „fatal“, dass Eminger mit seiner Erzählung, von nichts gewusst zu haben, durchgekommen sei. „Das ist lebensfremd und empörend.“ Barbara John, Ombudsfrau der Opfer, erinnerte, wie entsetzt die Hinterbliebenen 2018 auf das Urteil gegen Eminger reagierten. „Alle wussten, das konnte nicht rechtens sein.“ Die Bestätigung des Urteils löse bei den Betroffenen „Zweifel, scharfen Widerspruch und Erbitterung aus“.

Tatsächlich dürfte die BGH-Entscheidung Folgen haben. Noch immer laufen Verfahren bei der Bundesanwaltschaft gegen neun mutmaßliche NSU-Helfer. Wenn nicht mal der engste NSU-Vertraute verurteilt werden kann, drohen nun in diesen Fällen Einstellungen. Die juristische Aufarbeitung des NSU-Terrors wäre damit abgeschlossen. Auch Eminger selbst muss nicht mehr in Haft: Seine 2,5 Jahre hat er bereits mit der U-Haft abgesessen.

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