Demokratiebewegung wurde aussortiert: Hongkong muss „patriotisch“ wählen

In der Finanzmetropople waren Wahlen nie vollkommen demokratisch, doch nach Pekings Repressionen ist die Abstimmung am Sonntag eine Farce.

Mann mit roter Maske und Fähnchen von Hongkong und China.

Anhänger einer Peking-nahen Partei warter auf Beginn eines Autokorsos, der zur Wahl aufruft Foto: Liau Chung-Ren/dpa

PEKING taz | Erst vor zwei Jahren wurde Kawai Lee zum jüngsten Bezirksrat Hongkongs gewählt. Doch die politische Karriere des Mittzwanzigers ist längst vorbei: Als der Vertreter der Demokratiebewegung sich weigerte, auf die Regierung in Peking einen patriotischen Treueschwur zu leisten, wurde er von der pekingtreuen Regierung disqualifiziert.

In diesem Jahr musste Lee schließlich ins britische Exil fliehen. „Nie werde ich die Euphorie des Wahlsiegs vergessen, genauso wenig wie die Enttäuschung, als ich meine Heimat verlassen musste“, sagt er: „Jemand wie ich kann in Hongkong nie mehr Abgeordneter werden.“

Dabei wählen die Stadtbewohner just diesen Sonntag ihre neuen Abgeordneten. Doch erstmals tun sie dies unter ganz besonderen Vorzeichen: Zwar war die einst britische Kronkolonie nie vollständig demokratisch. Doch inzwischen ist das Wahlsystem das genaue Gegenteil. Oder wie es Expolitiker Lee ausdrückt: „Es ist nur eine Show.“

Um die Entwicklungen zu verstehen, muss man die auf eingangs erwähnten Kommunalwahlen vom November 2019 zurückblicken. „Es schien, als ob Peking damals geglaubt hatte, die Wahlen gewinnen zu können“, sagt der Journalist Kris Cheng, der mittlerweile ebenfalls im britischen Exil lebt.

Neues Wahlgesetz nach Erdrutschsieg für Demokraten

Doch damals passierte das genaue Gegenteil: Bei einer Rekordbeteiligung von über 71 Prozent gelang dem prodemokratischen Lager ein Erdrutschsieg. Die Mehrheit in 17 von 18 Bezirksräten gingen an die China-Kritiker.

„Das war einer der Hauptgründe, warum Peking das System ändern wollte. Denn käme es zu weiteren freien Wahlen, wären die Chancen ebenfalls hoch, dass pekingnahe Kandidaten verlieren würden“, sagt Cheng, der mittlerweile für das US-Medium Voice of America arbeitet.

Tatsächlich propagiert Hongkongs Verfassung, dass es das langfristige Ziel sei, jeden Abgeordneten des Parlaments durch „allgemeines Wahlrecht“ zu bestimmen. Doch ebenso hält ein Anhang fest, dass das Wahlsystem jederzeit durch Chinas Volkskongress geändert werden könne.

Die aus Peking propagierte „Verbesserung“ des Wahlsystems folgte prompt in diesem Frühjahr: Statt 70 werden nun 90 Sitze gewählt, davon jedoch nur noch 20 per Direktwahl vom Volk – 15 weniger als zuvor. Der Großteil wird stattdessen von Interessengruppen bestimmt, also etwa Wirtschaftsvertretern und Berufsverbänden. Diese sind in aller Regel Chinas Kommunistischer Partei gegenüber freundlich gestimmt.

Peking-nahes Wahlkomitee erlaubt nur genehme Kandidaten

Die noch perfidere Krux ist jedoch die Bestimmung der Wahlkandidaten: Während Peking früher nur einzelne Politiker disqualifizieren ließ, muss nun grundsätzlich jeder potenzielle Anwärter von einem pekinghörigen Wahlkomitee genehmigt werden. Hochoffiziell dürfen so nur mehr „Patrioten“ zugelassen werden, die Loyalität gegenüber Festlandchina schwören.

„Die meiste Leute haben keinen Anreiz mehr zu wählen, denn es macht schließlich keinen Sinn“, sagt ein Hongkonger, der mittlerweile in Österreich lebt. Dass sich sämtliche Interviewpartner dieser Recherche im Ausland befinden, ist leider zur Notwendigkeit geworden: Denn wer grundsätzliche Kritik am System übt, riskiert eine Gefängnisstrafe.

Allein aufgrund der bloßen Teilnahme an inoffiziellen Vorwahlen des demokratischen Lagers von 2020 wurden 55 Kandidaten festgenommen. 47 von ihnen wird „Subversion“ vorgeworfen – einer der Straftatbestände des nationalen Sicherheitsgesetzes, mit dem Peking seit Sommer 2020 sämtliche Opposition Hongkongs mundtot gemacht hat.

Dass es nun am Sonntag zu keiner beschämend niedrigen Wahlbeteiligung kommt, versuchen die Autoritäten mit sozialem Druck zu verhindern. Zu Beginn des Monats sprach die Regierung gar eine Warnung gegen das Wall Street Journal aus, das in einem Leitartikel von „Scheinwahlen“ geschrieben hatte, und dass ein Boykott die letzte Möglichkeit der Hongkonger sei, ihre politische Opposition zum Ausdruck zu bringen. Mindestens eine Handvoll Hongkonger, die auf sozialen Medien zum Abgeben ungültiger Stimmen aufriefen, wurden verhaftet.

Regierung: Auch niedrige Wahlbeteiligung ist Zustimmung

Und sollten die Menschen dennoch den Urnengang verweigern, haben Hongkongs Spin-Doktoren schon vorgesorgt: Regierungschefin Carrie Lam sagte zuletzt, dass eine niedrige Wahlbeteiligung durchaus auch als Indikator für eine gute Regierungsarbeit gedeutet werden könne – schließlich beweise es, dass es keinen „Impetus“ gäbe, andere Abgeordnete zu wählen.

Die Scheinheiligkeit ist offensichtlich. Doch darf sie von den Hongkongern selbst nicht mehr so benannt werden. Doch europäische Politiker halten mit ihrer Kritik nicht hinterm Berg: Der estnische Abgeordnete Tarmo Kruusimäe nannte Hongkongs Legislativratswahlen kürzlich nicht nur „undemokratisch“, sondern verglich sie auch mit den Wahlen in Estland unter der sowjetischen Besatzung. Auch diese wurden damals schließlich als „demokratisch“ propagiert.

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