Freispruch für Schützen in Kenosha: Argumente für Nachahmer

Kyle Rittenhouse erschoss zwei Menschen und wurde jetzt freigesprochen. Der Prozess wäre eine Chance gewesen, ein Zeichen gegen Selbstjustiz zu setzen.

Bürgerrechtler Jesse Jackson wird auf einer Protest-Demo von zwei Menschen gestützt

Bürgerrechtler Jesse Jackson protestiert in Chicago gegen den Freispruch Foto: reuters / Cheney Orr

Der Freispruch von Kyle Rittenhouse erklärt einen Mann, der zwei Menschen mit einem halbautomatischen Sturmgewehr erschossen und einen weiteren schwer verletzt hat, für unschuldig. Er gibt tödlichen Schüssen die Weihen von „Selbstverteidigung“. Und er mutet an wie die Aufforderung, wenn überhaupt, dann nur bewaffnet zu Demonstrationen zu gehen.

Auch auf der menschlichen Ebene richtet der Freispruch schweren Schaden an. In dem Gerichtssaal in Kenosha in Wisconsin hatten weder die Angehörigen der Toten noch die überlebenden Opfer die Gelegenheit, einen Abschluss zu finden. Keiner von ihnen wird je sagen können: „Es ist Recht gesprochen worden.“

Hingegen wird der Todesschütze jetzt von seinen Unterstützern in Medien, Republikanischer Partei und rechtsradikalen Organisationen auf einen Sockel gehoben und als „patriotischer Held“ gefeiert.

Die Geschworenen trifft nur ein Teil der Verantwortung. Sie hatten es mit einem Richter zu tun, der schon vor Prozessbeginn Regeln aufgestellt hat, die nur dem Angeklagten zugute kamen. Der Richter verbot selbst das Wort „Opfer“ für die Toten, und er untersagte die Befassung mit Rittenhouses Sympathien für rechtsradikale Schlägertruppen wie die Proud Boys.

Den Geschworenen stand zudem eine landesweite Bewegung gegenüber, die mehrere Millionen Dollar für die Kaution und die Verteidigung des Angeklagten gesammelt hat. Vor allen Dingen aber waren ihr Spielraum durch das geltende Recht in Wisconsin eingeengt. In dem Bundesstaat ist das Tragen von halbautomatischen Waffen erlaubt. Und dort darf, wer sich bedroht fühlt, mit der Schusswaffe verteidigen.

Agitation gegen Black Lives Matter

Die Stimmung in Kenosha im August 2020 war aufgewühlt. Nachdem ein weißer Polizist sieben Schüsse in den Rücken eines schwarzen Mannes, Jacob Blake, abgegeben hatte, waren in der Stadt Unruhen ausgebrochen. Vom Nachbarbundesstaat Illinois aus wollte der 17-jährige Rittenhouse eingreifen. Zuvor hatte er auf Facebook gegen Black Lives Matter agitiert, nun wollte er Geschäfte vor Plünderungen beschützen.

Rittenhouse war nicht der einzige schwer bewaffnete weiße Zivilist, der sich in jener Nacht als Hilfspolizist in Kenosha verstand. Aber er war der einzige, der andere Menschen erschoss. Handy-Videos zeigen, wie ihn mehrere Männer bedrängen und versuchen, ihm seine Waffe wegzunehmen. Sein Auftreten war eine Provokation. Aber vor Gericht kam er mit der Begründung Selbstverteidigung durch.

Der Prozess gegen Rittenhouse wäre eine Gelegenheit gewesen, die Ausbreitung von Selbstjustiz zu stoppen. Stattdessen liefert der Freispruch Argumente für potenzielle Nachahmer von Rittenhouse.

Für die USA ist das ein gefährlicher Präzedenzfall. In dem Land, das mehr Schusswaffen in privaten Händen als Einwohner hat, müssen künftig jene, die unbewaffnet und friedlich demonstrieren, auch das Risiko von bewaffneten Selbstjustizlern abwägen. Das macht den Freispruch von Kenosha zu einer Gefahr für die Sicherheit auf den Straßen und für das Demonstrationsrecht in den USA.

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