Lügenbilderbuch zur Landwirtschaft: Immer auf die Kleinen

Die niedersächsische Landwirtschaftskammer, eine Behörde, übt sich in Schönfärberei gegenüber einem kindlichen Publikum.

Ein Traktor fährt durch ein hellgrünes Feld.

Verursacht Artensterben in großem Stil: der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Nichts gegen Propaganda: Wenn eine Lobbyorganisation Infomaterial unters Volk bringt, ist das stets eine Schulung fürs kritische Denken, eine Möglichkeit, zu reflektieren, wie stark man anfällig ist für Appelle ans Unbewusste. Weil: Es ist klar, dass die ihre Produkte vermarkten und ihre eigennutzgetriebene Agenda als moralisch mustergültiges Handeln vorstellen wollen; na, und wer’s glaubt, wird halt selig.

Wenn also der Bauernverband beziehungsweise seine niedersächsische Gruppierung, die sich Landvolk nennt, seine Medienmacht dazu genutzt hätte, das Bilderbuch „Landwirtschaft? Artenvielfalt? Was ist denn das?“ zu promoten, würde zu Recht kein Hahn danach krähen. Denn selbstverständlich ist dem agrochemischen Komplex im deutschen Monokultur- und Massentierhaltungsparadies Niedersachsen daran gelegen, seine schädlichen Auswirkungen zu verschleiern. Geschenkt!

Aber: Dieses Buch hat die niedersächsische Landwirtschaftskammer unterstützt, und im Vorwort beansprucht sie eine Ko-Autorschaft des von einem gewissen Uwe Klindworth verfassten Werks: „Mit diesem Buch möchten wir euch zeigen“, wendet sich ihr Präsident Gerhard Schwetje ans junge Publikum, „was Landwirtinnen und Landwirte alles machen, um die Pflanzen und Tiere zu schützen.“

Die Landwirtschaftskammer ist kein Ableger des Bauernverbands, wohlgemerkt. Landwirtschaftskammern sind in Norddeutschland – Funfact: die erste entstand 1849 im Superagrarland Bremen – eher Teil der Verwaltung. Sie nehmen hoheitliche Aufgaben wahr, wie eine staatliche Behörde. Behörden aber sind in puncto Kommunikation der Wahrheit verpflichtet – und der Neutralität. Ganz besonders, wenn sie sich an Kinder wenden. Ein Bilderbuch über das Verhältnis von Landwirtschaft und Artenvielfalt ist nämlich ein Medium politischer Bildung.

Dazu gehört – das ist das im Beutelsbacher Konsens festgehaltene Minimum –, dass Konflikte auch als Konflikte dargestellt werden. Sprich: Zu zeigen wäre auch, was Landwirte und Landwirtinnen alles getan haben, um Pflanzen und Natur zu schaden. Ihr Beitrag zum dramatischen Insekten- und Vogelschwund und zur Verengung der Lebensräume darf nicht verschwiegen werden, wenn ihr Verhältnis zur Artenvielfalt Thema ist. Und erst recht nicht, wenn das Werk per Untertitel den Anspruch erhebt, zu klären, „was niedersächsische Landwirtschaft eigentlich ist“.

Hier aber wird suggeriert, diese sei harmonisch und gut, ja, die Bewirtschaftung der Felder fördere den Reichtum in Flora und Fauna und diese hätten gemeinsame natürliche „Feinde wie Unkraut, Schädlinge, Bakterien und Pilze“.

Auch Kindern ist die Wahrheit zumutbar; dass die vielbeschworene Produktsicherheit agrarischer Güter, ihr niedriger Preis und die wirklich komfortable Versorgungslage ein erhebliches Maß an Umweltzerstörung bedeuten, gehört zu den Tatsachen, mit denen sie umzugehen lernen müssten. Und völlig richtig wäre es, das Umdenken, das allmählich – viel zu langsam! – in Gang kommt und sich in Regelungen wie der Novelle der „Pflanzenschutzanwendungsverordnung“ manifestiert, zu erzählen. Die Herausforderung wäre, das kindgerecht zu tun und ohne sperrige Worte.

Aber den lieben Kleinen weiszumachen, dass, „erst wenn nichts mehr hilft […] Planzenschutzmittel, sozusagen als Medizin, eingesetzt“ würden, ist schlicht unwahr, solange prophylaktische Saatgutbeize mit Herbi-, Fungi- und Pestiziden erlaubt bleibt. Wie sollen sich die Kinder dagegen wehren? Wie sollen sie erkennen, dass es die zuvor abgefeierte Agrarindustrie ist, die dafür gesorgt hat, dass sie die auf der nächsten Seite dargestellten süßen Tiere, die Ringelnatter und den Edelkrebs, den Feldhamster und die Wiesenweihe nimmermehr in natura zu Gesicht bekommen? Eine Landwirtschaftskammer, die diese Verschleierung fördert, verrät ihren Auftrag.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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