Aktivistin über Gewalt gegen Frauen: „Ein rechtsfreier Raum“

Familiengerichte halten Gewalt aufrecht, die Mütter durch Kindsväter erfahren, sagt Stefanie Ponikau. Sie ist Teil der Mütterinitiative für Alleinerziehende.

Die Blüte einer weißen Lilie

Die White Lily Revolution will auf institutionelle Gewalt gegen Frauen und Kinder hinweisen Foto: Leemage/imago images

taz: Frau Ponikau, die Mütterinitiative für Alleinerziehende (MIA) beklagt, dass Mütter, die Gewalt durch den Kindsvater erfahren, nicht genügend geschützt werden. Wie kommt das?

Stefanie Ponikau: Aus den Gewaltstatistiken wissen wir, dass die Zeit nach einer Trennung die gefährlichste für eine Frau ist. Es gibt leider viele Beispiele, wo das schiefgegangen ist. Im Familienrecht wird (Ex-)Partnerschaftsgewalt gegen Mütter jedoch häufig einfach außer Acht gelassen. Dem Umgangsrecht der Täter wird somit Vorzug vor dem Gewaltschutz der Frau gegeben. Das ist fortgesetzte Gewalt. Umgangsbeschlüsse funktionieren so letztlich nach dem Trial-and-Error-Prinzip. Also: Mal gucken, bis was passiert. Aber das ist natürlich keine Lösung. Das ist einfach gefährlich.

Das zweite Jahr in Folge rufen die MIAs zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen zur „White Lily Revolution“ auf. Was steckt dahinter?

Die White Lily Revolution möchte endlich auf diese institutionelle Gewalt gegen Frauen aufmerksam machen. Gewalt gegen Mütter hat bislang überhaupt keine Plattform. In Medienberichten, die es ab und zu gibt, wird suggeriert, es handele sich dabei um Einzelfälle. Aber das stimmt nicht. Es gibt unzählige Mütter und Kinder, die diesen strukturellen Problemen in der Familiengerichtsbarkeit ausgesetzt sind. In Gerichten selbst, aber auch die Jugendämter spielen bei dem ganzen eine abenteuerliche Rolle.

ist stellvertretende Vorsitzende von MIA, der Mütterinitiative für Alleinerziehende. Neben Politikberatung gibt die Initiative Wahlempfehlungen ab und plant politische Aktionen auf lokaler, regionaler und Bundesebene. Die Aktion White Lily Revolution wurde 2020 ins Leben gerufen. Betroffene Frauen legen zwischen dem 25. 11. und 10. 12. weiße Lilien vor Familiengerichten, Jugendämtern, Gutachter*innen-Büros etc. nieder, um symbolisch auf die institutionelle Gewalt im Familienrecht hinzuweisen. In den sozialen Medien ist die Aktion unter #whitelilyrev_bymia zu finden.

Ist die Rechtslage in Deutschland denn nicht sehr mütterfreundlich?

Nein, eben nicht. Frauen erleben vor Gericht oder wenn sie vorm Jugendamt auftreten, sehr viele Wissenslücken. Gerade im Gewaltkontext fehlt die Expertise. Dadurch wird viel missinterpretiert – Gewalt wird bagatellisiert, verharmlost oder überhaupt nicht geglaubt. Körperliche Gewalt ist zumindest häufig nachweisbar, bei psychischer Gewalt sieht das aber schon anders aus. Hinzu kommt das Pro­blem, dass es in aller Regel keine Zeugen gibt. Insofern gilt in dubio pro reo, also im Zweifel für den Angeklagten, was grundsätzlich auch richtig ist. In diesen Fällen ist es aber ein massives Problem.

Wieso ist psychische Gewalt derart schwer glaubhaft zu machen?

Im Grunde genommen ist es kaum möglich, jemandem, der keine Berührung damit hat, begreiflich zu machen, dass psychische Gewalt ganz klar Gewalt ist. Wenn dann noch grundlegendes Fachwissen fehlt, heißt es schnell: Das bilden Sie sich nur ein. Auch die Vorstellung von Fachkräften, wie sich ein Opfer zu verhalten hat, hat mit der Realität überhaupt nichts zu tun.

Wie sieht die denn aus?

