Ausstellung „use-less. Slow Fashion“: Antike Avantgarde

Modedesign-Studierende fragen, wie dem textilen Konsumwahn begegnet werden kann. Antworten finden sie bei Zero-Waste-Techniken aus der Antike.

Ein Mensch steht vor einem Regal mit Körperpflegeprodukten, er trägt eine Jacke, auf denen Nivea-Flaschen zu sehen sind

Konsumkritik mit Humor: Dilan Caplans Projekt „damaged“ Foto: Patrick Slesiona

Klar, die Zahlen, die Greenpeace und andere 2015 unter erwachsenen Deutschen zu ihrem Konsum von Bekleidungsartikeln erhoben haben, sind nicht mehr ganz aktuell. Aber, so ist wohl zu befürchten, ihre Tendenz wird stimmen: Viel zu viel wird gekauft! Je­de:r Deutsche erwirbt, wohl immer noch, etwa 60 neue Kleidungsstücke im Jahr, das macht rund 27 Kilogramm Textiles oder Schuhwerk, vieles davon wird nie oder sehr selten getragen. Und sehr vieles landet, auch ungetragen, schnell wieder im Altkleider-Container: knapp 15 Kilogramm pro Kopf im Jahr.

Befeuert hat dieses Konsumverhalten eine „Fast Fashion“, die ab den 1990er-Jahren unsere Innenstädte mit ihren Filialgeschäften voller Billigprodukte flutete. Sie richtet sich mit radikal beschleunigten Zyklen ihrer Kollektionen vorrangig an ein junges, modeaffines Publikum. Zwölf oder mehr neue Linien, häufig abgekupferte Trends der Prêt-à-porter-Schauen namhafter Designer, werden in die Tiefstpreis-Shops gespült, durchschnittlich gut 20 Mal im Jahr frequentieren die Kun­d:in­nen entsprechende Läden.

Wer aber nun hofft, das schlechte Shopping-Gewissen damit beruhigen zu können, dass die Altkleiderverwertung ja die üppig gespendeten Textilien schon irgendwie sinnvoll verwendet oder gar recycelt, der oder die irrt: Nur sehr gute Stücke werden aussortiert und etwa von karitativen Organisationen weitergehandelt. Der Rest tritt, wie schon bei der Herstellung, eine lange Reise um die Welt an. Hat eine Jeans vom Design in Europa über Fertigungs- und Veredelungsprozesse in Asien rund 25.000 Kilometer bis zum europäischen Handel zurückgelegt, so sind es nach Gebrauch 17.000 Kilometer bis zum Altkleidermarkt in Afrika.

Zunehmend aber weigern sich afrikanische Staaten, diesen westlichen Wohlstandsmüll zu importieren, auch um eine einheimische Textilproduktion aufzubauen oder zu schützen. Und angesichts moderner Mischgewebe ist auch das Recycling von Textilien nur schöne Illusion. Lediglich in Italien gibt es Firmen, die sich auf die Wiederaufbereitung von sortenreiner Wolle und Cashmere spezialisiert haben, allerdings zu kurzfaseriger Reißwolle eingeschränkter Qualität.

„Use-less. Slow Fashion gegen Verschwendung und hässliche Kleidung“

bis 13. 3. 22, Hannover, Museum August Kestner

https://useless-ausstellung.de/

Was also tun, um diesem Konsumwahn und seinen Müllbergen mit nachhaltigen Prinzipien zu begegnen? Dieser Frage sind Studierende der Hochschule Hannover, Studiengang Modedesign unter Professorin Martina Glomb, nachgegangen und zeigen ihre Überlegungen nun in einer Ausstellung im Museum August Kestner in der Landeshauptstadt. Vorversionen waren schon in Bremen zu sehen, einst der deutsche Importhafen für Baumwolle. Oder im Textilwerk Bocholt, ein Industriemuseum, das sich der vormals in der Region ansässigen Spinnerei und Weberei widmet.

Von dort stammt auch das Material für einige Demonstrationsmodelle der Hannoveraner:innen, das Baumwoll- oder Leinengewebe des Grubentuchs, dem traditionellen Handtuch mit Karomuster. Statt in seinen klassisch dunklen Farben kommt es nun in Rot daher und wird mit Strick, Ausrangiertem und anderem kombiniert. Aber es geht dabei nicht um tragbare Mode, sondern um eine alte Kulturtechnik: das sinnvolle, ressourcenschonende und endlose Weiterverwenden.

Glomb bezeichnet den theoretischen Schwerpunkt ihres Studienganges als „Forschen durch Mode“. Der trifft im Museum nun auf dessen zivilisationshistorisch-archäologischen Auftrag: ein Erforschen der Antike, auch anhand ihrer Bekleidungskultur und gestalteten „Mode“. Und darin sind sich beide Partner einig: Bereits die Antike schuf das Ideal der frühen, besser: „zeitlosen Vernunft“. Denn aus den zahlreichen Beschränkungen, etwa der technischen Möglichkeiten einer sehr einfachen Webtechnik, die nur quadratische oder rechteckige Stoffstücke entstehen ließ, entwickelte sich die Kunst, dieses archaische Textil als Bekleidung am Körper zu drapieren. Die Stoffbahnen wurden gegürtet, mit Nadeln gesteckt oder mit Gewandfibeln verschlossen.

Die antike Mode praktizierte so schon ein Zero-Waste-Prinzip, das einige Avantgarde-Modemacher:innen heute propagieren, denn es gab keinen Abfall wie beim Zuschnitt der modernen, genähten Bekleidung. Auch antizipierte die Antike ein Multifunktionsprinzip, das eine, nun allerdings bereits genähte, koptische Kindertunika aus der Sammlung demonstriert: Sie hat sowohl Ärmel als auch zwei Armlöcher, um im Sommer die nackten Arme durchzustecken. Die leeren Ärmel konnten dann, vielleicht als Schmuckelement, um den Oberkörper geschlungen werden.

Eine zeitgenössische Mode, die solche Prinzipien neu interpretieren möchte, stößt derzeit noch auf große Akzeptanzprobleme. Deshalb liegt das Augenmerk der Ausstellung auf der Vermittlung, sei es durch ein großes Begleitprogramm, etwa für Schulklassen, oder durch aktive Stationen. Hier können Materialien befühlt werden, so die Peace Silk, die ohne Töten der Seidenraupen gewonnen wird, oder Lyocell, die umweltfreundliche Alternative zur Viskose. Man darf Funktionskleidung der Polizei anprobieren, deren puzzleartiges Schnittmuster nach dem Zero-Waste-Prinzip digital optimiert wurde, oder Secondhand- und Upcycling-Stücke, man kann an dicken Pullovern stricken oder aus Altmaterial Taschen und kleine Accessoires selbst nähen.

Ein erster, simpler und indivi­duell möglicher Schritt ist allerdings, einfach deutlich weniger neue Klamotten zu kaufen und vorhandene wertzuschätzen. Deshalb ist der doppelsinnige Titel der Ausstellung, „use-less“, auch als Referenz an ihre Schirmherrin, die britische Modemacherin Vivienne Westwood, zu verstehen und an ihre Maxime: „Buy less, choose well, make it last“.

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