Flüchtlingsroute über Belarus: Auf der „Bearbeitungsstraße“

Geflüchtete, die über Polen nach Brandenburg kommen, werden derzeit täglich in Frankfurt (Oder) von der Bundespolizei überprüft. Ein Besuch.

Das Abzeichen eines Polizisten am Arm, im hintergrund unscharf eine Familie sitzt auf Feldbetten

In einer Halle der Bundespolizei in Frankfurt (Oder) warten geflüchtete Familien Foto: Patrick Pleul/dpa

FRANKFURT (ODER) taz | Am Eingang sind erst mal deutlich mehr Po­li­zis­t*in­nen als Geflüchtete zu sehen. Zwei Personen sitzen am Eingang. Sie sehen einem neu ankommenden jungen Mann dabei zu, wie er seine Fingerkuppen auf einen kleinen Scanner presst. Für den ersten schnellen Identitäts-Check. Drei andere stehen im Durchgang und warten, bis es für sie weitergeht. Eine Ecke weiter werden die Flüchtlinge in Kabinen von der Polizei durchsucht – gefährliche Gegenstände wie Messer und Gürtel sowie Handys und Papiere, die Hinweise zu Identität und Fluchtroute geben könnten, nehmen die Be­am­t*in­nen ihnen erst mal ab.

Jens Schobranski, bundespolizei

„Wenn wir sie aufgreifen, geht es für sie weiter, sie sind am Ziel“

Seit gut einer Woche betreibt die Bundespolizei in einer Lagerhalle in einem Gewerbegebiet bei Frankfurt (Oder) eine – Achtung: Behördendeutsch – „Bearbeitungsstraße“. Dorthin gebracht werden alle Menschen ohne gültige Papiere, die die Streifen auf ihren Touren im Grenzgebiet zwischen Brandenburg und Polen aufgreifen. Die Polizei hat sich hier eingerichtet, um die Asylsuchenden zügig zu überprüfen. Derzeit arbeitet sie rund um die Uhr, etwa 50 Po­li­zis­t*in­nen sind in der „Bearbeitungsstraße“ im Einsatz.

Seit Anfang November hat die Polizei knapp 600 Menschen an der brandenburgischen Grenze zu Polen aufgegriffen, bei denen sie annimmt, dass sie über Belarus und Polen eingereist sind. Die meisten stammen aus dem Irak sowie aus Syrien, dem Jemen und Iran.

In der Halle nimmt die Polizei ihre Fingerabdrücke, fotografiert und befragt sie. Die meisten lassen das Prozedere fast erleichtert über sich ergehen. „Sie wollen gefunden werden“, sagt Jens Schobranski, Sprecher der Bundespolizei Berlin-Brandenburg. „Wenn wir sie aufgreifen, geht es für sie weiter, sie sind am Ziel.“ Denn wer die Grenze überquert hat, kann in Deutschland einen Asylantrag stellen.

Die Menschen sind teils erschöpft oder durchnässt, wenn sie ankommen. Einige hätten auch leichte Verletzungen, berichtet die Polizei. Deshalb hat sie in der Halle auch Ruheräume abgetrennt: Auf einfachen Feldbetten liegen mehrere junge Männer, nur mit dünnen Laken bedeckt, ruhen sich aus oder schlafen. Dazwischen spielen Kinder. Andere sitzen auf Bänken und warten darauf, dass es weitergeht.

Denn die Behörden brauchen Zeit: Meist dauert es mehrere Stunden, bis die Flüchtlinge alle Stationen der sogenannten Bearbeitungsstraße durchlaufen haben. „Das hängt auch davon ab, ob die Person sich ausweisen kann oder ­irgendwo polizeilich erfasst ist“, sagt Schobranski. Wenn nicht, werden die Geflüchteten ausführlicher befragt. ­Dabei helfen Sprachmittler*innen. Natürlich ist auch entscheidend, ob jemand bereits in Polen als asylsuchend registriert ist. In diesem Fall wäre Polen auch für das Asylverfahren zuständig. „Das sind tatsächlich nur sehr, sehr wenige“, sagt Schobranski.

Normalerweise überprüft die die Bundespolizei Menschen nach einem rechtlich unerlaubten Grenzübertritt in einer ihrer Dienststellen. Doch kommen gerade an der Grenze zu Brandenburg derzeit deutlich mehr Asylsuchende als üblich an. Um die Dienststellen zu entlasten, hatte die Polizei daher auf dem Gelände von Brandenburgs zentraler Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt zunächst Zelte aufgestellt.

Die liegt etwa 30 Kilometer südlich von Frankfurt (Oder). „Da nicht absehbar ist, dass es weniger werden und weil wir auch auf den Winter zugehen, haben wir die Arbeitsschritte nun in diese Lagerhalle verlegt“, sagt Polizeisprecher Schobranski. „Bis zu 400 Menschen können wir hier pro Tag bearbeiten.“ Noch sei die Kapazität nicht erschöpft, am vergangen Donnerstag etwa waren es 130 Fälle.

Im letzten Raum schließlich sitzen die Mit­ar­bei­te­r*in­nen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Sie verteilen die Menschen nach dem Königsteiner Schlüssel auf die Bundesländer. „Nach Brandenburg kommen 3,5 Prozent, nach Berlin 5, ins Saarland 1 Prozent“, sagt Bamf-Regionalleiter Wolfgang Meier. Dabei würden die Mit­ar­bei­te­r*in­nen auch darauf achten, dass Familien nicht getrennt werden – oder Ehe­part­ne­r*in­nen wieder zusammenkommen können.

Das Bamf fühlt sich gut vorbereitet. „Hier von einem Notstand zu sprechen, wie manche es tun, ist völlig überzogen“, sagt Meier. Dass die Menschen hier nun in größerem Maße überprüft würden, sei einzig und allein der Situation geschuldet, dass Brandenburg durch die lange Grenze zu Polen derzeit besonders belastet sei. „Das ist ein geordnetes Verfahren“, sagt er. „Die Lage ist nicht mal angespannt.“ Auch die Polizei hat nach eigenen Angaben die neuesten Bilder und Videos von den Lagern und Trecks der Geflüchteten an der Grenze zwischen Polen und Belarus im Blick und passt die Lage an.

Draußen vor der Tür sprechen drei Frauen alle Menschen an, die das Gebäude verlassen. „Habt ihr da drinnen diesen Mann gesehen?“, fragt eine und hält ihr Handy mit einem Foto hin. Sie sei die Ehefrau und lebe schon seit vier Jahren in Deutschland. „Heute morgen hat mein Mann mir seinen Standort geschickt, wir sind sofort losgefahren“, sagt sie. Jetzt sei er nicht mehr online. Rein darf sie nicht. „Ich hoffe so sehr, dass wir ihn heute finden“, sagt sie.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mehr Geschichten über das Leben in Belarus: In der Kolumne „Notizen aus Belarus“ berichten Janka Belarus und Olga Deksnis über stürmische Zeiten – auf Deutsch und auf Russisch.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.