Probleme mit der Energiewende: Bürgerenergie contra Bürokratie

Bei der Energiewende geht es auch darum, die Stromwirtschaft zu demokratisieren. Doch zunehmende Bürokratisierung macht es der „Energie in Bürger:innenhand“ schwer.

Foto: Maja Hitij / dpa / picture alliance

Die „Demokratisierung“ ist ins Stocken geraten. Im vergangenen Jahrzehnt war die Energiewende immer auch ein Projekt des Strukturwandels in der Stromwirtschaft, nicht nur eines, das die Technik der Stromerzeugung veränderte.

Energie in Bürger:innenhand war das Schlagwort, das speziell durch Genossenschaften umgesetzt wurde; denn durch sie konnte auch in Photovoltaik investieren, wer kein eigenes Dach verfügbar hatte.

Mit diesem Gedanken der „Demokratisierung der Stromwirtschaft“ wurden allein im Spitzenjahr 2011 in Deutschland 167 Energiegenossenschaften gegründet.

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Wenig attraktiv

Zwischenzeitlich allerdings ließ die Dynamik nach, im Jahr 2020 kamen nur noch 13 hinzu. Die Bürgerprojekte wurden nämlich komplizierter; vor allem der Bau von Photovoltaik-Gemeinschaftsanlagen auf öffentlichen Gebäuden, der einst für Genossenschaften ein attraktives Modell war, ist heute durch die Bürokratie komplex geworden.

Der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband erfasst die Energiegenossenschaften in Deutschland genau. Die fast 900 Unternehmen haben zusammen bereits 3,2 Milliarden Euro in die Energiewende investiert und sich dabei oft mehrere Standbeine geschaffen: 80 Prozent der Bür­ger­:innenunternehmen haben Geld in die Stromerzeugung aus Photovoltaik investiert, 30 Prozent in Strom aus Windkraft.

Ferner betreiben 19 Prozent der Bür­ger:innen­unter­nehmen ein lokales Wärmenetz, 36 Prozent liefern Strom und 11 Prozent betreiben Speicher, 15 Prozent haben zudem in Energieeffizienz investiert.

Regulatorische Hürden

Der große Vorteil der Genossenschaften sind die für Anleger:innen niedrigen Einstiegshürden. Das gilt vor allem auch aus finanzieller Sicht: An 24 Prozent der Genossenschaften kann man sich schon mit 100 Euro beteiligen, mit 500 Euro ist man bei den meisten dabei. Viele Bürger:innen steigen aber höher ein; im Durchschnitt legt jedes Genossenschaftsmitglied gut 5.000 Euro an.

Allerdings gestaltet sich nicht nur die Gründung neuer Genossenschaften zäh, auch die bestehenden Bürger:innenfirmen sind zögerlich mit weiteren Projekten. Nachdem im Jahr 2018 noch 72 Prozent der Energiegenossenschaften den Bau neuer Photovoltaikanlagen planten, sind es aktuell nur noch 38 Prozent.

Die Bürgerwerke, eine Dachorganisation von inzwischen fast 100 Energiegenossenschaften, beklagt die „regulatorischen Hürden“. „Komplizierte Regelungen bei der Stromvermarktung, wie zum Beispiel beim Mieterstrom oder bei Regionalstrom, behindern den Ausbau“, sagt Christopher Holzem von den Bürgerwerken. Als Regionalstrom gilt solcher, der in der Nähe der Erzeugung – zum Beispiel im selben Ort – an Kund:innen verkauft, also nicht auf bundesweiten Märkten gehandelt wird.

Solardach muss Normalstes der Welt werden

Zugleich, sagt Holzem, sei es bislang immer noch „bei zu wenigen Gebäudeeigentümer:innen angekommen, dass Solarenergie sich für sie lohnt“. Viele Hauseigentümer:innen scheuten den Aufwand, wollten aber auch keine Bürger:innen-Energiegenossenschaft mit Modulen auf ihr Dach lassen: „Das ist einfach schade.“ Nötig sei ein Bewusstseinswandel: „Solarenergie auf dem Dach muss das Normalste der Welt werden.“ Jedes Dach ohne Solaranlage sei „eine vertane Chance – für die Umwelt und für den Geldbeutel“.

Zwar liegt der Schwerpunkt der meisten Genossenschaften weiterhin bei der Solarenergie. Aber die Beteiligung an Windparks sowie stärkeres Engagement rund um die E-Mobilität – speziell Ladesäulen und Carsharing mit Elektroautos – gewinne in den letzten zwei Jahren an Bedeutung, heißt es bei den Bürgerwerken.

Schwer umzusetzen sind für lokale Bürger:innenunternehmen große Solarprojekte und Windparks, die sich in Ausschreibungen um die Vergütungen bemühen müssen. In diesem Punkt spielt die Firma Prokon eine Sonderrolle, die sich als „Deutschlands größte Energiegenossenschaft“ bezeichnen kann. Sie kann aufgrund ihrer Größe und langjährigen Erfahrungen im Windprojektgeschäft auch als Genossenschaft bei den Ausschreibungen mit dabei sein. Sie ist bundesweit tätig, also auch nicht – wie die meisten Energiegenossenschaften – regional verankert.

Komplexität schadet Akzeptanz

Das Unternehmen war 1995 als Kapitalgesellschaft gegründet worden, rutschte aber 2014 wegen Managementfehlern in die Insolvenz. Im Jahr 2015 ging Prokon in einer neu gegründeten Genossenschaft auf; ein Übernahmeangebot der EnBW schlugen die Gläubiger aus. Von den 75.000 Anlegern, die einst 1,4 Milliarden Euro investiert hatten, ging ein Teil den Weg mit in die Genossenschaft. Heute hat diese nach eigenen Angaben gut 39.000 Mitglieder.

Eines eint unterdessen die große Prokon und die zahlreichen örtlichen Genossenschaften: „Bürgerenergie ist schwieriger und komplexer geworden“, sagt ein Prokon-Sprecher. Und das ist auch aus Gründen der Akzeptanz der Energiewende nicht gerade dienlich – denn immer wieder zeigt sich, dass Öko­strom­anlagen vor Ort deutlich mehr Freund:innen finden, wenn die Bürger:innen der Region sich unkompliziert an diesen beteiligen können.

Dieser Text erscheint im taz Thema Grünes Geld, Ausgabe November 2021, Redaktion: Volker Engels. Frühere Ausgaben des taz Themas Grünes Geld können Sie hier nachlesen.

Bernward Janzing arbeitet als freier Journalist zu Energie- und Umweltthemen. In mehreren Büchern hat er verschiedene Facetten der Historie der Stromwirtschaft aufgearbeitet. Sein Buch „Vision für die Tonne. Wie die Atomkraft scheitert“ erschien 2016 (Picea Verlag).