Volle Dröhnung

Der Irak hat ein massives Drogenproblem. Weder wird darüber gesprochen, noch kümmert sich jemand um die Süchtigen. Eine Lehrerin aus Bagdad möchte das ändern

Azhar Ali

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Azhar Ali ist Journalistin und Schriftstellerin. Sie lebt in Bagdad.

Enas Karim ist Biologielehrerin in Bagdad und hatte keine Ahnung von Drogen, deren Gefahr und Verbreitung im Irak. Aber irgendetwas stimmte mit manchen Schülern nicht. Ständig waren sie unkonzentriert, sprachen oft undeutlich oder wirkten seltsam abwesend. Ihre Leistungen verschlechterten sich. Eher zufällig erfuhr Enas vor zwei Jahren in einem Gespräch, dass einige Schüler offenbar Probleme mit Drogen hatten. „Ich wollte ihnen da raushelfen“, sagt die 32-Jährige. Sie hörte sich um nach Möglichkeiten für eine Behandlung. Das Ergebnis entsetzte sie: Im Irak kümmern sich nur drei bis vier Kliniken mit insgesamt weniger als hundert Betten um Drogensüchtige.

Enas begann tiefer zu recherchieren. Sie wollte die gefährliche und fremde Welt der Narkotika verstehen, las im Internet Berichte und Statistiken, lernte durch Dokumentarfilme und Studien das Ausmaß dieser Katastrophe im Irak kennen.

Das offizielle Drogenverbot wird weitgehend missachtet. Bis zu 50 Prozent der Ira­ke­r:in­nen konsumieren Narkotika, teilte der Oberste Gerichtsrat Anfang Mai mit. Längst ist der Irak nicht mehr nur ein Transitland für die Drogen aus Iran und Afghanistan. Der Konsum von Cannabis, Opium und synthetischen Drogen aller Art ist weitverbreitet. Dabei sind die Strafen hoch: Wer Narkotika importiert, verkauft, herstellt oder besitzt, muss mit Geldbußen von 6.000 bis 18.000 Euro und ein bis drei Jahren Gefängnis rechnen.

Die staatliche Kriminalisierung habe den Drogenkonsum nicht verringert und helfe vor allem nicht den Drogenabhängigen, sagt Enas. In den Gefängnissen würden Süchtige oft zu Dealern. Und weil die Gesellschaft Drogenabhängige verachte, wagten Kranke und deren Angehörige nicht, sich zu offenbaren.

Deshalb beschloss Enas, aktiv zu werden: „Wir wollten nicht länger tatenlos zusehen, sondern mehr gesellschaftliche Aufmerksamkeit schaffen und Gefährdeten sowie Abhängigen vorbehaltlos begegnen.“ Vor knapp zwei Jahren gründete sie die Initiative Drogenfreier Irak in Bagdad. Zuerst gestaltete das Team bei Facebook Seiten, auf denen über die Gefahren der Drogen aufgeklärt wird und Eltern erfahren, wie sie ihre Kinder vor Drogen beschützen oder jugendlichen Opfern helfen können.

Mittlerweile engagieren sich neben Enas als Direktorin des Teams sechs Kol­le­g:in­nen in Bagdad und zehn in den anderen Gouvernements. Sie haben erstmals Anlaufstellen geschaffen für Eltern und Drogenabhängige, die bisher vor allem über die sozialen Medien ihre Geschichten erzählen und um Hilfe bitten.

„Ich bin keine Ärztin“, sagt Enas, „aber ich fühle mich meinen Landsleuten gegenüber verpflichtet und wollte etwas Positives und Wirksames tun.“ Sie und ihr Team arbeiten ähnlich wie Guides: Sie besprechen mit Suchtkranken, wie deren Problem zu lösen sein könnte, versuchen sie für eine Behandlung zu gewinnen und leiten die Kli­ent:nnen dann weiter zu Fachärzt:innen.

Längst ist der Irak nicht mehr nur Transitland für die Drogen aus Iran und Afghanistan

Auch wenn Enas in dieser Arbeit ihre persönliche Mission gefunden hat, zweifelt sie manchmal, ob sie weitermachen soll. Zu groß scheinen die Hindernisse, zu gering ist die Unterstützung und die Anerkennung der erfolgreichen Hel­fer:in­nen. Finanzielle Mittel erhält die Initiative nicht. Alle arbeiten unentgeltlich, die Miete für die Räume in Bagdad bestreitet En­as von dem, was sie an der Schule verdient.

Das größte Problem aber ist die mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz für eine junge Frau, die mit Drogenabhängigen arbeitet. Ständig ist sie mit dornigen Fragen aus ihrem Umfeld konfrontiert: „Warum sprichst du mit möglicherweise gefährlichen Menschen?“; „Warum arbeitest du unentgeltlich?“; „Das machen noch nicht mal Männer, das ist einfach kein Job für eine Frau“. Meist versucht Enas, selbstbewusst zu antworten. Doch wenn sie ins Gefängnis geht, um mit einem Drogensüchtigen zu sprechen, dann erzählt sie ihrer Familie lieber nichts von diesem Termin.