Familie und Koalitionsvertrag: Vier Eltern und ein Knirps

Die Ampel definiert in ihrem Koalitionsvertrag Geschlecht und Familie neu. Frauen und Queers soll der Respekt gezollt werden, der allen zusteht.

Eine Kinder und eine Erwachsenenhand werden von einem bunten Licht bestrahlt.

Aufwachsen mit neuen familienpolitischen Idealen Foto: getty images

Ganze 16 Jahre lang klammerte sich die bundesdeutsche Frauen- und Familienpolitik an vergangene Ideale. Politisch bevorzugtes Geschlecht war der heterosexuelle Mann, Familienideal Vater-Mutter-Kind. Dass es überhaupt zwei große Erfolge gab, wurde aus der Opposition heraus und gegen Widerstand beziehungsweise Desinteresse der Regierung mühsam erkämpft: Die Ehe für alle und im Sexualstrafrecht „Nein heißt Nein“.

Ansonsten gewährte zuletzt die Groko ein wenig mehr Gewaltschutz, ein klein wenig Rückkehrrecht Teilzeit auf Vollzeit und ein bisschen Quote. Bei all dem entstand der Eindruck, es seien Zugeständnisse an eine dauernervende Klientel, und die sollte sich dann bitte auch mal zufrieden geben. Nimmt die Ampel ernst, was sie verspricht, dürfte sich nun das Selbstverständnis grundlegend ändern, mit dem alle Geschlechter adressiert werden.

Trans und inter Personen sprechen die neuen Ko­ali­tio­nä­r:in­nen im Vertrag an – auf der Ebene der Rechte und Bedarfe. Dass auch Frauen mit Behinderung und Geflüchtete ein Recht auf Gewaltschutz haben, war politisch bisher keineswegs selbstverständlich. Und dass das Transsexuellengesetz fällt, ist unter menschenrechtlichen Gesichtspunkten eine Erleichterung sondergleichen. Das progressive Verständnis von Geschlecht und Familie ist auch ein Erfolg von Bewegung und Zivilgesellschaft.

Da brach sich bereits einiges Bahn, was die Groko zu unterdrücken versuchte – und zumindest die Grünen waren für außerparlamentarisches Ex­per­t:in­nen­tum offen. Gegen den Paragrafen 219a gingen Tausende auf die Straße, nun soll er abgeschafft werden. Mütter fanden sich in Initiativen für gewaltfreie Geburten zusammen, Hebammen streikten, weil sie zu viele Frauen gleichzeitig betreuen mussten und um deren Gesundheit und Leben fürchteten.

Nun soll „Gesundheit rund um die Geburt“ Wirklichkeit werden. Das Bündnis Istanbul-Konvention, in dem sich rund 20 Frauenrechtsorganisationen zusammenschlossen, prangerte die mangelhafte Umsetzung der Gewaltschutzkonvention an und forderte Strategie und Koordination – beides soll kommen. Und lesbische Paare stritten vor Gericht dafür, sich keine Fragen mehr nach ihrem Sexualleben stellen lassen zu müssen, um Mutter des eigenen Kindes werden zu dürfen.

Bei verheirateten Paaren soll das künftig automatisch der Fall sein, weitere Betreuende sollen das kleine Sorgerecht bekommen können. In Bezug auf reproduktive Rechte könnte diese Legislatur der behutsame Beginn eines gesundheitspolitischen Paradigmenwechsels werden, in dem das Recht auf den eigenen Körper im Mittelpunkt steht.

Zwar bleibt der Paragraf 218 – doch die Absicht, Abbrüche in der ärztlichen Ausbildung zu verankern und sie kostenfrei anzubieten, ist auf dem Weg zu einer Enttabuisierung nicht zu unterschätzen. Und ein volles Verbot von Konversionsbehandlungen zur „Heilung“ von Homosexualität zu prüfen und hebammengeleitete Kreißsäle zu unterstützen, sind zumindest Signale, dass Frauen und Queers langfristig die respekt- und würdevolle Behandlung bekommen könnten, die allen Menschen zusteht.

Längst nicht alles wurde geschafft: Das Ehegattensplitting etwa bleibt, auch wenn die Steuerlast bei Paaren gerechter verteilt werden soll. Einiges bleibt vage: wie die Lohnlücke geschlossen werden soll zum Beispiel. Doch bei vielen angepeilten Veränderungen wird es nicht lange dauern, bis sie gesellschaftliche Selbstverständlichkeit geworden sind. Vorausgesetzt, es wird umgesetzt, was angekündigt wird.

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Manches kann schnell gehen und kostet wenig: Den Paragrafen 219a zu streichen, wird vergleichsweise einfach. Ein Gesetz gegen digitale Gewalt zu entwickeln schon schwerer. Andere Projekte sind als geradezu hehre Ziele formuliert. Die Istanbulkonvention soll „vorbehaltlos und wirksam“ umgesetzt werden. Und Gleichstellung, so der Anspruch, müsse „in diesem Jahrzehnt“ erreicht werden. Besser hehre Ziele als zu wenige, doch die finanzpolitische Leerstelle klafft.

Den Bund an der Finanzierung von Frauenhäusern zu beteiligen, präventive Täterarbeit im Gewaltschutz auszubauen, Gesetze einem Gleichstellungscheck zu unterziehen und sie im Zweifel anzupassen, eine 1:1-Betreuung durch Hebammen während der Geburt zu garantieren, eine Steuergutschrift für Alleinerziehende einzuführen und die Kindergrundsicherung: All das wird bislang nicht beziffert. All das wird teuer. Er kündigt eine Zeitenwende an. Endlich besteht die Chance, dass Politik und Wirklichkeit gemeinsame Sache machen.

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war Chefin vom Dienst in der Berlinredaktion, hat die Seite Eins gemacht und arbeitet jetzt als Redakteurin für Geschlechterpolitik im Inland. 2019 erschien von ihr (mit M. Gürgen, S. am Orde, C. Jakob und N. Horaczek) "Angriff auf Europa - die Internationale des Rechtspopulismus" im Ch. Links Verlag. Im März 2022 erscheint mit Gesine Agena und Dinah Riese "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.

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