„Ich wollte nicht nett schreiben“

Mit Karin Smirnoff eröffnen die Nordischen Literaturtage in Hamburg

Foto: Johan Gunséus

Karin Smirnoff, ist schwedische Schriftstellerin. Ihr preisgekrönter Debüt-Roman „Mein Bruder“ erschien 2018.

Interview Frauke Hamann

taz: Sie haben spät zu schreiben begonnen, Frau Smirnoff …

Karin Smirnoff: Aber nein! Ich schreibe, seit ich Teenager bin: Gedichte, Kurzgeschichten und Romane, allerdings ohne etwas zu veröffentlichen. In den Neunzigern studierte ich Kreatives Schreiben, 30 Jahre später habe ich damit weitergemacht. Als meine Kinder klein waren, wollte ich keine Schriftstellerin sein. Das Schreiben erfordert beständiges Training. Mit 50 war ich bereit, etwas zu veröffentlichen. Vorher nicht.

Sie hatten vorher unterschiedliche Jobs?

Ich habe in Restaurants und als Altenpflegerin gearbeitet, dann lange als Journalistin. Ungerechte Lohn- und Arbeitsbedingungen sind mir nur zu vertraut. 2013 kaufte ich eine Holzfabrik, den Holzhandel betreibe ich bis heute. Um meine Leute zu bezahlen, hatte ich selbst manchmal kein Geld. Ich kenne beide Seiten!

Ihr Buch „Mein Bruder“ ist voller brutaler Ereignisse.

„Mein Bruder“ handelt von einer jungen Frau, die etwas über die Gewalt in ihrer Familie und in ihrer Umgebung herausfinden will. Ich wollte nicht nett schreiben.

Wie wichtig ist Ihnen die Natur, der Schnee?

Ich lebe in Hertsånger, wo der Roman spielt. Sechs Monate im Jahr liegt Schnee, da sollte man den Winter mögen! Bis auf wenige Nachbarn umgibt mich Wildnis. Wald, Berge, Seen, Meer. Ich erlebe die Natur jeden Tag, beim Fischen wie beim Wandern, beim Pilzesammeln wie beim Skifahren. Bäume und Tiere sind mir sehr nah, auch Mäuse und Ratten.

Ihr Roman ist getränkt von religiösen Motiven. Warum?

Ich bin in einer areligiösen Familie aufgewachsen, doch hat mich die philosophische Seite des Glaubens immer interessiert. Wie schwer es ist, ein geachteter Mensch zu werden, vor sich selbst und vor anderen. Jana Kippo erlebt Heuchelei und Missbrauch, aber auch anmaßende kirchliche Autorität.

Die Familie erscheint als Hauptquelle von Gewalt, oder?

Eine dysfunktionale Familie kann zur Gefahr werden. Bei den Kippos wissen alle von der Brutalität des Vaters und der Schwachheit der Mutter, doch niemand hilft. Die meisten scheuen davor zurück, in eine Familie einzugreifen.

Kann Jana Kippo ihres Bruders Hüter sein, kann sie den alkoholkranken Bror behüten?

Wir können nicht jemandes Hüter sein, aber wir können ein Mitmensch sein! Bror ist der einzige, der Jana etwas bedeutet. Gegenüber dem gewalttätigen Vater hatten sie nur einander. Jana will nicht, dass Bror ein Opfer seiner Sucht wird. Und auch ich möchte nicht, dass irgend jemand zum Opfer wird.

Heute: Eröffnung der Nordischen Literaturtage im Literaturhaus Hamburg mit einer Lesung von Karin Smirnoff (18.30 Uhr) und Erika Fatland (20 Uhr). Das Buch „Mein Bruder“ hat 336 Seiten, kostet 24 Euro und erschien bei Hanser Berlin