Große Wut, kleine Fortschritte

In Glasgow gehen Zehntausende für Klimaschutz auf die Straße. Während die Konferenz dort schon jetzt als Flop und Greenwashing-Show gilt, zeichnen Beobachter etlicher NGOs ein differenzierteres Bild

„Nichts ändert sich, alles wird nur noch schlechter““

Eine Klimaaktivistin aus Kolumbien in Glasgow

Aus Glasgow Malte Kreutzfeldt

Das schottische Wetter meint es nicht gut mit den Klimaschützer*innen. Als am Samstagnachmittag mehrere zehntausend Menschen durch die Innenstadt zum Glasgow Green ziehen, einem Park am River Clyde, weht der Wind so stark, dass große Transparente kaum zu halten sind. Aber das nasskalte Wetter ist das kleinere Problem der Menschen. Größere Sorgen macht ihnen die längerfristige Klimaveränderung und ihre Folgen: Waldbrände, Dürre, versiegende Wasserquellen.

Nach Glasgow sind Menschen aus aller Welt gekommen, die davon berichten können. „Für uns in Afrika ist schon die Gegenwart katastrophal. Die Menschen sterben in den Fluten, und wer überlebt, hat nichts zu essen und zu trinken“, hatte Evelyn Achanm aus Uganda schon am Tag vor der großen Bündnis-Demonstration am Samstag auf einer kleineren Kundgebung gesagt, die Fridays for Future organisiert hatte.

Unter den zahlreichen Red­ne­r*in­nen sind Indigene aus aller Welt, viele mit üppigem Federschmuck und traditioneller Bemalung. Bedroht sind sie nicht nur vom Klimawandel selbst, sondern auch von den Konzernen, die diesen vorantreiben. „Indigene Völker schützen das Land und die Biodiversität“, sagte etwa eine junge Frau aus Kolumbien. Aber sie würden auch bedroht. „Kolumbien ist das gefährlichste Land der Welt für Umweltschützer“, berichtet sie. Was sie von der Klimakonferenz erwartet? „Nichts ändert sich, alles wird nur noch schlechter“, sagt sie

Dieser Eindruck zieht sich durch praktisch alle Reden. Auch Greta Thunberg, die sich bei der Demonstration am Freitag bewusst im Hintergrund hält, den Indigenen die erste Demo-Reihe überlässt und bei der Kundgebung als Letzte spricht, lässt kein gutes Haar an der Klimakonferez. Die sei „ein Greenwash-Festival“ und „ein PR-Event“, bei dem die Staats- und Regierungschefs „hübsche Reden halten“, ohne die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen. Die Konferenz sei „ein zweiwöchiges Zelebrieren von ‚business as usual‘ und bla bla bla“, sagte Thunberg unter großem Beifall.

Diese Fundamentalkritik auf der Straße steht im deutlichen Gegensatz zu den Einschätzungen vieler Umweltorganisatione. „Ich würde nicht sagen, dass der Klimagipfel nur Show ist“, sagt etwa Greenpeace-Kampaignerin Lisa Göldner: „Diese UN-Konferenzen sind einer der wenigen Orte, wo die Industriestaaten direkt konfrontiert werden mit dem Leid und den Forderungen der am stärksten von der Klimakrise getroffenen Länder.“ Zudem seien die Konferenzen „für Länder des Globalen Südens essentiell, um überhaupt Geld für Schutzmaßnahmen vor der Klimakatastrophe aufzutreiben“.

Sebastian Scholz, der für den Naturschutzbund (Nabu) vor Ort ist, hält die Proteste zwar insgesamt für hilfreich.. Fundamentalkritik findet er aber nicht angebracht. „Es gibt auch kleine Erfolge, etwa dass das Thema Waldschutz prominent gesetzt wurde und dass erstmals gemeinsam über Klimaschutz und Biodiversität verhandelt wird.“

Christoph Bals, der für die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch Klimagipfel schon lange begleitet, kann die Ungeduld der Ak­ti­vis­t*in­nen verstehen. „Man muss genau hinschauen, wieviel Substanz die Ankündigungen haben“, sagt er. „Aber nicht alle sind nur ‚bla bla bla‘.“ Dass alle G20-Staaten die Finanzierung von Kohlekraftwerken im Ausland streichen werden, bezeichnet er als „eine entscheidende Veränderung“.

Bals wünscht sich, dass sich auf beiden Seiten etwas verändert. „Bei dieser COP sollte ein Prozess aufgesetzt werden, der für mehr Transparenz sorgt, welche Ankündigungen Greenwashing sind und was wirklich Substanz hat“, sagt der Germanwatch-Chef. „Wenn das geschafft wird, erhoffe ich mir auch von der Bewegung, dass sie nicht alles in Bausch und Bogen verdammt, sondern mühsam erkämpfte und wichtige Transformationsprozesse anerkennt.“

Thunberg findet allerdings nicht, dass die Bewegung in ihrer Kritik zu weit geht. „Nicht wir sind radikal, sondern die Staatschefs, die meinen, dass wir in einer Welt überleben können, die 3 Grad heißer ist“, sagte sie. „Wir sprechen nur die Wahrheit aus.“