Claudia Roth als Kulturstaatsministerin: Keine Macht für Niemand

Claudia Roth wird Staatsministerin für Kultur und Medien. Mit der Grünen-Spitzenpolitikerin wird es für Preußen-Nostalgiker ungemütlich.

Lederjacke, Bubikopf-Frisur, Claudia Roth am Mikro bei Demo 2020 in Berlin

Claudia Roth, Vizepräsidenten des Bundestags, fordert auf einer Demo Coronahilfen für Künstler Foto: SZ Photo/Scheunert

Die Kulturpolitik des Bunds war in den letzten Jahren innenpolitisch eine Domäne der Christdemokraten. Monika Grütters (CDU) hatte hier das Sagen und war als Staatsministerin für Kultur und Medien direkt im Kanzleramt angesiedelt. Sie konnte über einen Etat von über 2 Milliarden Euro verfügen und setzte wichtige Personalentscheidungen durch, etwa die Berufungen der Niederländerin Hetty Berg als Leiterin des Jüdischen Museums Berlin und von Raphael Gross an die Spitze des Deutschen Historischen Museums in Berlin.

Auch für die Leitung des Filmfestivals Berlinale wurde ein international versiertes und gemischtes Führungsdoppel gefunden. Außenpolitisch wurde die deutsche Kulturpolitik während der Großen Koalition allerdings aus dem von der SPD geführten Auswärtigen Amt gesteuert. Dieses stellte auch nicht unwesentliche Mittel für die Aktivitäten des auf der ganzen Welt tätigen Goethe-Instituts zur Verfügung.

Nun werden also wohl bald in beiden Regierungsinstitutionen Politikerinnen der Grünen die Führung übernehmen. Im Auswärtigen Amt ist es Annalena Baerbock. Und als Staatsministerin für Kultur und Medien wird es Claudia Roth sein, die aus dem von der SPD-geführten Kanzleramt unter Olaf Scholz wirken wird.

Für Insider war die Nominierung Claudia Roths keine große Überraschung. Die 1955 in Ulm geborene amtierende Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags gilt – wie auch der künftige Minister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir – als eine der erfahrensten aktiven Grünen-Politikerinnen überhaupt.

Auch von älteren polternden Herren ließ sich Claudia Roth in ihrer langen Karriere als Politikerin noch nie einschüchtern

Kämpferische Vita

Und Roth repräsentiert durch ihre Vita kulturell selbst vieles von dem, für das die Grünen nun einstehen wollen. Stichworte sind: mehr Gendergerechtigkeit, die konsequente Durchleuchtung staatlicher Sammlungen nach arisierter sowie kolonialer Raubkunst, eine dem Antifaschismus verpflichtete Erinnerungspolitik sowie eine bessere soziale Absicherung der freischaffenden Künstler und Kreativen.

Die bei Memmingen aufgewachsene Roth hat sich als kämpferische, grüne Bürgerrechtlerin einen Namen gemacht, die sich auch von älteren polternden Herren in ihrer Karriere nicht einschüchtern ließ. Im Jahr 1994 – Erdoğan plante da als Bürgermeister von Istanbul gerade erst noch seinen folgenden kometenhaften Aufstieg – wurde sie von einem türkischen Staatsminister als „Prostituierte“ beschimpft. Sie hatte konservative türkische Nationalisten durch ihr Eintreten für die Rechte von Frauen und die kurdische Minderheit gegen sich aufgebracht.

In der Bundesrepublik eckte sie wiederum bei der völkischen Rechten wegen ihres Engagements für eine multikulturelle Gesellschaft an. Wir befinden uns da noch in der Ära Kohl und vor der Reform des Staatsbürgerrechts. Erst die erste rot-grüne Bundesregierung erweiterte nach 1998 das Staatsbürgerrecht und erleichterte die Einbürgerung von Migranten. Roth trat vor der autoritären Wende unter Erdoğan auch für die Aufnahme und Einbindung einer demokratischen Türkei in die Europäische Union ein.

Softpower Kultur

Softpower, so lautet ein von der SPD gern zitierter Begriff, wenn es um das außenpolitische Potenzial beim Export demokratischer Kulturen geht. In Staaten und Gesellschaften, in denen man aufgrund totalitärer Systeme mit unmittelbarer Politik nur wenig erreichen kann, setzt man weiterhin auf den Austausch über die kulturellen Korridore der Öffentlichkeit.

Das Goethe-Institut spielt hierfür über das reine Sprachinstitut hinaus die wichtige Rolle, wird oft als der letzte Anker für demokratisch orientierte Zivilgesellschaften im Ausland betrachtet. Die Kulturinstitute ermöglichen es, unterhalb von Geschäft und Politik mit der Gesellschaft und deren zukünftigen Vorstellungen in Kontakt zu bleiben. Auch wenn man oft nicht wirklich sagen kann, wem ein solcher Austausch am Ende tatsächlich nutzt.

Internationale Kulturpreise, Buchmessen oder Kunstausstellungen dienen Diktaturstaaten mitunter auch nur als Feigenblatt, um ihr schlechtes Image im Westen aufzupolieren.

Jüngst lehnte darum etwa der Philosoph Jürgen Habermas eine Ehrung mit dem Sheikh Zayed Book Award durch die ­Vereinigten Arabischen Emirate ab. Er war in menschenrechtlicher Hinsicht von der positiven Softpower der Preisannahme weniger überzeugt als die Strippenzieher im Auswärtigen Amt und des deutschen Kulturbetriebs.

Kultur und Menschenrechte

Mit der Ernennung Claudia Roths zur Staatsministerin dürfte dem sozialdemokratischen Pragmatismus beim Ausspielen wirtschaftlicher gegen menschenrechtlicher Interessen künftig strengere Grenzen auferlegt sein.

Aber vor allem dürfte Claudia Roth die von Grütters beförderte Preußenrenaissance – siehe Fassade und Kuppel des Großprojekts Humboldt-Forum – nicht fortsetzen.

Als Ex-Managerin der Band Ton Steine Scherben sollte die künftige Staatsministerin auch wissen, wie man ein allzu lautes Glockengeläut der Garnisonkirche zu Potsdam künftig unterbindet.

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