Am Existenzminimum

Erst ausgerottet, nun mühsam wieder ausgewildert: Rund 700 Przewalski­pferde streifen wieder durch Naturschutzgebiete der Mongolei

Langfristiges Ziel ist, dass die Pferde wandern können, sich ihre Populationen berühren und so von selbst wachsen können

Von Heike Holdinghausen

Die Familie der Pferde ist klein. Nur sieben Arten gehören dazu, jeweils drei Esel- und drei Zebraarten sowie das Przewalskipferd. In freier Wildbahn streift einzig der Tibet-Wildesel unbesorgt durch die Steppen in und um Tibet. Alle anderen sieht die Weltnaturschutzorganisation IUCN als mehr oder weniger gefährdet. Besonders schlecht geht es dem Afrikanischen Wildesel, er ist akut vom Aussterben bedroht. „In freier Wildbahn leben nur noch 700 Tiere“, sagt Sarah King, die die Arten für die IUCN überwacht. Die Population des Steppenzebras sei zwar groß, habe aber in den vergangenen zehn Jahren um ein Viertel abgenommen. Die Zahl der Bergzebras, Grevy­zebras und Przewalskipferde sei gering, nehme aber zu, was mit „erfolgreichen Schutzanstrengungen begründet“ sei.

Die sind, vor allem was das Przewalskipferd angeht, erheblich. Allerdings hat der Mensch an ihm auch etwas gutzumachen: Früher bummelte das falbe Tier mit der borstigen Stehmähne in großen Herden durch die winterkalten Steppen Asiens, von Kasachstan bis China. Ob es sich bei dem stämmigen Tier um ein echtes Wildpferd handelt oder es mal ein Hauspferd war, das dann wieder verwilderte, darüber streiten die Gelehrten.

Fest steht: Der Vorfahr der heutigen Hauspferde ist das Pzrewalski­pferd nicht, allerdings enthält sein Genom Sequenzen aus dem Erbgut domestizierter Pferde. Das heißt, die beiden Arten haben sich irgendwann mal vermischt. Ob wild oder verwildert: Seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts galt das Pferdchen als in der Wildnis ausgerottet.

Überlebt haben nur einige Tiere in Zoos, und lediglich zwölf Pferde bildeten schließlich die Grundlage für ein engagiertes Europäisches Erhaltungszuchtprogramm, koordiniert vom Zoo Prag. Der Berliner Tierpark beteiligt sich seit 1958 an dem Programm, knapp 100 Fohlen wurden dort seitdem geboren. Ziel ist, „in den nächsten 100 Jahren möglichst viel der genetischen Vielfalt zu erhalten“, sagt Florian Sicks, stellvertretender Zoologischer Leiter des Tierparks. Dafür sorgen Computerprogramme, die ausrechnen, welcher Zoo mit welchen Tieren züchten darf. Auch, welche Tiere in ihren angestammten Lebensraum zurückkehren dürfen, wird zentral von Prag aus gemanagt.

In den vergangenen Jahrzehnten wurden immer wieder besonders robuste und gesunde Przewalskipferde mit der passenden Genetik ausgewählt, zu kleinen Herden zusammengestellt und schließlich in der Mongolei ausgewildert. Dort leben in dem Schutzgebiet Gobi B und dem Nationalpark Chustain Nuruu inzwischen wieder 350 und 300 wilde Pferde.

Gesichert ist ihre Existenz nicht: 2009/2010 beispielsweise brach ein sehr kalter Winter über die Mongolei herein, die Population der Wildpferde im Schutzgebiet Gobi B sank auf unter 50 Exemplare. Also schickten die Europäer von 2012 bis 2019 noch einmal 30 Stuten gen Osten. „Es ist normal, dass Populationen zu- und abnehmen“, sagt Sicks, „solche Dynamiken finden Sie überall in der Natur, mal gibt es mehr Füchse und Kaninchen, mal weniger.“ Große Populationen verkraften solche Schwankungen. Sehr kleine Populationen jedoch können durch Extremwetterereignisse an den Rand der Ausrottung gebracht werden.

Wie lange die Erhaltungszucht noch nötig ist und ab wann sich die Population der Przewalskipferde von selbst tragen kann, ist nicht absehbar. Problematisch sei vor allem, dass die kleinen Herden in der Mongolei komplett isoliert existierten und sich nicht mischen könnten, sagt Sicks.

Derzeit gibt es keine Bestrebungen, weitere Tiere in die bestehenden Schutzgebiete zu bringen. Allerdings untersucht der Zoo Prag in Kooperation mit den Naturschutzbehörden der Mongolei, ob sich im Osten des Landes weitere Gebiete für Auswilderungsprojekte eignen könnten. „Gibt es dort auch in strengen Wintern genug Nahrung? Wie hoch ist der Druck durch Nutztierherden? Werden die Wildpferde in trockene Gebiete abgedrängt, in denen sie nicht jeden Tag Zugang zu Wasser haben?“ – diese Fragen müssten jetzt beantwortet werden, sagt Sicks.

Langfristiges Ziel ist, dass die Pferde wandern können, sich ihre Populationen berühren und so von selbst wachsen können. Das Bewusstsein für die Einzigartigkeit und Seltenheit dieser Arten und für die Gefahr, dass sie ohne Schutzmaßnahmen keine Chance haben, sei gestiegen, sagt Sarah King. Entscheidend für ihren Erhalt aber sei die Zusammenarbeit mit den Menschen, die ihren Lebensraum teilen.