Klimakrise in der Türkei: Schlamm statt Seen

Seit Jahren hat es in der Türkei zu wenig geregnet. Die Landwirtschaft beutet Flüsse und Grundwasser aus. Darunter leiden die Ernten.

Blick auf die Ufer des Bafa-See

Bedrohtes Vogel-Paradies: Bafa-See in der Türkei Foto: Mahmut Serdar Alakus/AA/picture alliance

ISTANBUL taz | Der Bafa-See, einst einer der schönsten Seen der Türkei, bietet derzeit ein trauriges Bild: Wo einst türkisblaue Wellen ans Ufer plätscherten, ist nun grau-brauner Schlamm. Über 200 unterschiedliche Vogelarten lebten rund um den See, jetzt finden sie kaum noch Nahrung – und verschwinden nach und nach. Kleine Fischerboote verrotten dort, wo früher das Ufer war. Fatih Yavas, der einst hier vom Fischen lebte, hat keine Hoffnung mehr: „Das Wasser kommt nicht mehr zurück“, sagte er zur Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi. „Unmöglich, hier zu leben.“

Der See im Hinterland der Ägäisküste war vor knapp 2000 Jahren noch eine Meeresbucht nahe der antiken griechischen Stadt Milet. Durch stetige Sedimentablagerung des Menderes-Flusses verlandete das Delta, ab dem vierten Jahrhundert wurde der ehemalige Meeresarm ein See. Auch vom einstigen großen Fluss ist kaum noch etwas übrig. „In diesem Jahr hat der Menderes überhaupt kein Wasser mehr“, sagt der Bürgermeister des nahe gelegenen Orts Sercin. „Deshalb ist auch im Bafa-See kaum noch Wasser.“

Das Gebiet um den See war nicht nur für Vögel ein Paradies. Zu byzantinischen Zeiten war das am See gelegene Latmos-Gebirge auch Rückzugsort für Mönche. Etliche Klosterruinen liegen hier in versteckten Tälern, in Höhlen finden sich Bilder aus christlicher Zeit. Der See und seine Umgebung waren ein beliebtes touristisches Ziel.

Das alles ist jetzt in Gefahr. Der Bafa-See ist kein Einzelfall. Vielen Gewässern in der Türkei droht ein ähnliches Schicksal. Auch die großen Seen im Taurus-Gebirge oberhalb der Touristenmetropole Antalya verlieren ständig Wasser. Einige Schiffsanleger stehen bereits auf dem Trockenen. Dramatisch ist es am Tuz-Gölü, dem zweitgrößten See der Türkei. Unlängst schlug die Hydrologin Muazzez Celik Karakaya von der Universität Konya Alarm. Der See mit einst 1.660 Quadratkilometern sei in den vergangenen Jahrzehnten um 30 Prozent geschrumpft. „Wenn jetzt nichts getan wird“, sagt sie, „werden wir ihn komplett verlieren.“ Der Tuz-Gölü ist sehr salzhaltig. Aus den Salinen an seinen Ufern hat die Türkei bislang 50 Prozent ihres Salzbedarfs gedeckt. Hunderttausende Flamingos nisteten hier früher, aber die Vögel finden wegen des Wasserverlusts derzeit kaum noch Nahrung.

Die Seen leiden unter zu wenig Regen infolge des Klimawandels und wegen der Übernutzung der Flüsse und des Grundwassers durch die Landwirtschaft. In der Türkei hat es drei Jahre kaum geregnet. Laut dem staatlichen Meteorologischen Institut gab es landesweit von Oktober 2020 bis Ende September 2021 19 Prozent weniger Niederschläge als im Vorjahr, die geringste Menge seit 20 Jahren. Besonders der Südosten entlang der syrischen und irakischen Grenze leidet. Auch deshalb pumpen die Agrarbetriebe immer mehr Grundwasser auf ihre Felder und zweigen das wenige Wasser aus den Flüssen ab. Der Grundwasserspiegel fällt, die Bohrrohre müssen immer weiter in die Tiefe getrieben werden. Darunter leiden die Ernten. Dies geschieht bereits in der Umgebung des Tuz-Gölü in der Region um Konya, einst die Kornkammer der Türkei.

Pariser Klimaabkommen jetzt erst ratifiziert

Auch wegen dieser dramatischen Entwicklung ratifizierte die türkische Regierung nach jahrelangem Zögern kurz vor Beginn der Klimakonferenz in Glasgow als letztes G20-Land das Pariser Klimaabkommen.

Jahrelang hatte Präsident Recep Tayyip Erdoğan gepokert: Er wollte die Türkei als Entwicklungsland eingestuft sehen, um mehr Geld von den Industrieländern und ein höheres CO2-Budget zugestanden zu bekommen. Erst nach den verheerenden Waldbränden des Sommers und der Unterschrift der USA unter Paris lenkte Erdoğan ein. Um den Schritt zu erleichtern, hatten die Weltbank, Frankreich und Deutschland der Türkei günstige Kredite in Höhe von 3,2 Milliarden Dollar zugesagt.

Umweltminister Murat Kurum will nun einen Plan zur Bekämpfung des Klimawandels vorlegen und bis Ende des Jahres ein Klimagesetz im Parlament verabschieden lassen. Der Schlüssel für eine bessere CO2-Bilanz ist der Ausbau der erneuerbaren Energien – da ist in der Türkei noch Luft nach oben.

Sonnen-Energie wird erst rudimentär genutzt, obwohl das Potenzial riesig ist. Der Ausbau der Windenergie ist fortgeschrittener, vor wenigen Tagen lieferte die Windenergie das erste Mal an einem Tag mehr Strom als die Kohle. Doch noch denkt die Türkei nicht einmal über einen Kohleausstieg nach. Stattdessen sind Atomkraftwerke am Mittelmeer und am Schwarzen Meer geplant.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.