Rechtsfreie Rechtspflege

Bei den Ermittlungen gegen die ehemalige Leiterin der Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration (Bamf) hat die Staatsanwaltschaft nicht nur Mist gebaut. Sie hat illegal gehandelt. Das bleibt komplett folgenlos – weil es so gewollt ist

Wenn die angeblichen Taten von Ulrike B. schon nicht nachgewiesen werden konnten, sollte ihr wenigstens ein Motiv unterstellt werden Illustration: Imke Staats

Von Benno Schirrmeister

Du lernst nie aus. Zum Beispiel die juristische Aufarbeitung des Skandals um die Strafverfolgung der ehemaligen Bremer Bamf-Außenstellenleiterin: Das ist so ein Fall, an dem du lernst, den Glauben ans Rechtssystem zu verlieren. Das hat auch damit zu tun, dass im Land Bremen nur eine Staatsanwaltschaft existiert. So muss diese Behörde, wenn Staatsanwälte Recht brechen, gegen sich selbst ermitteln.

Die Situation spitzt sich sogar noch zu, wenn der Behördenleiter beim Rechtsbruch mitgemacht hat. In Bremen ist das der Leitende Oberstaatsanwalt Janhenning Kuhn. Denn dann muss die mit der Sache betraute Person – eine Dezernentin oder ein Dezernent – gegen den ihr gegenüber weisungsbefugten Vorgesetzten ermitteln, der aber immer, wenn sie ihn stören, das Verfahren beenden lassen kann. Ähnlich wie der bauernschlaue Richter Adam in Heinrich von Kleists unsterblicher Justizposse „Der zerbrochene Krug“.

Aber der Reihe nach: Die taz hatte in diesem Jahr über den Bamf-Prozess zu berichten. Das Landgericht Bremen hat festgestellt, dass weder die ehemaligen Bamf-Außenstellenleiterin Ulrike B. noch der Hildesheimer Anwalt Irfan Çakar sich irgendwelche ausländerrechtlichen Taten hatten zuschulden kommen lassen. Bei ihr kam es zur Einstellung des Verfahrens, damit die Sache endlich vorbei ist. Bei ihm gab es Freispruch in sieben Fällen, schuldig der Vorteilsnahme, die eher wie ein Akt der Höflichkeit wirkt, aber so ist es halt.

Schon 2019 hatte die taz die Vorwürfe an die Adresse der ehemaligen Außenstellenleiterin für unglaubwürdig gehalten, sie hätte systematisch und massenhaft – von 1.200 Fällen war die Rede – rechtswidrige Asylbescheide erstellt. Grundlage dafür waren persönliche Berichte aus der Außenstelle, Aussagen von Bekannten der Außenstellenleiterin und Einschätzungen des Flüchtlingsrats, nach denen Bremen keineswegs eine herausragend humanitäre Praxis pflege. Wichtiger aber noch waren Rohdaten der Bamf-Außenstelle in Bremen, die der Redaktion vorlagen und deren genaue Zuordnung nach Herkunftsländern – die erhöhte Zahl Bremer Positivbescheide hatte damit zu tun, dass, anders als in vergleichbaren Städten, hier kaum Balkanflüchtlinge mit niedriger und sehr viele Je­si­d*in­nen aus dem Irak mit bundesweit fast hundertprozentiger Anerkennungsquote Asyl beantragt hatten.

Die Ankläger zur Rechenschaft zu ziehen, hat sich in Bremen als unmöglich erwiesen

Auch waren diese Verhältnisse trotz der Absetzung von Ulrike B. unverändert geblieben. Viele der skandalisierten Vorgänge hatte zudem die Nürnberger Bamf-Zentrale empfohlen, um in der Zeit der vielen Ankünfte die Verfahren zu beschleunigen: In öffentlichen Quellen wie den Protokollen des niedersächsischen Landtags war nachlesbar, dass die Bremer Außenstelle Fälle aus diversen benachbarten Landkreisen bearbeiten sollte, und nicht etwa Ulrike B. diese Fälle an sich gerissen hatte. Letzteres war aber von ihrer interimistischen Nachfolgerin Josepha Sch. (FDP) behauptet und von diversen Medien kolportiert worden.

