„Bepflanzt euer Land und kümmert euch drum“

Aktive Ökobäuerin, Forscherin und Lehrende in einer Person – eine alleinerziehende Mutter schafft das, sogar ohne Schulabschluss

Illustration: Marén Gröschel

Ihr neues Leben war ziemlich klein, genau genommen ein halbes Dunam, das entspricht 1.250 Quadratmeter. Auf dem verwahrlosten Stück Land, das ihrem Vater gehörte, wollte Halima Muttascher Sawady sich eine eigene Existenz aufbauen. Ihr Mann hatte sie verlassen, sie musste überlegen, wie sie für ihren Vater und ihren Sohn sorgen könnte. Die Entscheidung fiel nicht schwer: Halima hatte zwar keinen Schulabschluss gemacht, dafür aber jahrelang auf dem Feld gearbeitet. „Ich hatte nur meine Hände. Da blieb mir nichts anderes übrig, als eine kleine, aber eigene Landwirtschaft aufzubauen.“

Halima brachte die Erde zum Blühen. Sie baute Gemüse an und verkaufte es auf dem Markt im Distrikt Somer, der zur südirakischen Stadt Diwanija gehört. Anfangs erhielt sie eine kleine staatliche Unterstützung, um Geräte und Werkzeug zu kaufen. Mit der Zeit entwickelte sie neue Methoden, um die Menge an verwendbaren Samen zu erhöhen.

Sie schaffte es, ihr Gemüse in kurzer Zeit reifen zu lassen und den Anbau verschiedener Sorten zu verstetigen. So konnte sie im Sommer wie im Winter ernten. Auch im Gewächshaus experimentierte Halima. Sie nutzte Kompost für das Gemüse und ersetzte so den chemischen durch organischen Dünger. „Das ist eine gesündere Methode, die Pflanzen zum Wachsen zu bringen“, sagt sie, „und es spart außerdem Geld.“

Offenbar hat die Bäuerin nicht nur Freunde und Bewunderer. Eines Tages, Halima hatte gerade glücklich davon geträumt, ihr kleines Unternehmen zu vergrößern,stand sie fast vor dem Ruin. Über Nacht hatten Unbekannte alle Gartengeräte zerstört. Das Auto ihres Bruders, mit dem sie ihre Waren zum Markt fuhr, war ausgebrannt. Bis heute weiß sie nicht, wer dafür verantwortlich ist, obwohl sie es der Polizei gemeldet und sich dort mehrfach nach den Ermittlungen erkundigt hat.

Aber Halima hat sich nicht entmutigen lassen. Im Gegenteil: Es scheint, als habe die Tat sie noch ehrgeiziger werden lassen. Gestützt auf Erfahrung und praktische Versuche erprobte sie neue Methoden, gesunde Lebensmittel zu erzeugen. Die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit stellte Halima den zuständigen staatlichen Stellen zur Verfügung.

Konkret erzielte sie mit ihrer Arbeit drei für die Entwicklung einer gesunden Landwirtschaft wichtige Ergebnisse: Das erste betrifft die profitable Vermehrung von Pflanzen durch eine besondere Art des Umgangs mit Sprösslingen, auch Pikieren genannt. Dafür baute sie eigens ein Gewächshaus um. Zweitens stellte sie organischen Dünger für ein schnelles, gesundes Wachstum der Pflanzen her.

Als Drittes testete Halima erfolgreich ein natürliches Insektenbekämpfungsmittel aus Knoblauch, Zwiebeln und Peperoni, das Setzlinge vor Schädlingen schützt. So vermeidet sie den im Irak noch weitverbreiteten Einsatz von umweltschädlichen Pestiziden. (Weder hat Halima das genaue Rezept verraten, noch geschildert, ob es auch in deutschen Naturgärten anwendbar wäre; d. Red). Gegenwärtig forscht sie, wie sich Honig effektiver abschäumen und später nutzen lässt.

Das Institut für Agrarwissenschaft im Distrikt Somer hat die umtriebige Landwirtin schon häufiger eingeladen, um von ihrem Wissen zu profitieren. Mittlerweile ist ihr Garten- und Forschungsreich um das Zwanzigfache gewachsen, auf eine Anbaufläche von etwa 2,5 Hektar oder zweieinhalb Fußballfelder. Inklusive mehrerer Gewächshäuser.

Manar Alzubeidi

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Manar Alzubeidi betreibt eine eigene Internet-Plattform.

Als erfolgreiche Bäuerin bekommt Halima viel gesellschaftlichen Zuspruch und wird zu lokalen wie nationalen Events eingeladen. Sie erhielt Auszeichnungen aus Politik und Kunst. Am Frauentag wurde sie als eine von wenigen besonders geehrt. Auf Landwirtschaftsmessen stellt sie ihre Produkte und Forschungsergebnisse vor. Der irakische UNESCO-Botschafter Nasser Shamma, ein als Oud-Virtuose international bekannter Musiker, schwärmte: „Wenn ich den Irak besuche, werde ich die Bäuerin Halima Muttascher würdigen, ihr die Hände küssen für die gute Arbeit, die sie leistet.“ Shammas finanzielle Unterstützung war ihr eine große Hilfe.

Die Mittvierzigerin hat viele Zukunftspläne. Sie möchte ein Zentrum für Agrarforschung gründen, das Wis­sen­schaft­le­r:in­nen und Studierenden gleichermaßen offensteht. Ein renommierter Agraringenieur hat angeboten, sich an gemeinsamen Forschungsprojekten zu beteiligen. Zugleich möchte sie junge Menschen in der und für die Landwirtschaft ausbilden und arbeitet derzeit intensiv an einem entsprechenden Projekt. Sie appelliert: „Bepflanzt euer Land und kümmert euch gut darum, dann bleibt es euch erhalten. Das Land ist wie eine Mutter, die uns Kraft und Unterstützung schenkt.“

An Frauen gerichtet sagt Halima: „Bildung ist notwendig, aber keine Bildung bedeutet nicht, dass du erfolglos sein wirst.“ Sie hat es bewiesen. Und bleibt geerdet: „Ich bin stolz darauf, Bäuerin zu sein. Mein größtes Glück ist es, meine Produkte auf dem Markt zu verkaufen. Von dem Gewinn können mehrere Familien leben. Ich fühle mich unabhängig und stolz.“

Illustration: Marén Gröschel