kritisch gesehen
: Kitsch statt Erkenntnis

Syrien ist Spielzeitthema des Theaters Osnabrück: Vor zehn Jahren begann der Bürgerkrieg dort. Seit 2011 kamen nach UN-Schätzungen Hunderttausende um, sechs Millionen sind ins Ausland geflüchtet. In Osnabrück hat man nun Dramatiker und Regisseur Wael Kadour eingeflogen, der seit 2016 im Exil in Paris lebt.

Mit der deutschsprachigen Erstaufführung seines Stücks „Chronik einer Stadt, die wir nicht kennen“ sollte er einen tieferen Einblick in die syrische Realität ermöglichen. Damaskus 2011 heißt der Handlungsort. Das Emma-Theater wird in voller Breite geöffnet und gibt sich als Treppenhaus zu erkennen. So spielt die erste Szene auf den Stufen eines Krankenhauses. Eine forsche Bedienstete und die scheue Revolutionärin Roula sprechen über deren Freundin Nour, die sich von einem Hausdach gestürzt hat. Weil sie an den Opfern des Widerstandskampfes verzweifelte? Oder um sich Assads Schergen zu entziehen? Immer aussichtsloser gestaltet Kadour Roulas Recherchen. Sie durchschweigt ein Verhör. Ein Geheimpolizist gibt weichstimmig und steinherzig den Foltermacker. Seine Anklage ist eine doppelte: Sie demonstriere gegen Assad und lebe eine in Syrien strafbare lesbische Beziehung.

Die wollen auch Nours Eltern nicht akzeptieren, ebenso wenig den Kampf gegen die Gewalt des politisch-religiösen Systems. „Regimetreu“ sei ihr Verhalten, empört sich Revolutionär Kinan, die Eltern wollen „nur keine Probleme“, antwortet Roula. Die schweigende, ihre Pfründe sichernde Mittelschicht wäre also den Aufständischen in den Rücken gefallen: Zugespitzt beschreibt Kadour so den Beginn vom Ende der friedlichen Revolution. Viel mehr aber nicht.

Für die fünf luftig-leise und betont kunstlos inszenierten Szenen nehmen sich Kadour und Co-Regisseur Christian Schlüter viel Zeit, aber es kommen nur schlicht strukturierte Dialoge zu Gehör, denen es an Tiefenschärfe fehlt. Bis auf Roula sind alle Figuren nur Funktionsträger:innen. Zudem funktioniert die Heldin als solche kaum, kommt Darstellerin Laila Richter doch nie richtig ins Spielen, wirkt schüchtern, schamgehemmt bis zur Unscheinbarkeit und stets auf Rückzug gepolt. Ihre umstürzlerische ist eine ohnmächtig verlöschende Wut. Dass dann final in einer endlosen Partyszene das neuerliche Knüpfen eines zarten Bands der Liebe gefeiert wird, wirkt vor allem kitschig: Ein Stück, das wenig hilft, unser mediales Syrien-Wissen zu hinterfragen. Jens Fischer

„Chronik,...“: Emma-Theater Osnabrück, 4., 14., 15., 21., 22., 26. ,28. 12., 19.30 Uhr