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft waren auch unabhängig von ihrem Ergebnis schlecht. Die Anklageschrift hätte von manchen Ju­ris­t*in­nen auch als versuchte Rechtsbeugung bewertet werden können; das Landgericht begnügte sich damit, die Vorwürfe auf ein Minimum zusammenzustreichen; dort wo im Prozess eine Beweisführung versucht wurde, war sie kläglich in sich zusammengebrochen: Da sagten Dolmet­sche­r*in­nen aus, die Menschen gedolmetscht hatten, deren Sprache sie nicht sprechen. Da basierten Vorwürfe auf der Annahme, dass Pässe gefälscht sein könnten. Da wurde die Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt von Personen behauptet, die eine Aufenthaltserlaubnis hatten. Peinlich.

Nicht verraten wurde, dass die Generalstaatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen eine Gruppe von Staats­an­wäl­t*in­nen an sich gezogen hatte. Auch die Generalstaatsanwältin Kirsten Graalmann-Scheerer hielt damit hinter dem Berg, bis am 20. April die Verhandlungen über die Geldauflage im Fall Ulrike B. abgeschlossen waren. Was schon ein bisschen schäbig ist. „Hätte ich das gewusst, hätte ich nie 10.000 Euro zugestimmt“, hat ihr Rechtsanwalt Johannes Eisenberg der taz gesagt, als er erfahren hatte, dass seit spätestens 16. April auch der Leitende Oberstaatsanwalt Kuhn als Beschuldigter geführt wurde.

Das Ermittlungsverfahren hatte an einen unerhörten Vorgang aus dem Jahr 2019 angeknüpft: Im März, bei laufenden Ermittlungen, hatte die Staatsanwaltschaft aktiv – schon diese Vorzugsbehandlung ist komplett illegal – den prominenten Journalisten Martin K., ehemals Redakteur bei der Zeit, später Redenschreiber des Bundespräsidenten, zum Hintergrundgespräch geladen. Ziel des Gesprächs: Das, was Janhenning Kuhn und seine Kumpel für das Intimleben der Beschuldigten Ulrike B. hielten, vor dem Reporter auszubreiten. Rechtswidrig, wie das Verwaltungsgericht feststellte. Sinnlos war die Übung der Staatsanwaltschaft nicht. Sie diente dazu, den Taten, die Ulrike B. nicht nachgewiesen werden konnten, wenigstens ein Motiv zu unterstellen, das sich in einer Männerfantasie offenbar schön schmierig erzählen ließ.

Schon 2019 hatte die taz die Vorwürfe für unglaubwürdig gehalten, Ulrike B. hätte massenhaft rechtswidrige Asylbescheide erstellt

Diese Rechtspfleger dafür zur Rechenschaft zu ziehen, hat sich in Bremen aber als unmöglich erwiesen. Zwar gilt als gesichert, wer an dem Tratschründchen teilgenommen hat, und es ist klar, dass Janhenning Kuhn als weisungsbefugter Obermotz die Sache jederzeit hätte stoppen können. Aber, so die Argumentation von Oberstaatsanwalt Mathias Glasbrenner, also des Stellvertreters von Graalmann-Scheerer, der Artikel von Martin K. anonymisiert die Statements.Es sei eben nicht möglich, den für die Vorwürfe entscheidenden Satz einer konkreten Person zuzuordnen. Vielleicht handele es sich nur um ein „Konglomerat an Informationen, die Herr K. in einem Artikel so zusammengefasst hat, wie er es für richtig hielt“ – also erfundene Behauptungen. Was Martin K. dazu sagt, wissen wir leider nicht.

Was wir wissen, ist hingegen, dass Frank Passade, also der Sprecher der Staatsanwaltschaft, den gleichen Schmäh sinngemäß noch einmal im NDR wiederholt hat, in persona, mit Bewegtbild. Und auch seine Äußerungen sind vom Gericht ausdrücklich als unverhältnismäßiger Eingriff in die Privatsphäre beurteilt und im Tenor erwähnt worden. Das ist Oberstaatsanwalt Glasbrenner bei der Prüfung offenbar durchgerutscht.

Also hat er Anfang September die weitere Prüfung eingestellt, auch, weil „nicht von einem gemeinsamen Tatentschluss zur Verletzung von Privatgeheimnissen auszugehen“ gewesen sei. Denen ist das bestimmt nur so gekommen, ganz spontan und im Affekt, wie der Jurist sagt. Und deswegen bleibt auch alles beim Alten und nichts, wirklich gar nichts ändert sich.