Norberto Bobbios „Rechts und Links“: Das Problem der Gleichheit

Ist die Unterscheidung zwischen links und rechts obsolet geworden? Die Neuauflage von Norberto Bobbios Klassiker gibt Antworten.

Portrait von Norberto Bobbio.

Der italienische Rechtsphilosoph und Publizist Norberto Bobbio 1995 Foto: imago

Auf dem Feld des Politischen gibt es einige Paradoxien: Während wir ein Erstarken rechtsextremer Parteien beobachten, werden Wahlen „in der Mitte“ gewonnen. Während die einen noch von Hufeisen fabulieren, halten die anderen die Unterscheidung zwischen links und rechts von vornherein für sinnlos: Der italienische Philosoph und Publizist Norberto Bobbio widmete sich in „Rechts und Links“ bereits 1994 der Frage, ob die Unterscheidung zwischen den beiden politischen Extremen obsolet geworden sei. Im Verlag Klaus Wagenbach erscheint nun die Neuauflage des Klassikers.

Bobbio untersucht die Frage von zwei Seiten: Was sind die Argumente gegen eine fortwährende Unterscheidung von links und rechts? Und: Gelingt es trotzdem, eine Differenz zwischen den Polen auszumachen? Der Philosoph stellt klar, dass eine Analyse von rechts und links nie rein deskriptiv, sondern stets axiologisch, also wertphilosophisch grundiert sei. Er selbst ist Linker.

Bobbio schrieb sein Buch unter dem Eindruck des Zusammenbruchs der Sowjetunion, dem angeblichen „Ende der Geschichte“, das zum globalen Siegeszug der liberalen Demokratien führen sollte. Wir wissen ja, dass es anders kam.

Extreme eines Kontinuums

Das Links-rechts-Schema beschreibt Bobbio als dyadisch: Beide Seiten benötigen einander, man kann rechts nicht ohne links definieren und vice versa. Er hält fest, dass die Existenz auch einer wachsenden Mitte kein Argument gegen die Existenz von links und rechts darstelle – im Gegenteil. Schließlich muss man sich links und rechts als Extreme eines Kontinuums vorstellen, in denen eine Mitte zu beiden Seiten anschlussfähig ist.

Auch der Umstand, dass sich einige politische Parteien und Bewegungen scheinbar dem Links-rechts-Schema entziehen, ist für ihn kein gültiges Argument gegen die klare Existenz der Lager. Interessanterweise nennt Bobbio das Beispiel der damals noch recht jungen grünen Bewegung. Grüne Politik lasse sich nämlich konservativ/religiös (rechts) begründen, aber auch sozial/atheistisch (links).

Die nicht-wesentlichen Faktoren

Atheistisch oder religiös seien aber gar keine hinreichenden Definitionsmerkmale für rechts oder links. So werde die Linke zwar als atheistisch betrachtet, aber es existiert durchaus eine religiöse Linke (wie die katholische Befreiungstheologie zeigt). Der Begriff der konservativen Revolution wiederum zeigt, dass das Revolutionäre nicht nur den Linken eigen ist. Diese nicht-wesentlichen Faktoren können ausgetauscht oder angeeignet werden.

Bobbio erläutert, „dass sich die Rechte und die Linke begegnen und sogar die Rollen tauschen könnten, ohne deshalb aber aufzuhören, das zu sein, was sie sind. Aber gerade diese mögliche Begegnung im Gebrauch bestimmter Mittel ist der Anlass für die Verwirrungen, die den Gegnern der Unterscheidung den Grund für ihre Gegnerschaft liefern.“

Unterscheidungsmerkmal Egalitarismus

Das führt zur Frage, was nun das wesentliche Unterscheidungskriterium ist. Für Bobbio ist es die Gleichheit: Die Zurückweisung der Gleichheit sei konstitutiv für die Rechte – der Wunsch der Beseitigung der Ungleichheiten auf Basis von Klasse, „Rasse“/race und Geschlecht aber konstitutiv für die Linke.

Norberto Bobbio: „Rechts und Links“. Wagenbach Verlag, Berlin 2021, 96 Seiten, 10 Euro.

So „dass, wenn es ein charakteristisches Element in den Doktrinen und Bewegungen gibt, die sich links nennen und als solche allgemein anerkannt werden, dies der Egalitarismus ist, der, dies sei noch einmal gesagt, nicht als die Utopie von einer Gesellschaft verstanden wird, in der alle Individuen in allem gleich sind, sondern als ein Streben, die Ungleichen etwas gleicher werden zu lassen.“

Erkennt man aber die Forderung nach Gleichheit als wesentliches Moment der linken Bewegung, die Negation der Gleichheit (und Gleichwertigkeit) aber als wesentliches Moment der Rechten, dann taucht die Frage auf, wer ein Interesse daran hat, das Links-rechts-Schema zurückzuweisen: diejenigen, die gesellschaftliche Ungleichheit nicht adressieren wollen, die vielmehr Ungleichheit als eine Form der Freiheit verschleiern. Die Negation der Differenz zwischen links und rechts wäre der Triumph des Neoliberalismus.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.