„Eine Frau mit unheimlicher Gier“

Pınar Karabulut inszeniert Frank Wedekinds Mysterium „Franziska“

Foto: Julia Sang Nguyen

Pınar Karabulut

Jahrgang 1987, Regisseurin, gehört seit 2020/21 zum Leitungs­team der Münchner Kammerspiele.

Interview Benno Schirrmeister

taz: Frau Karabulut, wieso inszenieren Sie „Franziska“ in Bremen?

Pınar Karabulut: Ich bin immer auf der Suche nach Stoffen, bei denen Frauen im Zentrum stehen, performative Frauen. Michael Börgerding, der Bremer Intendant, hatte mich deshalb auf dieses „Mysterium“ von Frank Wedekind aufmerksam gemacht.

Ah, Sie kannten es also auch nicht?

Ich hatte es nie gelesen. Ich wusste nur, dass es existiert: Ich hatte im Studium zu Franziska zu Reventlow gearbeitet, die Wedekind teilweise als Vorbild für seine Figur nutzt. Dass sie am Ende als Frau beschließt, alleine mit einem unehelichen Kind zu leben wie zu Reventlow, war bei der Uraufführung 1912 ein totaler Skandal und hat sicher dazu beigetragen, dass es sofort danach wieder abgesetzt wurde.

Und ziemlich in der Versenkung verschwunden ist?

Es ist schon verständlich, dass es nicht als so attraktiv empfunden worden ist wie andere Wedekind-Stücke wie „Lulu“ oder „Frühlings Erwachen“.

Warum?

Das sind ja im Grunde beides sehr gut gebaute Stücke. Und wer jetzt mit dieser Erwartung im Hinterkopf an „Franziska“ rangeht, wird sich schwer damit tun. Franziska ist ein weiblicher Faust, die Handlungen und Gedanken sind virtuos und sprunghaft zusammengebaut. Da gibt es zum Beispiel statt Auerbachs Keller Claras Weinstube. Mal wird in Versen gesprochen, mal in Alltagssprache. An anderen Stellen denkt man beim Lesen: „What?! Was passiert denn hier gerade?“ Die Radikalität Wedekinds habe ich in meiner Textfassung pervertiert und auf die Spitze getrieben, denn wir sind ja schließlich mit dem Teufel unterwegs. Also, wenn es Kino wäre, dann wäre es ein Nouvelle-Vague-Film von Jean-Luc Godard.

Und den bringen Sie jetzt auf die Bühne?

Wir haben das Stück schon sehr stark bearbeitet und auf sein Gerüst reduziert. Letztlich sind es nur noch die großen Szenen, in denen wir wirklich noch Wedekind sprechen.

Warum wollten Sie dann überhaupt Wedekind aufführen?

Mich reizt daran genau dieser Grundkonflikt: Dass bei ihm eine Frau im Mittelpunkt steht, die eine unglaubliche Gier hat, sie will einfach mehr, immer mehr. Sie ist auf der Suche nach dem größtmöglichen Moment der Freiheit. Und diesen kann sie vermeintlich nur leben und spüren, indem sie zwei Jahre lang als Mann lebt. Das ermöglicht ihr Veit Kunz, ein mephistophelischer Sternenlenker aus Berlin. Dieser verlangt aber im Gegenzug die völlige Unterwerfung Franziskas, indem sie Veit Kunz’ Frau wird.

Darauf lässt sie sich ein?

Unsere Franziska, gespielt von Fania Sorel, ist unabhängig und selbstermächtigt. Sie geht den Pakt mit dem Teufel mit der Ansage ein, ihn vor Beendigung des Vertrags zu töten.

„Franziska. Ein modernes Mysterium“: Theater Bremen, Kleines Haus, Premiere am Freitag, 3. 12., 20 Uhr