Es scheint, als gebe es eine Erwartung, dass Opfer immer von Gram gebeugt, weinend, halb zusammenbrechen. So ist es ja nicht. Die Frauen müssen ihren Alltag trotzdem bestehen und sich um die Kinder kümmern. Insofern reißen sich die allermeisten zusammen. Auch in dem Wissen, dass „Schwäche“ ihnen ebenso negativ auslegt wird. Das ist ein ganz, ganz schmaler Grat.

Wie wirkt sich das konkret auf die Betroffenen aus?

Wir erhalten Meldungen von Frauen, die vor Gerichten regelrecht erpresst werden. Viele haben den Eindruck, das Familiengericht sei ein rechtsfreier Raum. In unserer White Lily Revolution teilen Frauen Erfahrungen, die sie in diesem Zusammenhang machen müssen. Was Betroffene teils an Misogynie erfahren müssen, lässt einem das Blut in den Adern gefrieren.

Was sind das für Erfahrungen?

Es gibt die absurdesten Sachen. Etwa Fälle, bei denen das Jugendamt von häuslicher Gewalt weiß, die Mutter zur Trennung drängt, verbunden mit der Drohung, dass ohne Trennung vom gewalttätigen Vater eine Kindeswohlgefährdung vorliege und die Kinder in Obhut genommen werden müssten. Für jede Mutter sind die Kinder die Achillesferse, und meistens ist das der Anstoß, dass es dann tatsächlich zur Trennung kommt. Im Nachhinein wird aber so getan, als sei das Pro­blem nun gelöst und die Gewalt einfach verschwunden. Und dann kommt es zu diesen Umgangssituationen, in der die Gewalt weitergeht. Das ist völlig paradox.

Was wäre eine Lösung?

Grundsätzlich muss erst mal klar sein – und es gibt genug Studien, die das belegen – dass Gewalt gegen die Mutter immer auch Gewalt gegen das Kind ist. Dieses eklatante Wissen fehlt, das wird einfach nicht beachtet. Wenn Umgang mit einem gewalttätigen Elternteil stattfindet, kommt es, egal ob das begleiteter oder unbegleiteter Umgang ist, mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit zu einer sekundären Traumatisierung des Kindes. Wenn dann auch noch Kontakt des Täters zur Mutter besteht, was gar nicht anders geht, wenn es irgendeine Art von Umgang gibt, kann das für sie unter Umständen sehr gefährlich werden.

Gibt es Instrumente, die Mütter in diesen Situationen schützen können?

Seit 2018 gilt in Deutschland die Istanbulkonvention, die wird aber immer noch nicht umgesetzt. Laut letztem Stand gibt es bundesweit drei Urteile, in denen die Istanbulkonvention überhaupt Beachtung findet, die kommen aber nicht aus dem Familiengericht. Eine betroffene Mutter hat uns berichtet, dass sie sich in ihrem Verfahren auf die Istanbulkonvention berief und der Richter sagte: „Ausländisches Recht wird hier nicht angewandt.“ Da fehlen einem wirklich die Worte. Es ist der Auftrag der Bundesregierung, das umzusetzen. Die Istanbulkonvention kann im Grunde wie ein Rezept abgearbeitet werden. Das wäre wirklich ein wirkungsvolles Mittel.

Hilft es Betroffenen vor Gericht weiter, wenn Gewaltvorfälle zur Anzeige gebracht wurden?

Schwierig. Wie auch bei anderen Gewaltformen gibt es das Problem von Victim-Blaming. Anwälte raten Frauen teils sogar ab, die Gewalt zu thematisieren. Das könnte sonst negative Auswirkungen auf den kompletten Fall haben. Wenn Frauen Kindsväter beschuldigen, steht schnell der Begriff „Bindungsintoleranz“ im Raum, also die Vermutung, dass der Kontakt zum anderen Elternteil abgelehnt wird. Das ist jedoch ein Konstrukt ohne wissenschaftliche Evidenz – im Grunde ein einfaches Mittel, um jede Kritik am anderen Elternteil auszuhebeln. Wer als „bindungsintolerant“ gelabelt wird, gilt als nicht erziehungsfähig. Das kann dann sogar dazu führen, dass die Kinder, ja, verloren gehen. Das geht relativ schnell.

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