Der Umschattete

OSKAR PASTIOR Schlechte Berichte, gute Gedichte: Eine Tagung in Berlin beschäftigte sich mit den Spitzeldiensten des Dichters

Pastior habe die Lyrik als Medium verwendet, um sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, sagte Herta Müller

VON CATARINA VON WEDEMEYER

Oskar Pastior war kein besonders hilfreicher Informeller Mitarbeiter für die Securitate, den rumänischen Geheimdienst. So viel steht fest bei dem Symposion zu der Spitzeltätigkeit des rumänisch-deutschen Dichters, das die Oskar-Pastior-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Literaturhaus am Samstag in Berlin abhielt. Von 1961 bis zu seiner Flucht nach Deutschland 1968 lieferte IM Otto Stein alias Oskar Pastior der Securitate Berichte über seine Mitmenschen, sechs haben die Forscher bisher in Archiven des Geheimdienstes finden können.

Nach einer Einführung des Stiftungsvorsitzenden Klaus Ramm versucht Ernest Wichner zu erklären, wie es dazu kommen konnte, dass der Freund sich als Informant verpflichten ließ, mit einem Blick in die Biografie: 1945 wurde Pastior als 17-Jähriger für fünf Jahre in ein ukrainisches Lager verschleppt. Herta Müller erzählte diese traumatische Episode in dem Roman „Atemschaukel“ (2009). Vier Jahre nach dem Tod des Dichters – er starb 2006 während der Buchmesse – entdeckt der Historiker Stefan Sienerth Securitate-Akten, aus denen klar hervorgeht, dass Pastior nicht nur beschattet wurde, sondern auch selbst beschattete. Sowohl Sienerth als auch Wichner betonen jedoch, dass Pastior kein besonders effizienter Spitzel gewesen sein kann, und die Autorin Corinna Bernic schließt sich dem an, wenn sie zwischen „nützlichen und unnützen“ Informanten unterscheidet. Damit liefern die Redner den Konsens für die restliche Tagung. Nur die Essayistin Sabina Kienlechner erinnert die etwa 60 Anwesenden, von denen die meisten Pastior gekannt zu haben scheinen, daran, dass ein Spitzel im Allgemeinen moralisch zu verurteilen sei, Ausnahmen verlangten nach Begründung.

In der Tat hätte es Möglichkeiten gegeben, die Mitarbeit zu verweigern. Beispiele dafür sind Schriftstellerkollegen wie Herta Müller, Richard Wagner oder Georg Hoprich. Dieter Fuhrmann konnte den Geheimdienst dank einer Nervenkrankheit von seiner Untauglichkeit für den Informantendienst überzeugen, Grete Löw, die wohl wegen ihres hohen Alters nicht an der Tagung teilnahm, ließ sich verhaften und wirft Pastior bis heute mangelnde Integrität vor. Es fällt auf, dass gerade diejenigen, die schlecht auf den Dichter zu sprechen sind, auf dem Symposion fehlen.

Nach der Mittagspause geht es um eine möglicherweise notwendige Neubewertung des poetischen Werks Pastiors. Vortragende sind die Literaturwissenschaftler Jacques Lajarrige und Thomas Eder sowie der Lyriker Michael Lentz. Alle drei lesen einen doppelten Boden in der lyrischen Akrobatik des Oulipo-Poeten und halten sich damit an die Aussage Pastiors: „Man weiß mehr als man weiß und Gedichte wissen mehr, als man nicht weiß“. Auch von „Umschatteten“ ist bei Pastior einmal die Rede, zu den Beschatteten ist es da kein weiter Schritt.

Mit brillanten Sprachspielen und mephistophelischer Stimme spricht Lentz von einem Pakt des gegenseitigen Verleugnens, den Oskar Pastior als eine Art Überlebensstrategie mit seiner Zweitidentität IM Otto Stein beschlossen habe. Den Preis, den die Stiftung unter anderen Umständen am Samstag zum zweiten Mal verliehen hätte, würde Lentz allerdings ohne Zögern annehmen. Die Stiftung kann allem Anschein nach also so weitermachen wie bisher, der Vorsitzende Ramm ist erleichtert, er scheint eine Art gesellschaftliches Gerichtsverfahren erwartet zu haben.

In der abschließenden Diskussion meldet sich Herta Müller engagiert und emotional zu Wort: Pastior habe sich nicht hinter seiner Sprache versteckt, sondern die Lyrik als Medium verwendet, gerade um sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die Autorin wartet momentan noch darauf, Akten der CIA einsehen zu dürfen, dieser hatte Pastior seine Kollaboration 1968 mitgeteilt.

Der Fall bleibt also weiterhin zu recherchieren, aber niemand, der Oskar Pastior gekannt hat, fürchtet noch kompromittierende Enthüllungen. Von all den Schattierungen zwischen Schwarz und Weiß scheint Oskar Pastior eine der hellgraueren Sorte zu vertreten und mit der dialektischen Formulierung „schuldlos schuldig“ hat der Dichter sich wohl selbst am treffendsten verurteilt.

■ Publikation: „Versuchte Rekonstruktion. Die Securitate und Oskar Pastior“. Text + Kritik, ab November 2012, etwa 160 Seiten, ca. 26 Euro