Eigenheiten der deutschen Coronadebatte: Schimpfpflicht für alle!

Mit dem Virus hat sich in zwei Coronajahren leider auch Klugscheißerei pandemisch ausgebreitet.

Theatervorhang aus blauen Masken, eine Sprechblase und eine Maske mit Sprechschlitz

Coronatheater Foto: imago

Die neue Regierung hat eine Impfpflicht und ein paar neue Coronamaßnahmen angekündigt. Schön und schlecht. Zu viel, aber nicht genug. Noch wichtiger wäre die schnelle Einführung einer allgemeinen Schimpfpflicht. Denn, seien wir ehrlich, wir wissen es doch alle besser.

Wie kann es nur sein, dass die Politik nicht einfach alles richtig macht? Gute Ratschläge und klare Handlungsempfehlungen gibt es ja genug. Die einen können es angesichts der hohen Inzidenzen kaum fassen, dass immer noch fast überall Kneipen, Shoppingmalls und Fitnessstudios geöffnet sind, und wünschen sich einen harten Wellenbrecher-Lockdown. Die anderen akzeptieren nicht einmal die Maskenpflicht und halten sogar Tests am Arbeitsplatz für unzumutbar. Die einen sehen die Grundrechte gefährdet, die anderen die Gesundheit. Die einen werfen der FDP vor, dringend nötige Maßnahmen viel zu lang blockiert zu haben. Die anderen geißeln die Liberalen dafür, umgefallen zu sein, weil auch sie den Ungeimpften jetzt das Leben schwerer machen. Gemeinsam haben alle Kritiker eines: die feste Überzeugung, dass nur sie allein recht haben.

Mit dem Virus hat sich in den zwei Coronajahren leider auch die Klugscheißerei pandemisch ausgebreitet. Vor allem in den (längst nicht mehr) sozialen, aber auch in den konventionellen Medien nimmt der Hang zur Selbstgewissheit zu, andere Einschätzungen werden zu oft herabgewürdigt. Christian Drosten hat einen wunden Punkt getroffen, als er eine Nachbesinnung der Coronaberichterstattung auch im Journalismus gefordert hat.

Diese Mahnung betrifft vor allem all jene unverantwortlichen Klickzahlenjäger, die das reale Risiko der Infektionen herunterspielen und se­riö­se Wissenschaftler zu Sündenböcken für unangenehme Maßnahmen stempeln und damit gefährden. Aber auch viele Vorsichtsmahner, die der alten und neuen Regierung Untätigkeit und Versäumnisse vorwarfen, machten es sich oft zu leicht. Es waren nicht nur Politiker, die im Sommer die Coronagefahren verdrängten und lieber die scheinbar sorgenfreie Zeit genossen. Jetzt im Nachhinein zu behaupten, es sei doch sonnenklar gewesen, dass Corona trotz Impfungen in diesem Winter noch schlimmer wüten würde als je zuvor, ist wohlfeil. Fast alle, natürlich auch der Autor dieser Zeilen, haben sich bei der Einschätzung der Coronagefahren schon geirrt.

Fehler sind keine Schande in einer Pandemie, bei der stündlich neue Zahlen und wechselnde Erkenntnisse bekannt werden. Aber Selbstgerechtigkeit verstärkt die Spaltung. Darüber sollten wir alle mal nachdenken. Ehrlich.

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seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens

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