Katrin Seddig
Zu verschenken
: Schwierige Fragen für linke Menschen

Eine Freundin fragte mich, ob ich mir den Zapfenstreich für Angela Merkel angesehen hätte, sie wäre gerührt gewesen. Ich habe es erst dann gesehen und mich gleich auf meine eigene Gerührtheit hin beobachtet. So verhindert Introspektion oft die schönsten Erlebnisse.

Ich gestehe, mein Hauptgedanke dabei war: Dann wird es jetzt, Gottseidank!, keine dieser „Merkel-muss-weg-Demonstrationen“ am Jungfernstieg mehr geben. Solche Leute haben Menschen wie mich auf die Seite der Kanzlerin geschubst! Nicht wirklich natürlich, aber ungefähr irgendwie schon. Wenn man die selben Feinde hat? Und das war auch etwas, was die Kanzlerin geschafft hat, sie hat Menschen, die vielleicht nicht hinter ihrer Politik standen, Sympathie abgenötigt.

Auch jetzt, in Zeiten der Pandemie, ist es so, dass man sich als linker Mensch auf einer Seite wiederfindet, die Verbote fordert, Einschränkungen und all das Zeug. Und wenn ich da auf gewisse Demonstrationen schiele, dann wünsche ich mir sogar, dass die Polizei da jetzt endlich mal tätig wird! Darf man sich als linker Mensch so etwas wünschen? Es sind eine Menge schwieriger Fragen, die ich mir jetzt stelle. Aber ich muss. Das ist ja jetzt irgendwie auch eine Art von Widerstand geworden, Wissen zu erlangen, das entscheidungsfähig macht. Und was ist denn jetzt Widerstand? Ist dieses Wort überhaupt noch verwendbar?

Gab es einst ein paar nette Dogmen, denen man getrost folgen durfte, dann ist es jetzt damit vorbei. Im Zweifel ist der Widerstand gar kein Widerstand, sondern einfach nur Blödsinn. Manch eine kleine Revolution nur eine kleine Regression. Aber da muss man sich erst mal zurechtfinden.

Immerhin, ich darf mich als linker Mensch immer noch informieren, darf lesen, hören, denken und diskutieren. Ich darf anderen Menschen ausnahmsweise sogar glauben, aus dem guten Grund, dass sie mehr wissen als ich, weil sie ihr halbes Leben dem Wissenserwerb in einem bestimmten Bereich gewidmet haben, in dem ich eine Null bin. Ich kann einfach nicht wissen, was diese Menschen wissen. Ich bin nicht kompetent, ihnen nicht zu vertrauen. Meine Kompetenz besteht in der Erkenntnis der eigenen Inkompetenz.

Dieser Prozess führt vielleicht zu Kopfschmerzen, vielleicht zu Wut. Und hier komme ich zu der Frage: Warum sind einige Menschen so verblendet, so dumm und vor allem: so rücksichtslos?

Und was ist denn jetzt Widerstand? Ist dieses Wort überhaupt noch verwendbar?

Gestern steigt vor mir ein Mann aus seinem Auto, zieht ein Parkticket, und tritt dann zum Pinkeln an ein Fahrradhäuschen. Der Bahnhof ist nur ein paar Schritte entfernt, da gibt es eine öffentliche Toilette. Gegenüber ist ein Restaurant, das hat auch eine Toilette. Wenige Meter weiter ist ein Einkaufszentrum – Toilette! Ich darf annehmen, dass ein Mann, der ein Auto sein Eigentum nennt, einen Euro übrig hat. Warum holt er ihn dann öffentlich raus? Ich habe schon öfter Männern diese Frage gestellt, die Antwort war in vielen Fällen: Weil ich es kann.

Ich interessiere den Mann nicht. Das Fahrradhäuschen interessiert den Mann auch nicht. An sein Auto würde er nicht pinkeln. Das ergibt doch ein hübsches Bild: Das eine will er nicht wissen, das andere ist sein Auto.