taz.berlin-Adventskalender (1): Kennenlernen vor der Kasse

Normalerweise spricht man die Menschen in der Supermarktschlange ja nicht einfach so an. Oder doch? Über eine unverhoffte Begegnung.

Ein eigentlich recht anonymer Ort: die Supermarktkasse Foto: picture alliance/dpa | Tom Weller

Vorweihnachtshektik, unter coronabedingten Masken noch anonymer. Begegnungen finden in Eile und mit Sicherheitsabstand statt. Und dann öffnet sich plötzlich doch manchmal eine Tür: eine freundliche Geste, eine Hilfeleistung, ein Gespräch. Die taz.berlin berichtet in ihrem Adventskalender 2021 von solchen Türchen, die die Anonymität einen Moment vergessen lassen.

Die Warteschlange, die sich zur späten Feierabendzeit vor den Kassen meines kleinen Edeka am Kottbusser Damm bildet, wird durch die pandemiebedingten Abstände, die hier die meisten einhalten, noch länger. Und noch anonymer: Gesichter verbergen sich fast vollständig hinter Masken, die meisten Wartenden beschäftigen sich mit ihren Handys.

Der junge Schwarze Mann jedoch, der vor mir wartet, dreht sich plötzlich um, seine Augen über der Maske strahlen mich an. Höflich stellt er sich vor: „Guten Abend! Mein Name ist Johannes. Wie geht es Ihnen?“, fragt er mich. Verblüfft nenne ich ihm ebenfalls meinen Namen und antworte: „Danke, gut, und Ihnen?“

Erschöpft sei er, sagt Johannes, und erzählt mir, dass er LKW-Fahrer und gerade mit einer Ladung aus Süddeutschland angekommen ist. Nun werde sein Wagen geleert und „reine gemacht“, wie er sagt. Morgen werde er dann eine neue Ladung aufnehmen und zurückfahren; jetzt kaufe er ein, um mit einem Kollegen zu kochen, bei dem er auch die Nacht verbringen werde. „Und was machen Sie beruflich?“, fragt Johannes mich.

Foto: taz/Aletta Luebbers

Wir sind unterdessen bis zur Kasse vorgerückt, wo die Kassiererin neugierig zuhört und sich dann erfreut am Gespräch beteiligt, als sie mich sagen hört, dass ich bei einer Zeitung beschäftigt sei. Sie habe schon immer gerne wissen wollen, wo ich arbeite, sagt sie – aber man könne Kun­d*in­nen doch nicht einfach so etwas fragen…Oh, doch!

Sie sei übrigens eigentlich Sozialpädagogin, erzählt sie, „halbtags!“, die Arbeit an der Kasse sei nur ein Zweitjob: „Man muss ja leben, wissen Sie!“ Ja, ich weiß. Johannes verabschiedet sich unterdessen und bedankt sich freundlich für das Gespräch: „Ich habe heute noch nicht mit so vielen Menschen gesprochen, so direkt“, sagt er.

Und ich gehe mit dem schönen Gefühl nach Hause, statt einer anonymen Warteschlange voller gestresster Unbekannter gerade zu einer spontanen kleinen Kennlernparty eingeladen gewesen zu sein.

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