Der „Bremen“-Tatort macht es sich schwer: Depressive Sozialisten
Die Dialoggewitter des neuen Teams in Bremen sind erfrischend. Und auch sonst macht der „Tatort“ Freude, will nur etwas viel auf einmal.
Ein Mann liegt im Hafen mit eingeschlagenem Schädel. Ein guter Mensch war der Tote, engagierter Arzt. Aber an gute Menschen glaubt BKA-Ermittlerin Linda Selb (Luise Wolfram) sowieso nicht.
Und wie sie und Kollegin Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) herausfinden, war da auch nicht alles rein und heilig im Leben des Toten. Er war depressiv. „Und Sozialist, was möglicherweise einander bedingt“, heißt es in einem der lakonischen Schlagabtausche, die das Markenzeichen dieses neuen Bremer „Tatort“-Teams sind.
Was bisher geschah: Vor einem Jahr haben sich Luise Wolfram, Jasna Fritzi Bauer und Dar Salim in einer etwas gewollten Mini-Mockumentary-Serie als neues Team vorgestellt. Dann in ihrem ersten richtigen „Tatort“ die Figuren und ihre Charakterzüge abgesteckt. Liv Moorman ist die Ehrgeizige, die Angst hat, unterschätzt zu werden. Linda Selb ist die coole No-nonsense-Ermittlerin. Mads Andersen (Salim) ist der, der sich gerne gut choreografiert prügelt.
In der zweiten Folge dürfen sie sich jetzt miteinander freispielen. Und die superschnellen Dialoggewitter sind erfrischend, verglichen mit der Mehrheit der Krimis, bei der man meistens Zeit zum Mitschreiben hat. Wenn da nur nicht ständig die Krimihandlung im Weg wäre.
Shady Charaktere
Im Umfeld des toten Arztes gibt es jede Menge fulminante Verdächtige. Eine einsame Arzthelferin, eine rachsüchtige Aktivistin, eine betrunkene Schiffscrew, eine Tochter aus gutem Hause. Wie schon in der ersten Folge entwirft der Bremen-„Tatort“ ein fast kleinstädtisches Ensemble aus shady Charakteren, die alle irgendwie irgendwas miteinander zu tun haben – ob man das nun glauben kann oder nicht.
Schön ist das, weil das Team, anstatt bloß Indizien zu wälzen, die Verdächtigen psychologisch zu fassen versucht. Am interessantesten beim Krimi ist schließlich am Ende immer: das Motiv. Nicht so schön ist, dass das alles recht viel auf einmal wird. Keine der Figuren nimmt so richtig die Geschichte in die Hand, keine gewinnt auch nur ein bisschen Tiefe – oder Sympathie. Obendrein hat Mads Andersen noch mit einem B-Plot aus seiner Vergangenheit zu kämpfen, der der ganzen Geschichte wie ein Klotz am Bein hängt.
Der Bremen-„Tatort“ macht es sich schwer. Er will Realismus, Sittengemälde zeichnen, philosophische Fragen aufwerfen, lustig sein – und dabei möglichst „Tatort“-Klischees vermeiden. Und tatsächlich sind da viele neue Ideen zu erkennen. Vielleicht müssen sie ja nicht alle immer in jeden einzelnen Film rein.
Leser*innenkommentare
J_CGN
Nach Binge-Watching HIP fühlt sich der Tatort wie Slow-Slow-Motion an.