Gesundheitsbeauftragter zu Corona: „20.000 Impfungen am Tag“

Die meisten Impfungen müssen die Arztpraxen stemmen, sagt der Kölner Gesundheitsbeauftragte Harald Rau. Karneval sei kein Fehler gewesen.

Menschen in Karnevalskostümen

Die Karnevalsfeier soll keine Auswirkungen auf die Kliniken gehabt haben Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

taz: Die Corona-Infektionen sind aktuell so hoch wie noch nie. War Karneval in Köln ein Fehler?

Harald Rau: Nein. Karneval stattfinden zu lassen, war die richtige Entscheidung. Das haben wir auch in der Nachbetrachtung im Krisenstab und im Austausch mit der Kommunalpolitik festgestellt. Dafür gibt es zwei gute Gründe.

Die wären?

Hätten wir Karneval offiziell untersagt, hätte es zum einen mehr inoffizielle und schlechter kontrollierbare Feiern gegeben. Dadurch, dass die Stadt Köln an den meisten Orten 2G durchgesetzt hat, konnte das Infektionsgeschehen viel besser in Schach gehalten werden. Und zweitens: Hätten wir Karneval in Köln vollständig verboten, hätten wir tatsächlich mit Unruhen rechnen müssen.

Und hatte der Karneval Folgen für die Kliniken?

Nein, noch nicht. Anders als in anderen Regionen Deutschlands sind die Kölner Intensivstationen zwar ausgelastet, aber zahlenmäßig nicht überlastet. Von den 300 Intensivstationsplätzen in Köln sind seit einiger Zeit gleichbleibend um die 50 mit Corona-Pa­tien­t*in­nen belegt. Trotzdem ist die Lage besorgniserregend: In der Regel folgen die schweren Verläufe, die auf den Intensivstationen behandelt werden, zeitlich nach den Ansteckungen. Das heißt, wir müssen definitiv noch mit mehr schweren Verläufen rechnen und dann könnte es durchaus eng in den Krankenhäusern werden – vor allem, weil saisonale Erkrankungen und Pflegenotstand die Kapazität weiter begrenzen.

Die wohl wichtigste Strategie im Kampf gegen die Pandemie lautet derzeit „Boostern“.

Impfen ist sicherlich die wirksamste Maßnahme gegen Corona – das betrifft die Erst­impfungen, aber eben auch die Auffrischungsimpfungen. Da können und müssen wir in Deutschland noch einiges tun. In Köln zum Beispiel sind bislang nur 16 Prozent der Menschen über sechzig Jahren geboostert, in den jüngeren Altersklassen sind es noch mal deutlich weniger.

Wie will das Gesundheitsamt die Impf­quote steigern?

Wir sollten bis Ostern etwa 20.000 Menschen am Tag impfen, so die fachliche Empfehlung. Das ist ein unglaubliches Pensum, welches wir niemals ohne große Kraftanstrengungen schaffen werden. Bei der großen Impfaktion im Frühjahr haben wir in unserem Impfzentrum Köln/Messe 5.000 bis 6.000 Impfungen am Tag geschafft. Da muss man natürlich dann noch die Impfungen in den Arztpraxen draufrechnen. Aber trotzdem: Zum jetzigen Zeitpunkt ist unsere Infrastruktur noch nicht ausreichend, um so viele Kölner zu impfen oder zu boostern. Zumal die Landesregierung Nordrhein-Westfalen unser großes und sehr gut funktionierendes Impfzentrum Köln/Messe im Sommer schließen ließ.

Der Kölner ist seit 2016 Dezernent für Soziales, Umwelt, Gesundheit und Wohnen in Köln. Der 59-Jährige ist promovierter Psychologe und arbeitete zeitweise in der Suchthilfe.

Rächt sich jetzt, dass die Impfzentren geschlossen wurden?

Das geschah jedenfalls gegen unseren ­Willen und unsere Empfehlung; ich finde: ja.

Wird das Kölner Gesundheitsamt das große Impfzentrum Köln/Messe wieder reaktivieren?

Nein. Wir werden künftig mit mehreren, dezentralen Impfzentren arbeiten. Köln hat neun Bezirke und in jedem davon wollen wir neben den Arztpraxen weitere Impfgelegenheiten schaffen und zusätzlich an mehreren Orten Impfzentren in Betrieb nehmen. Die werden allerdings deutlich kleiner sein als das große an der Kölner Messe.

Noch gibt es diese neuen, dezentralen Impfzentren aber nicht.

Sie sind im Aufbau. Die Impfzentren werden wir jetzt Schritt für Schritt öffnen und auch die mobilen Impfangebote und Impfbusse ausweiten. Damit werden wir bereits nächste Woche an den Start gehen können. Den größten Teil der Impfungen müssen allerdings die Arztpraxen leisten.

Die Arztpraxen ziehen da freiwillig mit? Viele sind doch längst an ihrer Kapazitätsgrenze.

Das stimmt, viele sind bereits am ­Anschlag. Allerdings erhalten Arztpraxen seit dieser Woche eine deutlich höhere ­Vergütung je Impfung von jetzt 28 Euro statt der bis­herigen 20 Euro. Ich hoffe, dass auch ­dieser Anreiz dazu führt, dass sich noch mehr Arztpraxen am Impfen beteiligen als bisher.

Über den Sommer hat das Kölner Gesundheitsamt stark an Personal gekürzt. Mangelt es jetzt auch daran?

Es fehlt im Moment massiv an Personal. Wir hatten zu Corona-Hochzeiten das Personal im Gesundheitsamt von 300 Mit­ar­bei­te­r*in­nen auf über 1.000 erhöht, also mehr als verdreifacht. Über den Sommer hat die Stadt die Zahl allerdings wieder etwas herunterfahren können. Das Problem ist bloß: Mittlerweile kommen täglich etwa 500 Meldungen über Neuinfektionen rein. In den vergangenen Wochen lag die Zahl noch bei weniger als 200. Das ging jetzt so schnell. Ich bin froh, dass uns ab der kommenden Woche die Bundeswehr wieder unterstützen wird.

In der Pandemiebekämpfung geht es ja nicht nur ums Impfen, die Nachverfolgung der Kontakte ist ebenso entscheidend. Kommen Sie da noch hinterher?

Ganz ehrlich? Nein. Eigentlich ist es unser Ziel, innerhalb von 24 Stunden nach Meldung der Neuinfektion und der Kontakte zu Infizierten zu reagieren. Mittlerweile brauchen wir in einigen Fällen bis zu drei Tage.

Werden die Maßnahmen am Ende reichen, oder brauchen wir doch eine Impfpflicht?

Das ist schwierig zu bewerten. Meine spontane Antwort ist Ja, da wir eine extrem hohe Durchimpfung in der Bevölkerung brauchen, die bislang so noch nicht erreicht ist. Auf der anderen Seite wird eine Pflicht die Impfkritiker natürlich noch stärker gegen den Staat und die Regierung aufbringen. Ich kann mir aber vorstellen, dass es noch zu einer Phase in der pandemischen Entwicklung kommen kann, in der das Pochen auf Vernunft nicht mehr ausreichen und eine Impflicht tatsächlich erforderlich sein wird.

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